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Paris

Auf Croissant-Safari durch Paris

In Paris sind harte Zeiten angebrochen. Die Kosten von hochwertiger Butter ließen viele Bäcker zu Großhändlern übergehen, die sich auf gefrorene Backwaren spezialisiert haben. Also machte ich mich auf die Suche nach dem besten, noch handgemachten...
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Nachdem unser Autor Seb Emina bei einem Kurztrip nach Paris dank einem Croissant aus irgendeiner dortigen Bäckerei einen Moment der Erleuchtung erleben durfte, setzte er es sich zum Ziel, dieses Erlebnis zu wiederholen—wenn nicht sogar noch zu übertrumpfen. Im Auftrag von Munchies verbrachte er 12 Stunden damit, die Straßen der französischen Hauptstadt im Butter-Delirium nach dem perfekten Gebäck abzusuchen.

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Vor zwei Jahren ging ich während eines Kurztrips nach Paris in die mir am nächsten gelegene Bäckerei und bestellte ein Croissant. Schon beim ersten Bissen in diesen vollmundigen, goldenen Halbmond in meiner Hand wusste ich, dass dies das perfekteste Gebäck war, das ich je hatte. Leider war der Genuss nur von kurzer Dauer, denn ich war schnell ziemlich verärgert—jedes Croissant, das mir je in London verkauft wurde, war ohne Ausnahme nur ein mittelmäßiges Imitat und hat kaum den Namen ‚Croissant' verdient.

Frankreich war also eine Utopie—wenn schon nicht ganz von Égalité, dann zumindest von Backwaren. Eine Nation, dessen einfachste Croissants das außerhalb der Grenzen verkaufte Zeug wie einfache Brot-Bumerangs schmecken lassen.

Aber selbst in Paris gibt es nicht in jeder Boulangerie leckere Croissants. Die Zeiten sind hart. Die Kosten von hochwertiger Butter brachte viele Bäcker dazu, jetzt auf Großhändler zu setzen, die sich auf bereits fertige, gefrorene Croissants spezialisiert haben. Ich muss aber auch sagen, dass diese nicht scheußlich schmecken. Normalerweise sind sie immer noch besser als die, die du in Großbritannien bekommst. Und ja, damit meine ich auch die Croissants aus East London, wo sich der Barista das Hemd bis oben hin zuknöpft. Ein verräterisches Anzeichen für eine schlechte Bäckerei sind kitschige, pinke Markisen. Dort schmecken die Croissants fad und öde und die Aromen im Laden sind zu einfach, zu gleichmäßig.

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Es stellte sich heraus, dass die Bäckerei, die zufällig gleich um die Ecke lag, von einem der besten Pariser Bäcker geführt wurde. Sie heißt Les Pains d'Alexis und liegt auf dem Boulevard Port Royal am Rande des fünften Arrondissements. Gerade verbringe ich die meiste Zeit in Paris, also ist das meine Stammbäckerei. Der Besitzer Alexis Anton ist 30 Jahre alt und hat sein gesamtes Erwachsenenleben mit dem Backen zugebracht. Alles fing 2001 mit einer fünfjährigen Lehre an. Sein derzeitiges Geschäft besitzt er seit vier Jahren und er hat sich seine Sporen in den angesehensten Bäckereien von Paris verdient, darunter auch das Bristol Hotel. Ich entschied mich dazu, ihn zu besuchen und seine Meinung zum für Frankreich typischen Frühstücksgebäck zu hören.

Ich fragte ihn, was das perfekte Croissant ausmacht. „Ich denke, dass viele Croissant zu lang und zu flach sind", sagte er. „Ich mag sie eher kürzer und rundlicher. Und du musst richtig gute Butter verwenden, das teure Zeug."

Butter ist der Schlüssel. Ein Fehler, der viel zu häufig gemacht wird, ist der, das verdammte Croissant ordinaire zu bestellen. Dieses enthält gar keine Butter, sondern nur Margarine. Was du suchst, ist das Croissant au beurre.

Anton zeigte mir den Kellerraum, wo die Waren gebacken werden. Das Ganze ähnelte einem Labyrinth aus Öfen und Kühlschränken, die kompliziert anmutendes Gebäck in den verschiedenen Zuständen vor der Verkaufstheke enthielten. Ein tough aussehender, tätowierter Mann faltete gerade geschickt ein riesiges Rechteck aus hellem Teig zusammen, das für 45 Pains au chocolat ausreicht. Anton zeigte mir ein bereits in Form gebrachtes Teil und sagte, dass ich die Schichten genau anschauen solle. Der sich immer wiederholende Vorgang aus Plätten, Falten und Abkühlen hat so viele Schichten hervorgebracht, dass man sie ohne Lupe gar nicht richtig zählen kann. Ein sicheres Anzeichen für außergewöhnlich gute Viennoiserie.

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Da das beste Croissant, das ich je gegessen habe, aus einer zufällig ausgewählten Bäckerei kam, fragte ich ich mich, wie dann wohl erst die von Experten ausgezeichneten Croissants schmecken würden. Zum Glück veröffentlicht die Bäckervereinigung von Paris jedes Jahr eine Liste mit den besten Croissants der Stadt. Ganz dezent wird diese nur als PDF auf ihre Website hochgeladen, aber für jeden, der in der französischen Hauptstadt gerne Mehlspeisen isst, ist diese Liste wichtiger als die Oscars.

