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Das kannibalistische Ende der Franklin-Expedition

Eine wissenschaftliche Analyse der Knochenfunde aus der Franklin-Expedition zeigt die schaurigen Auswirkungen von Verzweiflung und Hunger.
Da waren sie noch voller Hoffnung: Die Schiffe Erebus und Terror beim Auslaufen. Bild: Wikimedia, Public Domain

Im Jahr 1845 stieß der britische Polarforscher Sir John Franklin zu seiner dritten großen Forschungsreise in See. Mit den luxuriös ausgestatteten Schiffen Erebus und Terror sowie einer 129 Mann starken Mannschaft brach er auf, um die Nordwestpassage zu durchsegeln und einen kürzeren Seeweg von Europa nach Asien zu finden.

Er sollte nie von dieser letzten Reise zurückkehren.

Nachdem die Nachrichten von Franklin und seiner waghalsigen Expedition schon lange Zeit ausgeblieben waren, wurden im März 1848 die ersten groß angelegten Suchen nach den Verschollenen aufgenommen. Außer einigen Seemannsgräbern und zurückgelassenen Ausrüstungsgegenständen auf der Beechey-Insel wurde jedoch nichts gefunden. Eher zufällig entdeckte der Forscher John Rae kurze Zeit später Gegenstände der Franklin-Expedition im arktischen Küstenbereich bei den dort ansässigen Inuit. Rae erfuhr bei seinen genaueren Nachforschungen, dass die Einheimischen hungernde, frierende Männer in Richtung Süden hatten vorbei ziehen sehen—und auch von Kannibalismus war die Rede.

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Die Routen von Erbeus und Terror. BLAU: Von Disko Bay (5) nach Beechey Island im Jahr 1845. VIOLETT: Einmal um Cornwallis Island (1) im Jahr 1845. ROT: Von Beechey Island runter nach Peel Sound zwischen Prince of Wales Island (2) im Westen, Somerset Island (3) und der Boothia Peninsula (4) im Osten bis zu einem unbekannten Ort nordwestlich von King William Island im Jahr 1846. Disko Bay (5) ist circa 3.200 km von der Mündung des Mackenzie River (6) entfernt.

Diese Geschichte konnte bisher allerdings nicht weiter bestätigt werden, auch wenn sie unter den Inuit noch immer von Generation zu Generation weitergegeben wird. Für lange Zeit blieb der Verbleib der Franklin-Expedition ein Rätsel und beschäftigt die Wissenschaft noch heute. Im Laufe der Jahre wurden 418 Knochen gefunden, deren Schnittspuren die Forscher zu allerhand Fantasiegeschichten inspirierten. Erst im Herbst letzten Jahres wurde dann schließlich das Wrack der Erebus gefunden.

Sir John Franklin. Bild: Wikipedia, Dibner Library Portrait Collection | Public Domain

Es sollte dann noch einmal einige Monate dauern, bis eine ausführliche Analyse von 35 Knochen, die in den 1980er Jahren in Booth Point und Erebus Bay gefunden wurden und vermutlich von den Männern der Franklin-Expedition stammen, konkrete Anhaltspunkte ans Tageslicht brachte, zu welchen Taten die Verzweiflung der Forscher wohl geführt hatte.

Laut der Studie des Archäologen Simon Mays von der Regierungsorganisation Historic England und Anthropologen Owen Beattie von der University of Alberta hatten die Expeditionsteilnehmer nach einem Feststecken im Packeis auf ihrem aussichtslosen Weg durch die Eiswüste zu einer drastischen Maßnahme gegeriffen—und das Fleisch von den Knochen ihrer verstorbenen Mannschaftsmitglieder abgeschabt und gegessen.

Die Gräber auf der Beechey-Insel. Bild: Wikipedia, Russel A. Potter | Gemeinfrei

Die Schnittspuren an den Knochen sprechen dafür, „dass das Fleisch von den Knochen der Leichen geschnitten und ihre Körper zerteilt wurden", so Mays und Beattie in ihrer Studie. Und ihre Ergebnisse offenbaren noch weitere schaurige Erkenntnisse der Hoffnungslosigkeit. Anscheinend kochten die Männer die abgenagten Knochen sogar und saugten das Mark aus dem Inneren heraus, wie gezielte Bruchstellen und abgescheuerte Enden, wie sie beim Kochen entstehen, andeuten.

„Wenn unsere Interpretation korrekt ist, dann ist dies der erste osteologische Beweis für einen extremen Kannibalismus bei den Mitgliedern dieser Expedition", schreiben die Autoren. Auch wenn die Reise für die Forscher damals auf schreckliche Weise ein Ende fand, so hatte die Franklin-Expedition aus historischer Sicht dennoch positive Auswirkungen auf zukünftige Entdeckungsreisen.

Anstatt die Schiffe mit Mahagonischreibtischen, Silberbesteck und 200 Bibeln vollzuladen, orientierten sich die zukünftigen Forscher an den Überlebenstechniken der Einheimischen. Im Jahr 1906 passierte Roald Amundsen dann als erster Mensch die Nordwestpassage. Seine Ausrüstung bestand lediglich aus leichten Karibu-Fellen, um sich warm zu halten, sowie einem Hundeschlitten. Als Maßnahmen gegen Hunger wurde auf gegrillte Schlittenhunde zurückgegriffen—und von denen hatte er genug dabei.