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Apple ignoriert noch immer den größten Design-Fehler der iPhone-Geschichte

Tausende iPhone 6 gehen trotz normaler Bedienung einfach kaputt, doch Apple reagiert nicht. Eine Sammelklage soll Apple nun zu einer Reaktion zwingen.

Titelfoto: Die grauen Balken am oberen Rand der Screen bedeuten: das iPhone hat die  Touch-Krankheit. Bild: Trent Dennison

Das brandneue iPhone 7 wird inzwischen sowohl in Deutschland als auch in den USA ausgeliefert. Das ändert allerdings nichts daran, dass Apple den gravierendsten Hardware-Defekt, den es je in einer seiner erfolgreichsten Produktlinien gab, nach wie vor ignoriert.

Nur zwei Jahre nach dem Release des iPhone 6 Plus berichten mittlerweile tausende Nutzer, dass die Touchscreens ihrer Geräte trotz normaler Bedienung komplett funktionsunfähig sind. Experten zufolge ist dies das Ergebnis eines Konstruktionsfehlers, der schon zu den unter dem Begriff „Bendgate" bekannt gewordenen verbogenen iPhones geführt hatte.

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Der Touchscreen-Tod des iPhone 6 Plus scheint sich epidemieartig ausgebreitet zu haben. Trotzdem gibt es von Apple bislang keinerlei Reaktion. Dies lässt die Verbraucher im Dunkeln und schadet außerdem unabhängigen Reparaturdienstleistern. In vielen Fällen berechnet Apple hunderte von Dollar, um ein kaputtes Handy zu reparieren, welches dann wieder mit derselben Art von Touchscreen ausgerüstet wird, die bereits zum vorherigen Totalausfall geführt hatte.

„Die Touch-Krankheit"

Das Logicboard des iPhone 6 und des iPhone 6 Plus enthält zwei winzige als „Touch IC" bezeichnete Chips, die Fingerberührungen in maschinenlesbare Informationen umwandeln. Diese Chips sind allerdings in einem Teil des iPhone 6 Plus angesiedelt, der besonders anfällig für Verbiegungen ist—ein bekanntes Problem des Smartphones. Bei normalem Gebrauch biegt sich das Gerät zwar nur minimal, dafür aber ständig hin und her: Jedes mal wenn man es aus der Tasche nimmt, wenn man darauf sitzt oder wenn man es fallen lässt, treten solche leichten Verbiegungen auf. Diese ganzen Miniverbiegungen zusammen können irgendwann schließlich dazu führen, dass sich die Verlötung der Chips mit dem Logicboard löst. Dadurch entsteht das Problem, das die Reparaturindustrie mit der Diagnose „Touch-Krankheit" bezeichnet.

Die „Touch-Krankheit" kann unterschiedlich schwer ausfallen, aber in den meisten Fällen macht sie sich durch eine Reihe grauer Balken am oberen Rand des iPhone-Bildschirms bemerkbar. Gleichzeitig reagiert der Touchscreen fehlerhaft. Einige Nutzer berichten, dass sie höheren Druck auf bestimmte Teile ihres iPhones ausüben müssen, um die Touchfunktionalität zeitweilig wiederherzustellen. Andere erklären, dass der Touchscreen nur an bestimmten Stellen funktioniert. In vielen Fällen ist das iPhone einfach nicht mehr zu gebrauchen und reagiert gar nicht mehr auf Berührungen. Wird der Screen ersetzt, so hilft das auch nicht weiter, da sich die Touch IC Chips auf dem Logicboard des Telefons befinden.

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Da sich das iPhone 6 längst nicht so sehr verbiegt wie das iPhone 6 Plus, kommen die Touch IC-Probleme in den kleineren Telefonen seltener vor; es gibt sie aber auch hier. Beim iPhone 6S und dem 6S Plus hat Apple die Touch IC Chips vom Logicboard entfernt und stattdessen in die Display-Einheit selbst verlagert. Das macht diese Modelle auch 3D-Touch-fähig.

