„Unzensuriert“ kommt nach Deutschland: Wir haben der Hetzseite bei der Geburt zugeschaut
Rechtsaktivisten bei der rechten Demo „Ein Jahr nach dem Kölner Silvesterprogrom“. Bild: Imago

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„Unzensuriert“ kommt nach Deutschland: Wir haben der Hetzseite bei der Geburt zugeschaut

Der einflussreiche Blog von FPÖ-Mitarbeitern bringt schwammige Halbwahrheiten und klare Feindbilder mit. Unsere Auswertung der bisherigen Artikel der deutschen Seite zeigt, wer hofiert und wer gehasst wird.

Auch in Österreich gibt es einen Exportüberschuss – zumindest, wenn es um Rechtspopulismus geht. Seit dem 30. März 2017 erscheint eines der erfolgreichsten Online-Medien der deutschsprachigen Rechten, Unzensuriert.at, nämlich auch mit spezialisierten Inhalten auf einer eigenen .de-Domain.

Die Artikel des Blogs verbreiten sich hauptsächlich durch virale Posts in sozialen Netzwerken und werden auf Facebook dank ihrer Emotionalität und ihrem Empörungs-Potential tausendfach geteilt. Mit dem Gerücht: „20 Asylwerber traten in Hungerstreik: Sie fordern 2.000 Euro netto Taschengeld" landete Unzensuriert.at sogar auf Platz drei der am meisten geteilten Artikel im deutschsprachigen Raum im gesamten Jahr 2015, wie der Analysedienst 10.000 Flies ausgewertet hat. Doch die 134.026 mal gelikte oder kommentierte Nachricht war eine Lüge. Der Hungerstreik hat nie stattgefunden, stellt die Kärntner Polizei klar. Wie Mimikama beschrieb, forderten die Flüchtlinge Grundsicherung bis zum Asylentscheid, errechnet nach den offiziellen Sätzen.

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Das zentrale Versprechen der Seite steckt schon in dem eigentümlichen Namen „Unzensuriert": Ziel ist es, Nachrichten zu veröffentlichen, die in den „Mainstream-Medien nicht oder nur sehr selten vorkommen". Kein Wunder – viele von ihnen sind schlicht und einfach falsch. Damit deutlicher wird, was die Macher unter „unzensurierten" Nachrichten verstehen, haben wir alle Artikel der ersten sechs Tage untersucht. Wie häufig wird über welche Themen positiv oder negativ berichtet? Mit dieser Methode konnte schon das Magazin Profil klar zeigen, welche Agenda die österreichische Unzensuriert-Version verfolgt. Was können wir also nach den ersten 54 Artikeln auf der deutschen Seite erwarten und wie will sich der Ableger positionieren?

Wie die deutsche Seite Stimmung machen will

Tatsächlich sind die neuen Inhalte sorgfältig auf den deutschen Markt zugeschnitten. Die Artikel auf der .de-Seite sind zuwanderungsfeindlich, islamophob, russland- und AfD-freundlich. Gern werden Geschichten von der rechten Online-Zeitung Epoch Times übernommen und verlinkt.

Mit einem bunten Mix aus Polizeimeldungen, als Fakten getarnten Kommentaren, Halbwahrheiten, klaren Feindbildern, unbelegten Behauptungen und Meldungen, die von anderen rechten Seiten oder umstrittenen Think Tanks übernommen werden, schafft es die Seite, sich als konstanter Aufreger zu behaupten, ohne allzu sehr auf die Kacke zu hauen. Damit spricht sie ein gemäßigteres Publikum an als zum Beispiel der Blog Halle-Leaks. Wie genau Unzensuriert.de sich in Deutschland in ihren Inhalten darstellt, zeigt ein aktuelles Beispiel auf der Seite:

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Schon in der Überschrift wird Bayern München-Kapitän Philipp Lahm beschuldigt, gegen die AfD zu „wettern". Tatsächlich warnte Lahm in einem Interview mit der Welt am Sonntag vor Rechtspopulismus in Deutschland und Europa, erwähnte aber die AfD mit keinem Wort. „Der Schwerverdiener hat natürlich keine Probleme mit Migranten", lautet die hämische Bildunterschrift.

