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5 Tipps, wie du jede Diskussion über vergewaltigende Flüchtlinge überlebst

Der Fall der vergewaltigen und ermordeten Studentin aus Freiburg lässt eine neue Welle des Hasses hochkochen. Mit diesen Argumenten bringst du besorgte Bürger zum Schweigen.

Titelfoto: Menschen, die es mit Zahlen und Fakten nicht so genau nehmen | Foto: imago | IPON

In Freiburg wurde eine Studentin ermordet und der mutmaßliche Täter ist ein geflüchteter Mann aus Afghanistan. Für die AfD und viele besorgte Bürger ist das die Bestätigung, dass Zuwanderer gewaltbereiter gegenüber Frauen sind. Und der endgültige Beweis dafür, dass das Frauenbild vieler arabischer Männer unsere Gesellschaft in ernsthafte Gefahr bringt. Dass das nicht stimmt, lässt sich sogar belegen. Damit ihr im nächsten Gespräch nicht von Pauschalurteilen und gefährlichem Halbwissen untergebuttert werdet, haben wir einen Leitfaden mit Argumenten zusammengestellt.

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1. Vorsicht beim Umgang mit Zahlen

Laut Kriminalstatistik wurden im Jahr 2015 37 Prozent der Straftaten in Berlin von Ausländern begangen. Das hört sich nach einer hohen Prozentzahl an. Schlüsselt man diese jedoch auf, ergibt sich plötzlich ein ganz anderes Bild. Zum einen gibt es Straftaten, die nur von Nichtdeutschen begangen werden können, darunter fällt beispielsweise die illegale Einreise.

"Man muss schon vom Himmel fallen, um in Deutschland legal einzureisen. Das ist von den Schengenstaaten ziemlich gut abgeriegelt. Legale Asylbewerber sind eigentlich nur Personen, wie zum Beispiel Studenten, die mit einem Visum einreisen und nach dessen Ablaufen Asyl beantragen", fasst Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat Leipzig diese Situation gegenüber VICE zusammen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jeder Flüchtling, der auf dem Landweg nach Deutschland eingereist ist, eine Straftat begangen hat. Somit fallen quasi alle Flüchtlinge in die 37 Prozent. Dazu kommen die Straftaten, die auch von Ausländern, aber nicht von Geflüchteten, sondern von Touristen, Austauschschülern, Fernfahrern oder organisierten Banden verübt wurden. Und plötzlich sieht die Zahl der kriminellen Flüchtlinge weniger bedrohlich aus.

Auch der Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen, Kriminologe Jörg Kinzig, warnt vor simplen Interpretation der Zahlen: "Natürlich nimmt die Zahl der Straftaten von Asylbewerbern zu, wenn immer mehr Asylbewerber da sind. Das muss aber noch nicht unbedingt bedeuten, dass die Straftaten dieser Bevölkerungsgruppe überproportional zunehmen", sagte er VICE.

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2. Das Täterprofil "Flüchtling" gibt es nicht

Es bestehe kein Zusammenhang zwischen Nationalität und Kriminalität, es lasse sich lediglich sagen, dass Männer häufiger zu sexuellen Straftaten neigen als Frauen. Deutsche genauso wie Migranten, äußert sich Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen im WDR. Viel mehr spielten persönliche Faktoren eine Rolle für die Entwicklung, beispielsweise ob die Männer in ihrer Kindheit genug Liebe von ihren Eltern erfahren haben.

"Um eine Aussage zu treffen, ob Asylsuchende mehr zu sexueller Gewalt neigen als Deutsche, müsste man genaue Zahlen und Relationen haben von Deutschen und Flüchtlingen. Diese Zahlen gibt es aber bisher noch nicht", sagt Jörg Kinzig. Also bringt es auch wenig, über die Herkunft des Täters zu diskutieren.

