Schlauer mit Smart Drugs: Die DIY-Doktoren, die mit Nootropics experimentieren
Steve Cronin | YouTube

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Schlauer mit Smart Drugs: Die DIY-Doktoren, die mit Nootropics experimentieren

Im Kampf gegen chronische Borreliose macht sich Steve Cronin zum Versuchskaninchen der Smart Drugs.

Der Tag des YouTubers Steve Cronin beginnt mit 15 Minuten intensiver Meditation. Zum Frühstück mischt er sich dann ungesalzene Bio-Butter, MCT-Öl und Bio-Kokossnussöl in seinen Tee. Und zum krönenden Abschluss nimmt er gemäß seines strengen Diätplans täglich wechselnd eine selbst zubereitete Mischung aus zwei verschiedenen Smart Drugs.

Um seiner stetig wachsenden Fangemeinde auf seinem YouTube-Kanal regelmäßig neue Videos anzubieten, variiert Cronin seine Konsumgewohnheiten ab und zu. Die Nootropics-Szene interessiert sich nicht nur dafür, selbst mit Smart Drugs zu experimentieren, sondern die Ergebnisse dieser verschiedenen Selbstversuche genau zu beobachten und darüber Zeugnis abzulegen..

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Cronin selbst experimentiert schon seit er 19 Jahre alt ist mit Smart Drugs. Damals litt er an einer geheimnisvollen Krankheit, die sich lange Zeit kein Arzt erklären konnte. Später stellte sich heraus, dass es sich um chronische Borreliose handelte. Heute, im Alter von 27 Jahren, schätzt er, dass er bereits mindestens 40 unterschiedliche Smart Drugs probiert hat.

„Meine Zuschauer suchen nach Informationen, die ihnen dabei helfen, die richtigen Entscheidungen in Sachen Nootropics zu treffen", erklärte Cronin die Motivation für seinen YouTube-Kanal gegenüber Motherboard. „Ich möchte sachkundige Auskunft geben können und gleichzeitig zeigen, dass man mit Drogen verantwortungsbewusst umgehen sollte. Meine persönlichen Erfahrungsberichte sollen der Gemeinschaft lediglich dabei helfen, eine eigene Entscheidung zu treffen."

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Der Begriff der „Nootropics" wurde maßgeblich von dem Psychologen und Chemiker C. C. Giurgea geprägt und setzt sich aus den griechischen Wörtern nous für „Verstand" und trepein für „sich auf etwas zubewegen" zusammen. 1964 stellte Guirgea mit Piracetam seine erste Smart Drug synthetisch her. Obwohl er zugab, dass ihm die genaue Wirkung nicht bekannt sei, glaubte er, dass die Droge die Gehirnleistung ankurbeln könne und begann daraufhin, die Idee der Nootropics weiter zu erforschen. Piracetam ist in den USA weder als Arzneimittel noch als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen.

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Heute werden Smart-Drugs häufig dem Überbegriff des Bio-Hackings zugeordnet. Dazu zählen gleichermaßen das Implantieren von RFID-Chips wie auch das Experimentieren mit neuen Drogen—alles in der Hoffnung, die biologischen Grenzen des Körpers zu überwinden und zu erweitern.

„Ich war ständig erschöpft, konnte meine Umwelt nicht wie sonst wahrnehmen, war verwirrt, vergaß vieles, hatte kein wirklich gutes Zeitgefühl mehr und jeden Tag Schmerzen hinter meiner Stirn und den Augen."

Giurgea setzte große Hoffnung in die Substanzen: Sie sollten die Kognition verstärken, den Folgen des Alterns entgegenwirken, Kindern mit Sprachstörungen und anderen Krankheiten helfen sowie die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen unterstützen.

„Die Forschung im Bereich der Nootropics ist inzwischen sehr facettenreich, da wir unser neurochemisches und neurophysiologisches Verständnis von der Wirkung der Nootropics vertiefen müssen", beschrieb der Wissenschaftler sein Forschungsgebiet im Jahr 1982. Giurgea setzte sich ambitionierte Ziele: Es gehe darum, „die klinischen Anwendungsmöglichkeiten zu ermitteln; das bisherige Wissen auf andere, bestehende Drogen auszuweiten, die mit Piracetam klinisch und vielleicht auch pharmakologisch verwandt sind; und darum neue, stärkere und speziellere nootropische Substanzen zu entdecken."

Nootropics wirken nicht nur auf eine Art, da die Bandbreite der Drogen, die unter dem Begriff zusammengefasst werden, sehr groß ist. Manche Drogen wie L-Theanin werden rezeptfrei als Nahrungsergänzungsmittel in Apotheken verkauft, andere Substanzen wie Adderall hingegen unterliegen in den USA strengen Kontrollen.