Mit der Liste—der volle Name lautet übrigens 13eme Concours du Croissant Francilien au Beurre AOP Charentes-Poitou—als groben Richtungsweiser verbrachte ich einen ganzen Tag im Grunde auf Croissant-Safari. Das Ganze fühlte sich am Ende aber eher wie Flatrate-Croissant-Essen an, da ich nicht mehr klar denken konnte und die ganzen Geschäfte zu Einem verschmolzen. Es war unmöglich, alle Läden der Liste abzuklappern, zum einen allein schon aus gesundem Menschenverstand und zum anderen, weil die Öffnungszeiten der Bäckereien erstaunlicherweise von der Laune der Besitzer abhängig sind. Ich zog natürlich los, ohne vorher gefrühstückt zu haben, und erwartete mit Heißhunger mein erstes Croissant.

Phillippe Marache (92 Avenue de la République)

Photo by Seb Emina

Alle Fotos: Autor Seb Emina

Geschlossen? Warum bloß? Hier hab ich offensichtlich kein Croissant probiert.

Comptoir Gana (54 Rue Oberkampf)

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Ganas Croissant vor der Zerstörung.

Dieser Laden stand nicht auf der Liste. Ich hatte noch viele Croissants vor mir und noch ein weiteres zum Plan hinzuzufügen erscheint bizarr, aber das Geschäft hatte offen, einen guten Ruf und ich dank dem fehlenden Frühstück verdammt großen Hunger. Die Schlange war perfekt, mit genügend Menschen, damit du dich als Teil von Etwas fühlen kannst, damit sich die Spannung aufbaut und damit du dir vorstellen kannst, wie du in mehrere der vielfältigen Gebäckstücke der Theke reinbeisst. Vor allem in die, die du nicht kaufen wirst. Wenn ich mal eine Boulangerie besitze, dann stelle ich Leute ein, die eine ständige Schlange von genau dieser Länge bilden.

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Um zum Croissant zu kommen: Es war fantastisch. Aussen knusprig und frisch, innen weich, geschmeidig und fluffig. Es schmeckte nach dem Backvorgang, den Öfen und der Butter von einer guten Farm. Manchmal ist es so einfach.

Gana-Open

Du Pain et Des Idées

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Jep, echt komische Form.

Du Pain et Des Idées—„Brot und Ideen"—macht mehr so den Eindruck einer glückseligen Halluzination als einer Bäckerei in Paris. Dort findest du riesige Spiegel, ein schönes, abgenutztes Schild über dem Laden, Regale voller bildhübscher Brote und hier und da etwas rustikal (aber nie gekünstelt) und nützlich aussehenden Krimskrams. Das Croissant—das Letzte der Ladung—war exzellent: schmackhaft, zart und dank der schlanken, von Hand gefertigten Form wie aus einem Märchenbuch entsprungen.

Lionel Fauré (59 Rue de Saintonge)

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Der Ansatz dieses Ladens hat etwas Wundervolles an sich. Das Schild zeigt, wie bei so vielen anderen Geschäften auch, keinen Namen, sondern ist eher funktional—‚Boulanger Patissier'. Fast so, als wäre es eine geschmacklose Markenentwicklung, dem Laden einen Namen zu geben.

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Innen drin schubste sich eine kleine Menschenmenge hin und her, jeder wollte etwas bei dem Mann hinter der Theke bestellen. Das Croissant war sehr leicht und extrem blättrig. Das Äussere war richtig schön knusprig, aber es fehlte etwas Butter und es schmeckte etwas salziger als die anderen.

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Es war ein sehr gutes Croissant. Woanders auf der Welt wäre es eine Offenbarung, aber ich dachte mir, dass die Croissants bei Les Pain d'Alexis—meine zufällige Stammbäckerei—besser sind.

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Les délices de Saint-Martin (24 rue Saint-Martin)

Saint-Martinext-exterior

Die drei Filialen der ‚Julien'-Boulangeries stehen regelmäßig auf den Listen der Bäckervereinigung. Aber nicht nur das, das Unternehmen ist auch der aktuelle Gewinner der ‚Bestes Baguette'-Krone. So war auch viel los. Draussen küsste sich ein Pärchen leidenschaftlich, als ob die Nähe zu solch perfekten Backwaren es völlig überwältigt hätte.

SaintMartin-croissant-interior

Das Croissant schmeckte … gut. Man muss fairerweise auch bedenken, dass es inzwischen schon spät war, ich mich quasi im Croissant-Koma befand und kaum mehr denken konnte. Dieses Croissant war eher vergleichbar mit einem Pub-Spaniel mittleren Alters als mit einem aufmerksamen Border Collie.

Les Pains d'Alexis (18 Rue Flatters)

Alexisinterior

Nachdem ich mich zwei Tage lang erholen konnte, stattete ich Alexis Anton mal wieder einen Besuch ab. Das Croissant nach der Safari war genau so lecker wie das allererste. Wenn du versuchen würdest, so etwas in England zu backen, würde wohl bald die böse Provinz-Backlobby vor deiner Tür stehen, um zu schauen, wie schade es doch wäre, wenn deinem Ofen irgendwas zustoßen würde. Das Croissant war aussen knusprig und hatte einen schöne, goldene Farbe. Innen war es soft und fluffig, mit genau der richtigen Geschmeidigkeit.

Alexis-croissant

Der himmlische (oder zumindest alpine) Geschmack der Butter brachte alles genau richtig zusammen. Wirklich verrückt.

Alexis-croissant-interior

Das ist das beste Croissant in Paris und ich habe es durch Zufall entdeckt, so als würde man durch das Labyrinth von Hampton Court spazieren, ohne in einer Sackgasse zu landen.