„Es handelt sich hierbei ganz klar um einen Designfehler. Die Verbraucher machen ja gar nichts falsch, sie benutzen ihre iPhones ganz normal," merkte Mark Shaffer vom unabhängigen Reparaturservice iPad Rehab gegenüber Motherboard an. „Es bleibt einem eigentlich nicht anderes übrig, als alle Aktivitäten zu vermeiden, die zum Verbiegen des Telefons führen könnten. Das Telefon nicht fallen lassen und auf keinen Fall eine Hülle benutzen, bei der man das iPhone immer kraftvoll rein und rausdrücken muss. Das iPhone nicht in die hintere Hosentasche stecken und auch nicht in die vordere, falls sie eng ist. Am besten gar nicht in irgendwelche Taschen stecken."

So sehen die beiden IC Touch Chips aus. Bild: iFixit

Das Auftreten der „Touch-Krankheit" ist kein Geheimnis. Unabhängige Reparaturfachleute, mit denen Motherboard gesprochen hat, kennen das Problem mit dem iPhone 6 Plus schon fast seitdem es auf den Markt gekommen ist. Sie beobachten aber nun einen sprunghaften Anstieg in der Zahl defekter iPhones, da jetzt die ersten Garantieverträge für das iPhone 6 auslaufen. Die Ablösung der Touch IC Chips ist dabei eine Verschleißerscheinung, die erst nach einiger Zeit auftritt.

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„Mein Job besteht gerade zu großen Teilen daraus, Touch ICs zu ersetzen", sagte Shaffer gegenüber Motherboard. „Es fing mit den Aufträgen im November richtig an, als die ersten Garantieverträge ausliefen. Damals bekamen wir eine Handvoll Aufträge pro Monat, mittlerweile sind es schon zwischen 5 und 15 pro Tag."

Auszug aus einer Sammelklage, die die Lösung des Problems durch Apple verlangt.

Auch andere Vertreter der Reparaturindustrie berichteten gegenüber Motherboard von dem sprunghaften Anstieg der Aufträge, die mit der „Touch-Krankheit" zusammenhängen.

Wie viele Telefone tatsächlich von dem Problem betroffen sind, ist bisher nicht bekannt. Ein Bericht von AppleInside, in dem anonyme Mitarbeiter von Genius Bars in vier großen Apple Stores zitiert wurden, berichtet, dass 11 Prozent aller Anfragen an den Kundenservice der jeweiligen Stores mit den Touch IC-Problemen zu tun hätten. Diese Probleme machten in den genannten Läden außerdem ungefähr ein Drittel aller Probleme mit dem iPhone 6 Plus aus.AppleInsider und andere berichteten, dass Apple sich dieses Problems sehr wohl bewusst sei und dass es an den Genius Bars angeblich sogar einenCodenamen für das Problem gäbe.

Die Support-Foren von Apple sind voller Anfragen zu „Touchscreenausfällen beim iPhone 6 Plus", aber das Unternehmen hat sich noch immer nicht zu dem Problem geäußert. Auch wiederholte Anfragen von Motherboard wurden nicht beantwortet.

Erst Ende August strengte die Anwaltskanzlei McCuneWright eine Sammelklage gegen Apple an, in der dem Unternehmen vorgeworfen wird, dass „der Defekt seit langer Zeit bekannt" sei.

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„Obwohl Apple seit geraumer Zeit weiß, dass es diesen Hardwarefehler gibt, hat das Unternehmen regelmäßig abgelehnt, die betroffenen iPhones beim Auftreten des Defekts kostenfrei zu reparieren", heißt es in der Klage. „Viele weitere iPhone-Nutzer haben sich mit der Bitte an Mitarbeiter und Vertreter von Apple gewandt, eine Lösung für das Problem zu finden beziehungsweise den Touchscreen-Defekt und damit zusammenhängende Schäden kostenfrei zu reparieren. Apple ist dieser Bitte nicht nachgekommen; beziehungsweise hat sie abgelehnt." Richard McCune, Partner bei McCuneWright, erzählte Motherboard, dass seine Firma bereits von mehr als 6.500 Personen kontaktiert wurde, deren iPhones auch betroffen sind.