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Für das Wachstum, das die Szene der Nootropics-Fans in den vergangenen Jahren verzeichnete, gibt es zahlreiche Gründe. Nicht nur der Film und die Serie Limitless verschafften Smart Drugs eine gewisse Aufmerksamkeit—auch die Möglichkeit sich anonym in Foren wie dem stetig expandierenden Nootropics-Subreddit machten die Mittel bekannter. Schließlich gibt es da noch die kommerziellen Nootropics-Händler, die die boomende Nachfrage mit immer weiter ausdifferenzierten Produkten bedienen.

Dabei ist noch nicht einmal klar, wie viele Smart Drugs es inzwischen überhaupt gibt. Die Nootropics-Informationsseite Nootriment listet 120 unterschiedliche Drogen auf, während der Subreddit r/nootropics auf einen Forschungsindex mit über 200 Produkten verweist, die eine kognitive Wirkung haben könnten.

Cronins spezielle Nootropics-„Diät" umfasst jeden zweiten Tag eine Mischung aus Cholin und Aniracetam, eine Mischung, die potentiell auch als Antidepressivum angewendet werden könnte. „Theoretisch geht aus diesen beiden Bestandteilen der Neurotransmitter Acetylcholin hervor, der sich positiv auf die Konzentrationsfähigkeit auswirkt", so der YouTuber.

Sobald bei einem Nutzer nach Einnahme eines bestimmten Nootropikums aber Nebenwirkungen auftreten, ist es entscheidend, die jeweiligen Substanzen abwechselnd einzunehmen, so Cronin. Zwar sind diese Nebenwirkungen laut seinen Angaben nicht sonderlich schwer— doch Symptome wie beispielsweise Kopfschmerzen können die Wirksamkeit von Drogen wie Modafinil stark einschränken. Modafinil ist eine Adderall-ähnliche Droge, die auch „Wachheits-Verstärker" genannt wird, und in den USA bei Krankheiten wie dem Schichtarbeits-Syndrom oder bei Narkolepsie ausschließlich auf Rezept zu erhalten ist. An den Tagen, an denen Cronin seine spezielle Mischung aus Aniracetam und Cholin nicht einnimmt, konsumiert er Modafinil, dessen Wirkung mit Hinblick auf Konzentration und Motivation laut ihm zwar nur ansatzweise so stark wie die von Drogen wie Adderall ist, dafür aber auch weniger mögliche Nebenwirkungen hat.

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Cronin setzt in seinem Alltag noch weitere Maßnahmen um, die sein Leben verbessern sollen: Neben sportlichem Training und einer Low-Carb-Diät nimmt Cronin zusätzlich jeden Abend vor dem Schlafen viel Magnesium, das auf ihn beruhigend und entspannend wirkt.

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Cronin traf seine schwere Krankheit erstmals vor neun Jahren.

„Die Krankheit raubte mir meine intellektuelle Leistungsfähigkeit", sagte er. „Ich lief wie benebelt durch die Gegend. Ich war ständig erschöpft, konnte meine Umwelt nicht wie sonst wahrnehmen, war verwirrt, vergaß vieles, hatte kein wirklich gutes Zeitgefühl mehr und jeden Tag Kopfschmerzen und Schmerzen hinter meiner Stirn und den Augen."

Wie er Motherboard berichtete, klapperte er alle Ärzte in der Gegend ab, bevor er schließlich die richtige Diagnose hörte: Chronische Borreliose. Borreliose ist eine bakterielle Infektion, die häufig von Zecken auf den Menschen übertragen wird. Die Symptome beinhalten unter anderem vorübergehende Gesichtslähmung, Taubheit und Schwäche, Gedächtnisstörungen, Herzbeschwerden, Hepatitis und vieles mehr.

Laut der International Lyme and Associated Diseases Society tritt eine Erkrankung an chronischer Borreliose dann auf, wenn eine mangelnde Behandlung oder einer Fehldiagnose in der Anfangsphase vorliegt.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Steve Cronin

Das Erlebnis mit seiner Krankheit führte bei Cronin zu der Erkenntnis, dass Ärzte „nicht wirklich allwissend und unfehlbar" sind.

Nach langen Behandlungen mit starken Antibiotika verkündeten die Ärzte Cronin, dass er 80 Prozent seines vorherigen Gesundheitszustandes wiedererlangen würde. Und die restlichen 20 Prozent? Er hatte manchmal immer noch Probleme beim Denken. „Es tut uns leid, aber so wird es für immer bleiben, oder zumindest so lange, bis wir eine Lösung gefunden haben", rezitiert er die Worte der Ärzte heute.

