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Nanotechnologie könnte zu großer unregulierter Gefahr am Arbeitsplatz werden

Der Fall einer 26-jährigen Chemikerin, die durch die Arbeit mit Nanopartikeln arbeitsunfähig geworden ist, zeigt, dass die winzigen Stoffe bis heute nicht ausreichend untersucht sind.
Bild: Shutterstock

Die Industrie der Nanotechnologie scheint weiterhin unaufhaltsam zu boomen. Nun ist jedoch der erste umfassend dokumentierte Fall bekannt geworden, bei dem eine Amerikanerin an ihrem Arbeitsplatz in der 15 Milliarden Euro schweren Branche gesundheitliche Schäden erleiden musste.

Der 26-jährigen Chemikerin war nicht bekannt, dass sie mit einem Pulver aus Nickelnanopartikeln arbeitete. Binnen einer Woche in der sie jeweils ein oder zwei Gramm des Pulvers abmessen musste, schwoll ihr Hals an, ihre Nase tropfte und ihr Gesicht errötete. Schließlich begann ihre Haut negativ auf ihre Ohrringe und ihre Gürtelschnalle zu reagieren. Die Symptome hielten weiterhin an—selbst nachdem sie nicht mehr mit dem Material arbeitete und in ein anderes Stockwerk umgezogen war. Außerhalb ihrer Arbeitsumgebung ließen die Symptome schließlich wieder nach.

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„Sie kann nie mehr wieder in diesem Gebäude arbeiten", sagt Dr. Shane Journeay in einer entsprechenden Fallstudie. Er ist Arzt und Nanotoxikologe von der Universität Toronto und hat die gerade im American Journal of Industrial Medicine erschienene Untersuchung gemeinsam mit Dr. Rose Goldman verfasst. In den USA herrscht keine Kennzeichnungspflicht, die auf die winzigen Nanostoffe hinweisen könnte. (Die Partikel sind so winzig, dass rund 100 Millionen von ihnen auf eine Nadelspitze passen. Eine Strang DNA ähnelt im Größenvergleich dazu Godzilla.)

Ist dieser Fall nur die Spitze des Eisbergs?

Der auf betriebliche Gesundheit und Sicherheit spezialisierte Journeay berichtete mir, dass ihm dieser erste Fall von negativen gesundheitlichen Auswirkungen in einer US-Produktionsstätte ernsthaft Sorgen bereite und er sich frage, ob es nicht vielleicht lediglich die Spitze des Eisberges sei. Journeay bekommt häufig E-Mails von Personen aus dem medizinischen Bereich, die von ähnliche Fälle berichteten. „Sie wissen nicht, was sie dagegen tun sollen."

Die Nationale Wissenschaftsstiftung der USA schätzt, dass bis 2020 insgesamt weltweit sechs Millionen Menschen in Nanochtechnik-Berufen arbeiten werden—zwei Millionen davon in den USA. Inzwischen befinden sich die Materialien in Bowlingkugeln, Lidschatten, Socken, Butterbrotpapier, Sonnencreme, Farben, Mundspülungen, Vitaminzusätzen und vielem mehr—nach einer Liste des Projekts zur „Aufkommenden Nanotechnologie" sind es mindestens 1.880 Produkte.

Der Vormarsch der Nanomaterialien bedeutet auch, dass sie an Arbeitsplätzen in nahezu jeder Branche zum Einsatz kommen: von der Chemie und Medizin, über Öl und Gas, jegliche Halbleiterproduktion, der Luftfahrt, bis zur Textilindustrie.

„Es ist unmöglich jedes Nanoprodukt auf seine Sicherheit zu überprüfen", sagte Journeay. Da viele Nanomaterialien eine ähnliche Struktur haben, wären allerdings gar nicht soviele Tests nötig. Selbst wenn die begehrten Eigenschaften von Nickel oder Titan auf Erbsengröße komplett verschieden ausfallen, werden sie von der Environmental Protection Agency (EPA), dem Amt für Umweltschutz, als gleich angesehen.

Zwar durchlaufen seit 2008 auf der EPA die exotischeren Nanomaterialien wie Fullerene, Quantenpunkte und Kohlenstoffnanoröhrchen den New Chemical Review-Prozess, aber leider gibt es dennoch kaum Daten anhand derer die Auswirkungen verschiedener geläufiger Nanomaterialien auf die menschliche Gesundheit erforscht werden könnte. Laut Journeay liegen lediglich zwei Studien über mögliche gesundheitliche Begleiterscheinungen von Nano-Nickel vor, die den Stoff als wesentlich toxischer als Nickel in Standardgröße einordnen: „Die gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen, die mit diesen Materialien arbeiten sind komplett unbekannt."

Dementsprechend existiert erst recht kein Wissen über geeignete und angemessene Schutzvorrichtungen. In den USA beispielsweise sind die Forschungen des National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) dazu gerade noch in vollem Gange. Insgesamt gibt es leider noch recht wenige Experten der Nanotoxikologie, was auch die Durchführung von Gesundheits- und Sicherheitsstudien sehr schwierig macht. Dies wiederum ist einer der Gründe, dass es so wenig verlässliche Daten gibt, wie mir Journeay berichtete. Sowohl für die Wissenschaftler wie für die Arbeiter hält die Nanotechnologie weiterhin eine ungewisse Zukunft bereit.