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Judentum im HipHop

5 Dinge, die wir diese Woche über Antisemitismus im Deutschrap gelernt haben

"Deutschrap ist so antisemitisch wie Rechtsrock", sagt der Israeli Ben Salomo. Und das hat mit Verschwörungstheorien, Popkultur und dem Nah-Ost-Konflikt zu tun.
Collage: imago/Martin Müller, imago/APP-Photo, imago/Future Image

An einem heißen Sommertag 2004 hab ich zum ersten Mal eine vage Vorstellung davon bekommen, was Antisemitismus heißt: Während eines Sommerurlaubs in Polen besuchte ich mit meinen Eltern Auschwitz. Ich habe bis heute vor Augen, wie sich dort Haarberge und Brillengestelle türmten, und obwohl ich damals nicht wirklich verstand, was der Holocaust war, fand ich es unbegreiflich, dass Menschen andere Menschen so kalkuliert töten können.

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Fast forward, zwölf Jahre später: Antisemitismus ist subtiler geworden, zumindest meistens. Er tritt als AfD-Abgeordneter Wolfgang Gedeon in Erscheinung, versteckt sich in Kolumnen von Jakob Augstein, schwenkt Hizbollah-Fahnen auf dem Al-Quds-Tag – oder hört auf den Namen Felix Antoine Blume. Der Rapper, besser bekannt unter dem Namen Kollegah, trat im vergangenen Jahr eine Diskussion über Antisemitismus im Deutschrap los, die darin gipfelte, dass der Musikpreis Echo abgeschafft wurde.

Grund genug für die Berliner Amadeu Antonio Stiftung, diese Woche mit Expertinnen und Experten zu diskutieren: "Wie antisemitisch ist der deutsche Rap?" Auf dem Podium: "Rap am Mittwoch"-Host Ben Salomo, die Produzentin der WDR-Dokumentation "Die dunkle Seite des deutschen Rap", Viola Funk, der Musikjournalist Marcus Staiger, der Wissenschaftler Jakob Baier, der zu Antisemitismus im Deutschrap forscht, sowie als Moderator Daniel Häuser, der unter dem Alias "form" rappt und das FICKO-Magazin betreibt. Wir waren im Berliner Club Lido und haben fünf Dinge gelernt:


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1. Antisemitismus im Deutschrap ist Teil einer Jugendkultur

Gerade in sozialen Medien ist Antisemitismus Teil einer Subkultur, die sich in Piktografie, Kleidungssymbolen und kulturellen Codes manifestiert. Die Symbole alleine machen noch keinen Judenfeind, können Antisemitismus aber den Nährboden bereiten. Zitate von Yassir Arafat prangen auf Facebook-Profilbildern, Kufiyas zieren Rapperhälse in Videos und User verbreiten memehafte Bildchen der Seite "Generation Islam", in der jüdische Weltverschwörungen suggeriert werden.

Stars können dabei helfen, Weltbilder zu reproduzieren und zu verstärken, die ohnehin schon in der Denke einiger Jugendlicher verankert sind. "Jeder Handlung geht eine Haltung voraus", sagte Jakob Baier. "Und was Leute rappen, lässt natürlich auf ihre Geisteshaltung schließen." Auch deshalb forderte Ben Salomo, der selbst israelischer Jude ist, nicht über einzelne Lines zu reden, sondern darüber, was Rapper in ihrem Privatleben repräsentierten – und was sie ihrer Zuhörerschaft gegenüber verbreiten.

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2. Der Nah-Ost-Konflikt nimmt nicht genug Raum in deutschen Lehrplänen ein

"Der Nah-Ost-Konflikt spielt beim Thema Antisemitismus eine große Rolle", stellte der Musikjournalist Marcus Staiger in der Diskussionsrunde fest. Und er hat Recht: Vor allem viele muslimische Jugendliche haben einen emotionalen Bezug zu Palästina und eine ablehnende Haltung gegenüber Israel, weil sie sich mit der Position des schwächeren und unterlegenen Palästinas solidarisieren.

Ben Salomo lieferte gleich nach, was das konkret bedeuten kann: "Wenn Rapper mit Maschinengewehren und Panzerfäusten 'Free Palestine' rufen, dann führt das zu Verrohrung und Gewaltfantasien." Er spielte damit auf das "Kontraband"-Video von Snaga und Fard an, das mittlerweile gesperrt ist. Darin wird die Welt in Schwarz und Weiß geteilt: "Pro Mudschaheddin, pro Palestine", "Kontra Peace, kontra Tel Aviv", rappen Fard und Snaga.

Gerade weil der Nah-Ost-Konflikt ein emotionales Thema für viele darstellt, müssen Lehrer und Lehrerinnen Antworten auf die Fragen von muslimischen Jugendlichen finden. Teenager, die nur die palästinensische Seite des Konflikts kennen, sollten für die jüdische Sicht der Dinge sensibilisiert werden. Gleichzeitig sollte es möglich sein, den Siedlungsbau der israelischen Regierung zu kritisieren.