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Inzwischen hat hat Cronin seinen Master in Transpersonaler Psychologie abgeschlossen—ein seltener Studiengang, der klassische Psychologie mit Elemente aus dem spirituellen Bereich verbindet und sich auf auf entwicklungspsychologische Ansätze wie die Maslowsche Bedürfnispyramide konzentriert. Das höchste Gut in diesem Modell ist die Selbstverwicklichung, die Maslow selbst folgendermaßen definiert: Was ein Mensch sein kann, muß er sein—und demnach sollte er jedes bisschen Potenzial nutzen. Für Cronin selbst bedeutete das, seiner Krankheit mit Smart Drugs entgegenzuwirken.

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Die meisten seiner Videos dreht Cronin, der inzwischen von Houston nach New York gezogen ist, bei sich zuhause. Cronin beginnt seine Videos, die ihn meist in seinem Arbeitszimmer zeigen, mit einer energiereichen Einleitung, in der er wild herum gestikuliert und dabei direkt in die Kamera blickt. Seine Moderation erinnert gleichermaßen an die Überzeugungskraft einer Dauerwerbesendung wie an die ungezähmte Begeisterung eines Straßenpredigers—sie kommt aber zu keinem Zeitpunkt gespielt oder falsch rüber. Egal ob er gerade über einen „Chaga Mushroom Drink" oder über die integrale Theorie spricht, seine Leidenschaft ist unübersehbar.

Als Nootropics-Fan ist Cronin in den USA in einer etwas eigenartigen Lage. Denn zumindest die weniger starken Substanzen, die anders als zum Beispiel Adderall nicht illegal sind, werden als Nahrungsergänzungsmittel klassifiziert und verkauft. Das bedeutet aber auch, dass sie nicht durch die Zulassungsbehörde FDA, die sonst Medikamente überwacht, kontrolliert werden—und das ist für die Kunden keineswegs immer vorteilhaft: Denn es führt dazu, dass es kaum legale Wege gibt, Kunden vor falschen Stoffen und Abzocke zu schützen. Ein Sprecher der FDA erklärte gegenüber Motherboard, dass laut dem Dietary Supplement Health and Education Act von 1994 jedes Unternehmen selbst für die Sicherheit der verkauften Produkte sowie für die Garantie ihrer Wirksamkeit verantwortlich sei.

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Die FDA nimmt ein Nahrungsergänzungsmittel erst vom Markt, wenn feststeht, dass „die Produkte verfälscht (dass heisst, dass das Produkt unsicher ist), falsch deklariert oder nicht nach den festgelegten Standards produziert sind."

Die mangelnde Kontrolle sorgte dafür, dass öffentliche Foren und selbstständige Feldforscher wie Cronin eine Marktlücke füllen: Sie helfen Einsteigern dabei, sich in der unübersichtlichen Nootropics-Szene zurechtzufinden. Cronin nimmt häufig in den Kommentaren unter seinen Videos Kontakt mit seinen Fans auf, die ihn nach allem Möglichen von spezifischen Substanzen bis hin zu Einnahmetipps fragen.

„Ich habe mich schon immer dafür interessiert, die Leistungsfähigkeit des menschlichen Verstandes zu verbessern—also zum Beispiel die Konzentration, die Produktivität und die allgemeine geistige Fähigkeit zu steigern", kommentiert beispielsweise der Informatikstudent Zach, der Nootropics erst vor kurzem für sich entdeckt hat.

Die fehlende Qualitätskontrolle durch die FDA führt dazu, dass es kaum legale Wege gibt, Kunden vor falschen Stoffen und Abzocke zu schützen.

Zach wollte sich nicht auf Drogen wie Adderall und deren starke Nebenwirkungen einlassen. Seine Suche nach Alternativen führte ihn schließlich zu YouTube-Kanälen wie dem von Cronin. „Wegen [Steves] Enthusiasmus und persönlicher Hingabe komme ich immer wieder zu seinem Kanal zurück. In seinen Videos erzählt er sehr aufschlussreiche Sachen, die wirklich hilfreich sind."Steves Auftreten als jemand, der Smart Drugs von verschiedenen Seiten beleuchtet, ist für Zach ein entscheidendes Kriterium, um sich seine Informationen bei ihm zu besorgen. „Das macht bei Berichten über Smart Drugs und ihre Wirkung sehr viel aus und ist unglaublich wichtig."