Ein weiterer Artikel beschreibt zunächst, wie sich eine „langjährige Leserin" mit ihrem kranken Kleinkind unzureichend behandelt fühlt, da ein Krankenhaus dem Baby mit Grippe das verschriebene Antibiotikum nicht intravenös verabreichen wollte. Erstaunlicherweise gelingt es dem Artikel trotz vermeintlicher Themenferne, den Bogen so zu schlagen, dass am Ende doch Merkel oder Zuwanderer schuld am Leiden der Tochter sind – reichte doch irgendjemand irgendwann ein Foto ein, auf dem ein Schrank abgebildet ist, in dem Antibiotika für Flüchtlinge aufbewahrt werden. Für einen postulierten Zusammenhang der Marke 'Flüchtlinge werden bevorzugt, die eigene Bevölkerung darbt in einem maroden Gesundheitssystem' muss das reichen.

Eine Taktik, die man auch beim deutschen Ableger findet, zeigt sich besonders deutlich in einem Artikel der österreichischen Seite, in dem es um die „unaufhaltsame Islamisierung Deutschlands" geht. Dort steht die Zwischenüberschrift „In drei Jahren 25 Prozent Moslems in Deutschland". Diese Behauptung wird völlig frei von irgendwelchen seriösen Quellen aufgestellt. Erwähnt, aber nicht verlinkt wird das umstrittene Gatestone Institute, das wegen falscher Behauptungen über den Islam schon häufiger in der Kritik stand. Und die 25 Prozent Muslime? Das „zeigen Berechnungen". So, so. Leider versäumt es der anonyme Autor, mitzuteilen, ob es sich um Berechnungen handelt, die er selbst in seinem Kopf ausgeführt hat oder um ernstzunehmende Statistiken, die man in diesem Fall ja auch verlinken oder mit einer überprüfbaren Quellenangabe hätte versehen können.

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Erst auf schriftliche Nachfrage teilte uns Unzensuriert.de mit, dies habe „der bayrische Gemeindetagspräsident Brandl gesagt/errechnet.". Wie der aber überhaupt auf diese Zahlen kommt, wird wohl sein Geheimnis bleiben.

Bild: Screenshot unzensuriert.de

Eine Geschichte über einen Obdachlosen in Deutschland, der Falschgeld in Umlauf gebracht haben soll und im Polizeibericht als „englischsprachig" beschrieben wird, wird unter der Rubrik „Und täglich grüßt der Einzelfall" abgelegt, die sich mit einem dramatischen Banner voller Blut und Waffen schmückt und wohl auf die angebliche Todesgefahr durch „Ausländerkriminalität" hinweisen soll.

Die Texte starten mitunter so tendenziös, dass häufig nicht klar wird, ob es sich um Bericht oder Kommentar handelt. Ein Beispiel für einen Textanfang: „Weil es in großem Maße vorkommt, dass Migranten auf ihrer sogenannten Flucht ihre Pässe oder sonstigen Dokumente (allerdings niemals ihr Smartphone) verlieren,…" Und später: „Diese Migranten wollen nach (…) Deutschland und natürlich nach Österreich als das 'Sozialamt der Welt'."

Nicht nur irgendeine Seite, sondern eine perfide Stimmungsmacherin mit viel Einfluss und Reichweite

Die Expansion ins Nachbarland scheint logisch: Schon bevor der .de-Ableger an den Start ging, stammten über 53 Prozent der Leser auf Unzensuriert.at aus Deutschland. Die Facebook-Seite des österreichischen Blogs hat rund 53.000 Fans. Begleitend zum täglichen Online-Magazin mit rund acht neuen Artikeln pro Tag gibt es ein regelmäßig erscheinendes Video-Magazin auf YouTube, „Unzensuriert-TV".

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Das eigene Angebot bezeichnet die Seite als „Demokratisch, kritisch, polemisch und selbstverständlich parteilich." Bei der obenstehenden Themenauswahl wird man da natürlich leicht vereinnahmt. Um dem vorzubeugen, scheinen es die Betreiber für zielführend zu halten, das einfach zu verbieten. Im Impressum beider Ableger „distanziert sich [die Unzensuriert-Redaktion] von sämtlichen Seiten, die extremistisches oder verhetzendes Gedankengut transportieren und erklär[t] hiermit, dass eine Verlinkung von Unzensuriert.at durch die Betreiber dieser Webseiten unerwünscht ist".

Bild: Screenshot Similarweb

So richtig scheint das aber nicht zu klappen: Eine kurze Abfrage beim Analysedienst Similarweb zeigt nämlich, dass die allermeisten Besucher auf der Seite entweder vom rechten Kopp-Verlag oder vom alarmistisch-wirren News-Aggregator hartgeld.com stammen.