3. Einzelfälle bleiben Einzelfälle

Die Tagesschau hat viel Kritik dafür bekommen, dass sie nicht sofort über die Vergewaltigung und den Mord an der Freiburger Studentin berichtet hat. Der Vorwurf wurde laut, dass die "Lügenpresse" sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen verschweigt. Jörg Hinze ist aber der Meinung, dass die überregionale Presse richtig gehandelt hat, indem sie zurückhaltender berichtete: "Dadurch, dass diese Einzelfälle so intensiv diskutiert werden, entsteht das Zerrbild in der Gesellschaft, alle Zuwanderer seien gefährlich", sagt er. "Soll die Tagesschau jetzt über jeden Mord berichten? Oder nur über Morde, die von Asylsuchenden begangen wurden? Das ist einigermaßen absurd."

Ein solcher Fall gehört in die regionale Presse. Für die überregionale Presse ist er nur dann relevant, wenn der Einzelfall die Gesamtsituation in ganz Deutschland verdeutlicht. Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Sexualstraftaten in Deutschland ist seit Mitte der 1980er Jahre um 90 Prozent zurückgegangen und das, obwohl die Anzahl der Asylbewerber zugenommen hat.

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4. Ausländer werden schneller verdächtigt

Ausländer neigen nicht öfter zu Vergewaltigungen als Deutsche, trotzdem stehen sie häufiger unter Verdacht. "Fremde" werden erfahrungsgemäß eher angezeigt, das ist ein Phänomen, das sich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit beobachten lässt, erklärt Pfeiffer beim WDR. Es gibt recht menschliche Gründe dafür, dass deutsche Sexualstraftäter oft durch das Raster fallen. Es ist einfacher, einen Unbekannten anzuzeigen, der nicht einmal deine Sprache versteht, anstatt den Sohn der Nachbarn, der jedes Wochenende seine Wäsche bei Mutti vorbeibringt. Die Dunkelziffer der deutschen Sexualstraftäter ist hoch. Und übrigens, die meisten sexuellen Übergriffe werden nicht von Fremden begangen—sondern von Menschen aus dem Umfeld des Opfers.

Zur Anzeige gebracht werden diese Täter jedoch selten. "Es wäre eine Schande für die gesamte Familie und für die Opfer, ist die Tat von vornherein schon peinlich und verletzend. Bei ausländischen Tätern ist das anders", so Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat Leipzig. "Da wird ein Übergriff relativ schnell gemeldet. So führen selbst kleine Vergehen zur Strafanzeige und der Verdächtige geht in die Statistik ein." Ob die Tat jedoch wirklich in dieser Weise stattgefunden hat, dafür ist die Beweislage in vielen Fällen äußerst schwierig.

5. Verfalle nicht in einen "Zwei-Fronten-Krieg"

Als Jörg Kinzig der DPA ein Interview darüber gegeben hat, dass Asylsuchende nicht krimineller sind als Deutsche, hat er viele Drohanrufe und Hass-Mails bekommen. "Einer hat gesagt, der Täter hätte lieber mich als das Mädchen töten sollen", sagt er. Wenn es um das heikle Thema Flüchtlinge geht, gibt es oft nur absolute Meinungen. Die einen wettern gegen Flüchtlinge—die anderen wettern gegen die, die wettern. "Zunehmende Ausdifferenzierung zwischen Asylgegnern und Asylbefürwortern führt zu einer latenten Radikalisierung des bereits bestehenden gesellschaftlichen Diskurses", bemerkt das BKA in einem Bericht.

Aber statt sich nur aus Prinzip gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, würde es helfen, darüber zu reden, wie man die Probleme löst. Ja, auch unter Flüchtlingen gibt es Menschen, die stehlen, vandalisieren und vergewaltigen. Sie sind in der absoluten Minderheit. Aber darüber muss man offen sprechen können—und gucken, was man dagegen tun kann.

Auch viele Flüchtlinge selbst wollen sich gegen Übergriffe gegen Frauen engagieren: "Nach der Silversternacht in Köln war die Beratung bei uns voll. Ganz viele aus der Community wollten helfen. 'Das ist eine Schande, das will ich ändern', war der allgemeine Tenor", so Brogiato. Und das können sie am allerbesten: "'Du bist eine Schande für deine Familie, du bist eine Schande für dein Land und deine Religion, wenn du so etwas machst', so reden sie mit den Geflüchteten. Und das wirkt."

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