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Nach sechs Monaten und über 100 hochgeladenen Videos ist Cronins Abonnentenzahl von ein paar Hundert auf über 8.000 angewachsen. Das sind vielleicht nicht ganz so viele Abonnenten wie manch ein anderer YouTube-Star verzeichnen kann, doch wie andere Nischenszenen auf YouTube ist auch die Nootropics-Community sehr aktiv und bringt sich stark ein. Cronins Kanal ist innerhalb der Community immerhin so groß, dass er regelmäßig Produkte von diversen Unternehmen zugeschickt bekommt, die auf seine positiven Reviews hoffen.

Doch nicht alle Erfahrungen, die Cronin gemacht hat, waren positiv. Die Smart Drug Noopept, die eigentlich sein Kurzzeitgedächtnis verbessern sollte, bewirkte das genaue Gegenteil.

„Es gab dieses Zeitfenster von etwa vier Stunden, in dem mein Kurzzeitgedächtnis so stark beeinträchtigt war, dass ich mich, nachdem ich etwas gemacht habe, eine Minute später nicht mehr erinnern konnte, ob ich es tatsächlich gemacht habe", sagte er. „Ich konnte mich nicht mal mehr an simple Sachen erinnern, wie zum Beispiel, ob ich die Tür abgeschlossen oder bereits etwas gegessen habe."

„Es gibt da draußen so viele Smart Drugs, die die Menschen auf viele unterschiedliche Arten beeinflussen. Ob sie einem helfen oder nicht, ist also Glückssache", sagte er.

Trotzdem ist Cronin der Meinung, dass die positiven Aspekte überwiegen, und dass es wichtig ist, auf YouTube beide Arten der Erfahrung mitzuteilen. Momentan stellt sein Kanal eine der wenigen Möglichkeit dar, sich Informationen über die Nootropics zu holen, die potentielle Nutzer vielleicht ausprobieren möchten.

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Die Frage, ob Nootropics tatsächlich wirken, und falls ja, auf welche Weise, bleibt aber weiterhin unbeantwortet.

Zum jetzigen Zeitpunkt bietet Mundpropaganda—oder, wie Cronin es nennt, „Crowdscience"—die verlässlichste Quelle für Nootropics-Fans. Er ist auch nach seinen eigenen Erfahrungen und nach Gesprächen mit anderen aus der Nootropics Community etwa bei Konferenzen wie dem Biohacker Summit fest davon überzeugt, dass die Auswirkungen der Smart Drugs real sind.

„Die Idee der Crowdscience ist in meinen Augen eine gute und bietet vor allem einen schnelleren Weg, die ‚Gateway'-Nootropics zu identifizieren, als es eine Sammlung bevorstehender wissenschaftlicher Studien tut", sagte er.

Dr. Martha J. Farah, Leiterin des Center for Neuroscience and Society an der University of Pennsylvania, ist eine der wenigen Wissenschaftler im Bereich der „Neuroethik."

In einem aktuellen Artikel für das Science-Magazin kritisiert Farah die mangelnde Erforschung von Mitteln zur Verbesserung kognitiver Fähigkeiten, und beschäftigt sich dabei auch mit Nootropics. „Die Mehrheit der Studien über die Effektivität dieser Substanzen hatten einen sehr kleinen Umfang und wurden selten mit mehr als 50 Probanden durchgeführt, was die Aussagekraft der Ergebnisse verringert", schrieb sie. „Der einzige umfangreichere Versuch ist der beträchtliche, aber doch unkontrollierte sowie kaum überwachte Versuch all der Menschen, die diese Drogen momentan auf eigene Verantwortung ausprobieren."

Farah merkte auch an, dass Nootropics auf jeden Menschen unterschiedliche Auswirkungen haben können. „Die Verbesserung kann in ihrem Wirkungsgrad je nach biologischer und psychischer Gesundheit der Person stark variieren. Diese Tatsache erschwert den Versuch, das wahre Potential der Substanzen zu bestimmen, zusätzlich", schrieb sie im Science-Magazin.

Eine von Cronins Lieblingsdrogen ist Modafinil, dessen Verkauf von der FDA kontrolliert wird, und von vielen mit der fiktiven Pille aus dem Film Limitless verglichen wurde.

Was aber das Erreichen eines höheren Bewusstseins wie im Film Limitless angeht, ist Cronin eher skeptisch. „Ich glaube nicht, dass jemand durch Drogen plötzlich im Stande sein wird, täglich hunderttausende Dollar zu verdienen", sagte er. „Das überlassen wir dann wohl doch besser der Science Fiction und den Fantasy-Welten."