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Rätsel um umstrittenen Genforscher: He Jiankui offenbar verschwunden

Wie viele Babys hat He Jiankui genetisch verändert? Und wo ist er überhaupt? Während die Versuche des Forschers immer mehr Fragen aufwerfen, sehen Kollegen den Ruf der CRISPR-Technologie ruiniert.
Illustration einer Genschere und He Jiankui
Bild: He Jiankui | imago | Zuma Press || Symbolbild CRISPR-Genschere | Shutterstock | vchal || Collage: Motherboard

Als Genomforscher He Jiankui am 25. November sein berühmt-berüchtigtes YouTube-Video aufnahm, ahnte er schon, was für Wellen es schlagen wird. "Ich weiß, dass meine Arbeit Kontroversen auslösen wird", sagt er im Video. Seine Arbeit, damit meint er Lulu und Nana, neugeborene Zwillinge, deren Erbgut er im Embryonenstatus mutmaßlich mit der sogenannten CRISPR/Cas9-Methode verändert habe. Die beiden Babys, sagt He, seien dank seines Eingriffs immun gegen eine HIV-Infektion. Niemand konnte diese Behauptungen allerdings bislang überprüfen. Wenn die Nachricht stimmt, wären die beiden die ersten genmanipulierten Babys der Welt. Ein Tabubruch – doch He verteidigt seine Arbeit im Video und sagt, er werde die Kritik auf sich nehmen und sich ihr stellen.

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Tatsächlich ging die Nachricht um die Welt und löste heftige Reaktionen aus. Doch nun – keine zwei Wochen später – scheint He nach widersprüchlichen Berichten gänzlich verschwunden zu sein. Was in der Zwischenzeit geschah, zeichnet den spektakulären Verlauf eines der größten Wissenschaftsskandale der vergangenen Jahre nach.

Angst vor Tumult: Wie He von Kollegen gegrillt wird

Vier Tage nach seiner YouTube-Ankündigung, am 29. November, betritt He Jiankui die Bühne der Universität von Hongkong. Die Elite der Genforschung hat sich dort zu einer lang geplanten Konferenz versammelt. Für He ist das Timing perfekt, er hat die volle Aufmerksamkeit seiner Kollegen und der Weltöffentlichkeit. Als er ans Mikrofon tritt, sagt man ihm: "Bitte reden Sie nicht zu lang." Schließlich haben die Forschenden viele Fragen. Denn als He seine Konferenzunterlagen einreichte, war von den CRISPR-Babys keine Rede.

In seinem 15-minütigen Vortrag zeigt He nun Folien, auf denen zu sehen ist, wie er das Experiment mit den beiden Babys Lulu und Nana durchgeführt habe. Die beiden seien derzeit gesund, man wolle sie über die nächsten 18 Jahre wissenschaftlich betreuen. He wirkt nervös, sein Englisch ist oft schwierig zu verstehen. Die Situation ist angespannt. Es seien zusätzliche Sicherheitskräfte vor Ort gewesen, erklären Beobachter dem Fachmagazin Nature. Man hatte angekündigt, die Veranstaltung vorzeitig zu unterbrechen, falls es zu Störungen kommen sollte. Am Ende seines Vortrags spenden die Zuhörer allerdings kurzen Applaus.

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Bei der anschließenden Fragerunde wird der Ton rauer: Denn noch immer hat He weder sein exaktes wissenschaftliches Vorgehen noch die Befunde der Klinik veröffentlicht. Bislang habe er sich gegen eine Veröffentlichung entschieden, antwortete He, aber er werde seine Position überdenken. David Baltimore, Organisator der Konferenz, kritisiert He für seine Praxis. Der Nobelpreisträger erinnert daran, dass die weltweite Forschergemeinde sich noch beim vergangenen Treffen darauf geeinigt hätte, dass Experimente an Embryonen derzeit "unverantwortlich" seien, weil die Folgen unmöglich abzuschätzen sind. Außerdem gebe es schon sichere Verfahren, die HIV-Infektionen bei der Geburt verhindern.

He verteidigt sein Experiment, sagt, dass er "stolz" darauf sei. Erst auf eine Nachfrage hin gibt er gegen Ende zu, dass im Rahmen seiner Experimente außer Nana und Lulu sogar noch ein weiteres genmanipuliertes Baby unterwegs sei.

Eine Erfinderin des Verfahrens zeigt sich "erschrocken und sprachlos"

He auf einer Konferenz in Hongkong

He Jiankui reiste zu einer Fachkonferenz nach Hongkong, um sich dem Shitstorm der Genforscher zu stellen | Bild: Wikipedia

Die kanadische Genforscherin Jennifer Doudna, eine Koryphäe in diesem Bereich, hatte bei einer Vorgängerkonferenz vor drei Jahren zwar öffentlich prophezeit, dass es "früher oder später" dazu kommen würde, dass jemand CRISPR/Cas-9 an Embryonen einsetzen würde. Mit ihrer Kollegin Emanuelle Charpentier hatte sie 2012 den Grundstein für Hes Experimente gelegt. Dieses auch als Genschere bekannte Verfahren ist für seine einfache Anwendung bekannt und gilt als vielversprechendes Tool für die Therapie von Krankheiten, in den USA experimentieren schon Highschool-Schüler damit.

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Doch an menschlichen Keimzellen, aus denen lebensfähige Babys entstehen, wurde CRISPR bislang nicht angewandt. Nun ist der Schock bei Doudna groß, dass ein Wissenschaftler dieses Tabu so bald schon gebrochen hat, und dann auf diese dreiste und intransparente Art und Weise. Sie war dabei, als He seinen Vortrag hielt, anschließend sagte sie gegenüber dem wissenschaftlichen Fachblatt Nature: "Ich bin dankbar, dass er aufgetreten ist, aber ich war erschrocken und sprachlos, als er das Verfahren beschrieb, das er benutzt hatte." Es sei auf mehreren Ebenen "unangebracht gewesen".