Trotz der laufenden Klage könnte Apple sich ja durchaus zu den Anschuldigungen öffentlich äußern und damit etwas Klarheit in die Angelegenheit bringen. Der Rechtsstreit sollte das Unternehmen auch nicht davon abhalten, eine Lösung anzubieten oder seinen Kunden mitzuteilen, was sie machen sollen, wenn ihre Touchscreens plötzlich nicht mehr funktionieren. Anfang dieses Jahres gab es zum Beispiel eine Klage gegen Apple bezüglich des „Error 53", ein iOS Feature, welches dazu führte, dass iPhones hängen bleiben, nachdem die TouchID-Sensoren ausgetauscht wurden.

Während dieser Rechtsstreit noch lief, hatte Apple bereits ein Software-Update herausgegeben, das das Problem behob.

„Ich nehme an, dass Apple sich deshalb nicht zu dem Problem äußert, weil sie keine Lösung dafür anbieten können. Deshalb tun sie einfach so, als gäbe es das Problem nicht und als würden die zigtausend nicht funktionierenden iPhones nicht existieren", kommentierte McCune gegenüber Motherboard. „Was mich wirklich überrascht ist, dass Apple, obwohl so viel Mühe in Marke und Marketing gesteckt wird, ein derart weitreichendes Problem unkommentiert stehen lässt."

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Und Apple ignoriert das Problem möglicherweise nicht nur: Einige Internet-Nutzer, dieüber das zugrundeliegende Problem auf den Support-Forenberichteten, erklärten, dass Apple die Diskussionen zensiert habe, indemihre Kommentare gelöscht oder verändert wurden.

Da die Garantie für viele verkaufte iPhone 6-Modelle inzwischen bereits ausgelaufen ist, kostet der Tausch eines Telefons mit dem Touchscreen-Problem im Apple Store laut einer Kundenbefragung durch McCune zwischen 100 und 329 US-Dollar. Das entspricht auch den Informationen aus dem AppleInsider-Bericht. Auch ich selbst durfte diese Erfahrung bereits machen und musste einen entsprechenden Betrag bezahlen.

Das große Problem von Apple ist jedoch, dass der einzige Weg, das Touch IC-Problem zuverlässig zu beheben, darin besteht, die winzigen Chips zu entfernen und vollständig durch neue Chips zu ersetzen. Dafür benötigt man ein Mikroskop (um das Problem effektiv zu beheben, muss die Arbeit millimetergenau gemacht werden), eine sichere Hand und Erfahrung mit Verlötungen auf Mikroebene, über die selbst in der Reparaturindustrie kaum jemand verfügt. Eine Handvoll Experten wie Shaffer wurden mit Anfragen zur Reparatur der von der Touch-Krankheit betroffenen Telefone überflutet. Auf der Grundlage ihrer Analysen und der Reparaturprotokolle von Apple gelang es Motherboard, die Mechanismen, die zum Versagen der iPhones geführt haben, nachzuvollziehen.

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"Die Leute kommen mit einem zerbrochenen Screen ins Geschäft, dann wird der Screen ersetzt, aber das Telefon funktioniert immer noch nicht. Und die Kosten bleiben am unabhängigen Serviceunternehmen hängen."

Einige Reparaturservices, die diese Reparaturen durchführen, vermuteten gegenüber Motherboard, dass Apple die Telefone mit kaputten Touch IC Chips einfach recycelt anstatt sie zu reparieren. Andere berichteten, dass sie Spuren von Lötzinn an Logicboards mit der Touch-Krankheit fanden, was bedeuten würde, dass Apple sie repariert hat.