Unzensuriert ist nicht nur FPÖ-nah – sie ist die FPÖ

Wie das mit der Parteilichkeit gemeint ist, wird deutlich, wenn man sich anschaut, wer hinter der Seite steckt. Entstanden ist Unzensuriert.at aus Rundbriefen des 3. Nationalratspräsidenten und FPÖ-Mitglied Martin Graf. Als Chefredakteur wird in den Artikeln des Öfteren Alexander Höferl genannt, der gleichzeitig Leiter des FPÖ-Kommunikationsbüros ist. Höferl selbst allerdings bestreitet laut Profil kurioserweise, diesen Posten zu bekleiden, die Artikel verfasse ein „Redaktionskollektiv", behauptet der Geschäftsführer von Unzensuriert.at. Walter Asperl, der die Seite geschäftsführend verantwortet, ist wiederum Referent im Parlamentsklub der FPÖ. Die beiden waren außerdem so etwas wie die rechte und linke Hand von Martin Graf: Asperl war zuvor Grafs Büroleiter; Höferl war Grafs Pressesprecher.

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Somit kann die Seite nicht mehr nur als FPÖ-nah angesehen werden – sie ist die rechtspopulistische Partei und bildet dementsprechend auch die Sichtweisen der Rechtspopulisten recht genau ab. Wenn FPÖ'ler in TV-Debatten die ausgedruckten Artikel von Unzensuriert.at als vermeintlichen Pressebeleg für eine eigens aufgestellte These mitbringen, ist das ein bisschen so, als würde man sich als Schüler die eigenen Zeugnisse schreiben und damit bei den Eltern angeben.

Ob es eine deutsche Redaktion geben wird und wer die Inhalte presserechtlich zu verantworten haben wird, ist unklar. Die Autoren der Artikel sind nicht namentlich gekennzeichnet. Manche Formulierungen und Begriffe in deutschlandspezifischen Artikeln, wie zum Beispiel die in Österreich gebräuchlichen „Jänner" oder „Spital", deuten jedoch darauf hin, dass sie ebenfalls von österreichischen Autoren verfasst wurden.

Eine frühere Impressums-Version führte bis 2012 sogar noch den FPÖ-Präsidentenkandidat Norbert Hofer als Autor im Impressum auf. Mittlerweile stehen dort allerdings keine Namen mehr, sondern nur die „1848 Medienvielfalt Verlags GmbH" als Verantwortliche, die wiederum laut Handelsregister in Wien von Walter Asperl mitgeführt wird. Rechtlich allerdings sind diese Angaben unvollständig und so nicht zulässig. Laut §5 Telemediengesetz und §§55 Rundfunkstaatsvertrag muss bei einem journalistisch-redaktionellen Angebot auch im Internet eine verantwortliche Person als Ansprechpartner für den Inhalt genannt werden (Die Person muss sich zudem im Inland aufhalten). Solche juristischen Feinheiten werden aber möglicherweise nur in der Systempresse-Ausbildung berücksichtigt. Auch in der Vergangenheit gab es schon häufiger Probleme mit der Verantwortlichkeit für den Blog in Österreich – zum Beispiel bei der Zustellung von Klagen.

Unzensuriert wollte sich zu unseren konkreten Fragen zur Deutschland-Expansion bislang nicht äußern, sondern teilte gegenüber Motherboard nur mit: „Das grundsätzliche redaktionelle Konzept bleibt für beide Seiten gleich, Redakteure, die „vor Ort" berichten, wird es verstärkt geben." Unterschrieben war diese Mail mit dem Namen Walter Asperl.

Von der E-Mail-Adresse der „1848 Medienvielfalt Verlags GmbH" hieß es weiter: „Nach dem Unzensuriert.at sehr erfolgreich läuft und auch in Deutschland ein großes Interesse an Medien abseits des Mainstreams herrscht, haben wir uns entschlossen (…) uns spezieller mit der deutschen Innenpolitik zu beschäftigen."

Die Zahlen sprechen allerdings eine etwas andere Sprache: Denn der Analysedienst Similarweb zeigt auch, dass Unzensuriert.at nur noch rund 725.000 Besucher pro Monat hat – deutlich weniger als der „Rekordzugriff von 3,6 Millionen", mit denen sich die Seite noch im September 2015 brüstete.

Die entsprechenden Clickbait-Taktiken, um dagegenzusteuern, scheint Unzensuriert.de zu kennen: „So einfach stürzen Sie Merkel, Schulz und Co.: unzensuriert.de lesen, liken, teilen!", heißt es in einem aktuellen Artikel.