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Gericht erklärt: Razzien bei deutschen Tor-Aktivisten waren illegal

Ende Juni durchsuchte die Polizei deutschlandweit Wohnungen von Unterstützern des Tor-Netzwerkes, obwohl diese nur Zeugen waren. In einem Motherboard vorliegenden Schreiben kommt ein Gericht jetzt zu einer klaren Bewertung der Aktion.
Moritz Bartl im Gespräch mit Motherboard im Jahr 2013 | Bild: Motherboard

Am frühen Morgen des 20. Juni durchsuchen Polizeibeamte in ganz Deutschland die Büroräume der "Zwiebelfreunde": Aktivisten, die Datenknoten für das Tor-Netzwerk betreiben, mit dem sich Menschen anonym im Netz und im Darknet bewegen können. Die Beamten beschlagnahmten Rechner, Festplatten und das Handy von Augsburger Zwiebelfreund Moritz Bartl und zwangen seinen Berliner Kollegen Juris Vetra zum Öffnen eines feuerfesten Safes. Dabei gelangten die Ermittler auch in den Besitz von sieben Jahre zurückreichenden Spenderlisten und sensiblen Daten von Unterstützern und Unterstützerinnen des Tor-Netzwerks, die mit den eigentlichen Ermittlungen überhaupt nichts zu tun haben konnten.

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Die Durchsuchungen verursachten einen Aufschrei in der Hacker-Szene und sorgten bei Juristen für Kritik. Vor allem, weil die Betroffenen nur als Zeugen in dem Verfahren galten. Dennoch wurden Arbeits- und Privaträume in Dresden, Berlin, Augsburg und Jena durchsucht und zahlreiche Computer, Speichermedien, Unterlagen und Bastler-Tools der Tor-Aktivisten beschlagnahmt.

Doch wie jetzt bekannt wurde, hat die verantwortliche Staatsanwaltschaft in München die gesamte Aktion für rechtswidrig erklärt. Das erklärte ein Sprecher der Münchner Generalstaatsanwaltschaft gegenüber Motherboard und bestätigte damit, was das Tor-Projekt am 23. August auf seinem Blog öffentlich machte. Laut Gerichtssprecher Joachim Ettenhofer wurde der Beschluss bereits am 17 August erlassen. Ettenhofer sagte weiterhin, dass er davon ausgehe, dass die beschlagnahmten Gegenstände aus den Razzien nun in allen vier Städten bald zurückgegeben würden. Die Herausgabe sei bereits angeordnet.

Das Münchener Landgericht kommt in seinem aktuellen Schreiben zu einer eindeutigen Bewertung der Razzien: "Die Maßnahmen können nicht mehr als von der Strafprozessordnung gedeckt angesehen werden", heißt es in dem Beschluss, der Motherboard vorliegt. Die Beschlüsse zur Durchsuchung und zu den Beschlagnahmungen "waren rechtswidrig", heißt es in dem Schreiben. Die Kosten für das Verfahren trage die Staatskasse.

Die Zwiebelfreunde hätten als Zeugen nicht durchsucht werden dürfen

Der eigentliche Grund für die Polizeiaktion im Juni hatte nichts mit dem Tor-Netzwerk oder Moritz Bartl und seinen Vereinskollegen zu tun: Auslöser der Razzia war, dass die Staatsschutzabteilung der Augsburger Polizei nach den Betreibern des AfD-kritischen Blogs "Augsburg für Krawalltouristen" suchte. In dem anonym betriebenen Blog soll zu gewaltsamen Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag, der wenige Tage nach der Razzia in Augsburg stattfand, aufgerufen worden sein. Die einzige Kontaktmöglichkeit der damaligen Blog-Betreiber war eine E-Mail-Adresse beim E-Mail-Provider Riseup.net. Die Zwiebelfreunde sammelten auch Spenden für Riseup.net. Daher, so damals die Münchner Generalstaatsanwaltschaft, bestünde der Verdacht, dass der Verein von Bartl und Vetra auch Informationen über einzelne Nutzer haben könnte, was eine Durchsuchung der Geschäftsräume rechtfertigen würde.

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An dieser recht komplexen Begründung hatten Juristen, die Motherboard um eine Einschätzung angefragt hat, von Anfang an Zweifel. "Die Begründung hier haut von vorne bis hinten nicht hin", sagte Motherboard der Jurist Udo Vetter. "Es scheint sich hier um einen weiteren Versuch der Behörden zu handeln, mit repressiven Mitteln gegen Betreiber von Tor-Knoten vorzugehen", so Vetter im Juli.