„Die sind gar nicht daran interessiert, etwas zu reparieren oder uns Hilfe anzubieten. Warum in eine derartig komplizierte Reparatur investieren, wenn sie das Telefon auch einfach wegschmeißen und dir ein neues geben können?" erklärte Thomas Heffernan von Burlington, Vermont's Wires Computing, einem Reparaturservice, der ebenfalls die Touch IC-Probleme behebt, gegenüber Motherboard. „Ein neues Telefon können sie ja auf jeden Fall verkaufen. Sei es nun deiner Versicherung oder dir selbst.""

Tatsächlich bekommt man bei Apple wohl nie das eigene Telefon zurück. Der Kundendienst von Apple ist also im eigentlichen Sinne kein Reparatur-, sondern ein Austauschservice. Wenn du dein iPhone mit einem Problem in den Apple-Store bringst, wirst du wahrscheinlich zwischen 100 und 329 US-Dollar für ein repariertes Ersatztelefon bezahlen.

Das Problem mit den reparierten iPhone 6 Plus ist, dass Apple das eine Telefon durch ein anderes ersetzt, welches denselben Hardwaredefekt hat und auch noch alte Teile aus einem Telefon in sich trägt, das kaputt war und repariert wurde. Es ist offensichtlich, dass ein reperiertes Ersatztelefon und ein neues Telefon zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Aber indem Apple ignoriert, dass das Touch IC-Problem auf einen konzeptionellen Konstruktionsfehler des Telefons zurückgeht und eben kein Bedienungsfehler ist, verschweigt das Unternehmen uns die ganze Wahrheit.

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Apple ist seit langer Zeit dafür bekannt,unabhängigen Reparaturdienstleistern das Leben schwer zu machen. Aber das Unternehmen musste sich auch noch nie mit einem Hardwareproblem auseinandersetzen, dem ein „derartig fundamentaler Defekt" zugrundeliegt, wie es einer unserer Ansprechpartner in einem Reparaturgeschäft ausdrückt.

Die massenhafte Reparatur der betroffenen Telefone oder gar ein Recall sind zu diesem Zeitpunkt wohl unmöglich beziehungsweise unwahrscheinlich. Die Reparaturseite iFixit und andere rufen Apple aber dazu auf, die Garantie auf reparierte iPhone 6 Plus zu verlängern. Wenigstens sollte Apple jedoch, so fordern die Reparaturdienstleister, den Defekt zugeben und seine Kunden warnen, dass reparierte Telefone weiterhin von dem Problem betroffen sein können.

Die Geschichte der Touch-Krankheit des iPhone 6 Plus basiert bisher auf Aussagen von Kunden, unabhängigen Reparaturfachleuten und vagen Statements anonymer Mitarbeiter von Apple Stores. Motherboard hat Apple zweimal um einen Kommentar zu dieser Story gebeten und auch eine Person in einer separaten PR-Abteilung kontaktiert. Alle Anfragen blieben unbeantwortet.

Es wäre hilfreich herauszufinden, wie häufig das Unternehmen mit dem technischen Problem konfrontiert wird, welches Standardverfahren befolgt wird, wenn Kunden ihre nicht mehr funktionsfähigen iPhone 6 Plus in den Apple Store bringen, ob Apple selbst überhaupt Touch IC-Reparaturen durchführt und ob das Unternehmen plant, die Garantie zu verlängern, vergünstigte Upgrades anzubieten oder andere Lösungen für Smartphone-Nutzer, deren Telefone plötzlich nicht mehr reagieren, zu finden.

Apple wird sich jedenfalls irgendwann, wahrscheinlich sogar noch im September, im Rahmen des Rechtsstreits mit McCune äußern müssen. Ignorieren kann Apple das Problem also nicht mehr lange.

Dieser Text ist zuerst auf Englisch erschienen. Lest die ganze Recherche im Original und in voller Länge auf der Seite unserer US-Kollegen.