Hes Antworten werfen nur noch mehr Fragen auf

Mit seinen Antworten auf der Konferenz warf He, der über Nacht zum bekanntesten Genforscher der Welt geworden sein dürfte, mehr Fragen auf, als er beantwortete. Nicht nur um seine Forschung, auch um seine Person ranken sich Mythen: Wer ist der Mann, von dem nicht einmal sein Alter bekannt ist?

He, der in den USA unter anderem an der Elite-Universität Stanford gearbeitet hatte, habe dem Atlantic zufolge einen amerikanischen PR-Berater engagiert, konsultiert und Umfragen in Auftrag gegeben, um nachzuweisen, dass sein Vorhaben auf öffentliche Zustimmung stoßen würde. Er habe mit seinen Experimenten maximale Aufmerksamkeit erzielen wollen. Dann allerdings stellt sich die Frage, warum er seine Forschung so lange geheim hielt – und auch bis heute keine vollständige Dokumentation vorlegen konnte.

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He ist nicht nur Forscher, sondern auch Biotech-Geschäftsmann

Doch nicht nur die Genforschergemeinde wusste nicht, welche Experimente He verantwortet hatte: Weder seine Universität noch die Klinik, in der die Kinder zur Welt kamen, sollen Bescheid gewusst haben. Die Geldmittel bezog He nicht von der Universität in Shenzen, für die er geforscht hat, sondern von privaten Geldgebern: 218 Millionen Yuan, umgerechnet fast 28 Millionen Euro, habe Hes Firma namens Shenzhen Direct Genomics Biotechnology der South China Morning Post zufolge von chinesischen und internationalen Investmentfirmen erhalten. Der Bericht zeigt, dass He nicht nur Forscher, sondern vor allem auch ein Geschäftsmann ist: Insgesamt soll er an neun Firmen beteiligt sein, die im Bereich der Biotechnologie und Biomedizin aktiv sind.

China fürchtet um enormen Imageschaden – und He verschwindet

He in einer Diskussion

40 Minuten redete He mit Fachwissenschaftlern, doch am Ende blieben mehr Fragezeichen als Antworten | Bild: Screenshot | YouTube

Es gilt als ungeklärt, wie Lulu, Nana und mögliche weitere genmanipulierte Babys sich entwickeln werden, da die Langzeitfolgen von CRISPR-Experimenten am Embryo nicht abzuschätzen sind. Um Hes Testergebnisse unabhängig zu verifizieren, fordern Forscher wie der Londoner Entwicklungsbiologe Robin Lovell-Badge gegenüber Nature einen Tiefenabgleich der Genome der Zwillinge mit denen ihrer Eltern. Ebenfalls ungewiss ist es, wie es nun mit der Karriere von He weitergeht. Ginge es nach einigen von Hes Kollegen, dürften seine Tage als Forscher aber gezählt sein.

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So schrieben 122 chinesische Wissenschaftler in einem offenen Brief am 26. November, dass es sich bei Hes Projekt um "Experimente, die nur als verrückt beschrieben werden können" handele. Der chinesische Forscher Hai-Kun Li, der in Heidelberg arbeitet und den offenen Brief ebenfalls unterschrieben hatte, sagte dem Spiegel: "Wir verstehen den Typ nicht." Er ruiniere gerade den Ruf Chinas in der Welt.

Den Imageschaden für das Land hat auch die chinesische Regierung erkannt, der stellvertretende Wissenschaftsminister Xu Nanping sagte, dass die Erzeugung genmanipulierter Babys "äußerst abscheulicher Natur" sei. Sein Ministerium forderte, den "wissenschaftlichen Aktivitäten des betreffenden Personals" Einhalt zu gebieten. Was auch prompt geschah: Die Nationale Gesundheitskommission verkündete, dass die Arbeit von He nicht nur gegen chinesische Gesetze und Vorschriften, sondern auch gegen moralische Standards verstoße. Der Fall werde nun untersucht.


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In der Zwischenzeit gibt der Fall He bereits neue Rätsel auf: Seit dem Wochenende scheint He verschwunden zu sein, nachdem frühere Medienberichte behaupteten, He sei nach einer Unterredung mit dem Präsidenten seines ehemaligen Arbeitgebers, Southern University of Science and Technology (SUSTC) in Shenzhen, unter Hausarrest gestellt. Die Universität stritt das nun ab und verkündete gegenüber der Zeitung South China Morning Post kryptisch: "Die Informationen von niemandem sind aktuell korrekt." Wo He sich aufhält, ist weiter unklar.

Imageschaden für CRISPR macht Forschenden Sorgen

Was bedeutet der Absturz von He Jiankui nun für die Zukunft der Genforschung? Hierzulande wird es wohl vorerst keine Schwangerschaften mit genmanipulierten Babys geben: In Deutschland ist es laut dem Embryonenschutzgesetz verboten, menschliche Keimzellen zu ändern. He würde hierzulande eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren drohen.

Trotzdem macht ein möglicher Imageschaden für die CRISPR-Technologie den Forschenden Sorgen. George Daley von der Harvard-Uni in Boston, der bei der Konferenz in Hong Kong noch vor He sprach, forderte die Kollegen auf, trotz Hes Ankündigung "nicht den Kopf in den Sand zu stecken". Auch wenn der erste Schritt möglicherweise in die falsche Richtung gegangen sei: Man solle nun verantwortungsbewusste Wege für den Einsatz von Keimzellen-Manipulation an Embryonen in Kliniken finden.

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