Tatsächlich begründet das Münchner Landgericht seinen aktuellen Beschluss nun genau damit, dass bei der Razzia gegen die Zwiebelfreunde keine Erkenntnisse zu den Blogbetreibern zu erwarten gewesen seien. Um Razzien bei Menschen durchführen zu können, die eigentlich nur Zeugen eines Verfahrens sind, liegen die juristischen Hürden sehr hoch: Die Behörden müssen gesicherte Tatsachen vorliegen haben, dass bei den Zeugen Erkenntnisse zu den eigentlich Verdächtigen zu finden seien. Genau dies bezweifelt nun auch das Münchner Landgericht. Die beschlagnahmten Gegenstände dürften daher auch nicht weiter ausgewertet werden, heißt es in dem Schreiben des Gerichts. Damit gibt das Landgericht zahlreichen in den vergangenen Wochen gestellten Anträgen von den Zwiebelfreunden statt. Die Ermittlungen gegen den Blog "Augsburg für Krawalltouristen" seien aber grundsätzlich rechtens.

Roter Buttplug und chemische Formeln machten aus Bartl einen Verdächtigen

"Mutmaßliches Modell einer Atombombe" steht auf dem Etikett zur Beschreibung dieses roten Spielzeugs aus dem 3D-Drucker | Bild: Moritz Bartl

Für die Staatsanwaltschaft waren die Zwiebelfreunde eigentlich nur Zeugen in den Ermittlungen gegen das linke Blog, doch zumindest Moritz Bartl wurde kurzzeitig sogar selbst zum Verdächtigen. Bei der Durchsuchung des Augsburger Hackerspace fanden die Beamten eine Reihe von Gegenständen, die sie verunsicherten: ein rotes Plastikspielzeug in Form einer Bombe oder eines Buttplugs, Chemikalien für einen 3D-Drucker und zum Ätzen von Platinen, sowie "irgendeine chemische Formel", so Bartl, die auf einem Whiteboard stand. Für die Polizei Anlass genug zur Vermutung, Bartl könnte ein Sprengstoffattentat vorbereiten. Deswegen wurden auch private Geräte von Bartl beschlagnahmt, auch Geräte seiner Frau wurden mitgenommen, sowie Datenträger mit digitalen Urlaubsfotos. Am 08. August wurde das Ermittlungsverfahren wegen "Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens" gegen ihn jedoch eingestellt, meldete Bartl auf Twitter. "Wer hätte das gedacht", kommentierte Bartl das Schreiben.

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Noch immer befürchten die Zwiebelfreunde ernste Konsequenzen aus den Razzien

Der Beschluss des Landgericht München vom 17.08 bestätigt nun, was Bartl, Vetra und Juristen von Anfang an gesagt haben: Die Durchsuchungen waren rechtswidrig und es gibt kein nachweisbare Verbindung von Zwiebelfreunden und dem Krawallblog: "Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass die 'Zwiebelfreunde' auch nur zum Umfeld der unbekannten Täter gehören", heißt es im Beschluss aus dem auch die Zwiebelfreunde in ihrem Blogpost zitieren. "Es ist zudem auch nicht unmittelbar ersichtlich, dass sich bei ihnen Informationen zum Täterumfeld oder zu den Tätern finden lassen."


Bei Motherboard: Das wichtigste Kabel des Internets


Konsequenzen könnte die Aktion trotzdem haben. "Ich muss mich immer fragen: Gefährde ich Aktivisten, wenn ich mit ihnen spreche?", sagte Bartl im Juni im Interview mit Motherboard. Bartl arbeitet neben seiner Tätigkeit bei den Zwiebelfreunden bei einer NGO, die sich um digitale Menschenrechte kümmert und auch Betroffene in repressiven Regimen unterstützt. Er befürchtet, dass Aktivisten im schlimmsten Fall Abstand nehmen könnten von den Zwiebelfreunden oder seiner NGO-Arbeit, weil sie vermuten könnten, dass ihre Daten bei der Polizei gelandet sind. Angeblich wurden diese Daten nicht ausgewertet, heißt es im Blogpost der Zwiebelfreunde. Ob das wirklich stimmt, versuchen die Tor-Aktivisten jetzt herauszufinden.

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