3. Rassismus gegenüber Muslimen befeuert muslimischen Antisemitismus

"Der Rassist tritt nach unten, während der Antisemit nach oben schaut", erklärte Jakob Baier. Und thematisiert damit den Eindruck vieler Antisemiten und Antisemitinnen, dass es sich bei "den Juden" um eine Gruppierung handle, die die Fäden von Wirtschaft und Politik fest in den Händen halte. Für viele erscheint deshalb logisch, sich Feindbilder "oben" zu suchen, wenn sie "unten" selbst Opfer von Ausgrenzung geworden sind.

Diese These vertrat insbesondere Marcus Staiger, demzufolge es nicht darum gehe, das eine Phänomen mit dem anderen zu verrechnen, aber zu erkennen, dass sie in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. "Wir müssen auch über die Diskriminierungserfahrungen junger Muslime sprechen, wenn wir verstehen wollen, warum bestimmte Klischees vorherrschen", sagte Staiger.

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Es ist ein beliebtes Argumentationsmuster, Antisemitismus mit eigener Diskriminierung zu rechtfertigen. Als 16-Jähriger rappte Haftbefehl etwa: "Ein Grund für die Bullen: Du bist Moslem, du wirst observiert / du nennst mich Terrorist, ich nenne dich Hurensohn / gebe George Bush ein Kopfschuss und verfluche das Judentum". Dabei ist es durchaus faszinierend, dass etwas so weit Entferntes wie George Bush oder "das Judentum" an täglichen Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen Schuld sein sollen.

4. Verschwörungstheorien befeuern Antisemitismus

Das Lieblingswerkzeug des Antisemiten 2018 ist die Verschwörungstheorie. Kollegah stellt einen Juden im "Apokalypse"-Video etwa als Teufel und das personifizierte Böse dar, der von der Großbank aus das Weltgeschehen übersieht – und für den kein Platz im postapokalyptischen Garten Eden mehr ist.

Ben Salomo hat Verschwörungstheorien am eigenen Leib erlebt, etwa, als ihn andere Rapper Backstage fragten, ob er als Jude überhaupt Steuern zahle. Andere behaupteten ihm gegenüber, dass Israel hinter dem "Islamischen Staat" und den Terroranschlägen vom 11. September stecke. "Der Verschwörungsglaube ist schon Jahrhunderte da", so Salomo.

"Was Haftbefehl über Juden sagt, das meint er ernst, weil er so sozialisiert wurde", erklärte Viola Funk. Und Staiger meinte: "Rapper rappen nicht im luftleeren Raum, sondern ihre Punchlines kommen natürlich auch aus der Gesellschaft." Hier wird auch deutlich, dass der viel beschworene Antizionismus, auf den sich Deutschrapper bei ihrer Israelkritik kollektiv berufen, oft nur ein Vorwand ist.

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Denn wenn Deutschrap dem Judentum eine finanzkapitalistische Weltherrschaft, die Gründung von Terrororganisation oder Echsenmenschentum andichtet, hat das nichts mit Kritik der Politik Israels zu tun – sondern ist lediglich mal mehr, mal weniger gut getarnter Antisemitismus.

5. Nichts funktioniert besser als Provokation

Schon aus rein geschichtlichen Gründen ist man in Deutschland für das Thema Antisemitismus sensibel. Wer also richtig auf Krawall machen möchte, scheißt kurzerhand auf die deutsche Holocaust-Vergangenheit und spricht wie AfD-Politiker Alexander Gauland davon, dass Hitler und die Nazis "nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" waren.

Auch Rapper haben sich diese Strategie angeeignet: P.A. Sports und Kollegah nutzten den Begriff "Holocaust" als Metapher für die totale Vernichtung ihrer Feinde. Und die breitenmediale Diskussion um Antisemitismus im Deutschrap wurde durch eine Zeile losgetreten, die in erster Linie provozieren sollte. "Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet / Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen", rappte Farid Bang auf "JBG3". Journalisten waren entsetzt, das Album verkaufte sich mehr als 200.000 Mal und ging auf Platin.

Rapper sind Geschäftsmänner und Teil einer Aufmerksamkeitsökonomie. Das heißt: Es nützt ihnen, im Gespräch zu bleiben, für Eklats zu sorgen, bewusst zu provozieren.

Als Haftbefehl in "Saudi-Arabi Money Rich" Juden als orthodoxe, Diamanten handelnde Rabbis überzeichnete, hagelte es ebenfalls Kritik. Haftbefehl habe nun mal keine "normalen" hippen Israelis an Tel Avivs Strandpromenade gezeigt, sondern ein Klischee, das nur auf eine kleine Minderheit zutriff, erklärte Baier.

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Rapper sind Geschäftsmänner und Teil einer Aufmerksamkeitsökonomie. Das heißt: Es nützt ihnen, im Gespräch zu bleiben, für Eklats zu sorgen, bewusst zu provozieren.

"Man braucht nur ein Stöckchen hinzuhalten und alle springen drüber", hieß es bei der Diskussion. Ist die richtige Reaktion also, derartige Provokationen zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass die Hörerschaft sie ebenfalls als kalkulierte Aufreger versteht?

Marcus Staiger jedenfalls würde sich wünschen, dass sich einer der hiesigen Rap-Superstars in Insta-Storys und Facebook-Posts gegen Antisemitismus positioniert. Szenegrößen konnten sich bis dahin nicht dazu überwinden. Auch deshalb glaubt Ben Salomo: "Deutschrap ist inzwischen so antisemitisch wie Rechtsrock."

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