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Intersexualität

Betroffene wehren sich gegen neue Regelung zum dritten Geschlecht

Menschen müssen sich in Deutschland künftig nicht mehr als Mann oder Frau bezeichnen – doch das dazugehörige Gesetz stößt auf wenig Gegenliebe.
Foto: imago | Westend61 (bearbeitet)

Als das Bundesverfassungsgericht im Oktober vergangenen Jahres beschloss, eine gesetzliche Kategorie für das "dritte Geschlecht" zu erlauben, war das ein großer Erfolg – und ein wichtiges Grundrecht für Menschen, die sich nicht als "männlich" oder "weiblich" definieren. Die intersexuelle Person Vanja hatte geklagt, unterstützt hat sie die Kampagnengruppe "Dritte Option". Im Juni 2018 legte das Innenministerium nun seinen ersten Gesetzentwurf vor: Eltern dürfen demnach bei ihren Kindern eine dritte Geschlechtsoption eintragen, auch Jugendliche ab 14 und Erwachsene müssen nicht mehr "Mann" oder "Frau" sein. Doch die Auflagen dafür sind streng – und die Kampagnengruppe alles andere als zufrieden.

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Es gehört zum Einmaleins der Gender-Theorien, dass der Körper eines Menschen nicht automatisch dessen geschlechtliche Identität bestimmt, trotzdem waren Personen, die inter*sexuell oder nicht-binär sind, in der deutschen Bürokratie bisher unsichtbar. Das hat mittlerweile auch das Innenministerium verstanden. Im Gesetzentwurf zur dritten Option heißt es: "Die subjektive Geschlechtsidentität ist individuell." Wer sich nicht als Mann oder Frau identifiziere, dürfe sich künftig als "Weitere" eintragen lassen.

Doch allein die Bezeichnung sei keine ideale Lösung, sagt die Kampagnengruppe "Dritte Option". In einer schriftlichen Stellungnahme sprach sich die Initiative am Dienstag dafür aus, dass Betroffene die von Aktivistinnen und Aktivisten eher befürwortete Bezeichnung "divers" verwenden dürfen – oder gleich selbst entscheiden dürfen, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Im Interview mit VICE vor zwei Jahren sagte Vanja: "Wenn schon, dann möchte ich auch als das bezeichnet werden, was ich bin, und zwar intersexuell."

Im Oktober hatte Vanja vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen

Vanja wurde 1989 geboren, im Geburtenregister wurde Vanja das Geschlecht "weiblich" zugeteilt. Doch als die Pubertät ausblieb, stellten Ärzte und Ärztinnen fest: Vanjas Chromosomen-Konstellation ist nicht eindeutig weiblich. Medizinisch galt Vanja nun als intergeschlechtlich. Um den Eintrag "weiblich" im Geburtenregister rückwirkend zu ändern, klagte Vanja vor Gericht. Dort scheiterte Vanja mehrmals, zuletzt 2016 vorm Bundesgerichtshof. Erst vor dem Bundesverfassungsgericht hatten Vanja und das Unterstützer-Team von "Dritte Option" Erfolg. Doch so wie der Gesetzentwurf jetzt aussieht, vereinfacht er Menschen, denen es wie Vanja geht, das Leben nicht wirklich.


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Auch bei VICE: "Nouveau She" hilft Transpersonen dabei, ihre Identität zu finden


Bereits im Juni bezeichneten Kritiker und Kritikerinnen den Entwurf aus Seehofers Ministerium als "Minimallösung". Dort heißt es etwa, intergeschlechtliche Personen dürfen die dritte Option nur nach einer medizinischen Diagnose eintragen lassen. Sie müssten sich demnach ärztlich untersuchen und bescheinigen lassen, dass ihre "Geschlechtschromosomen, Genitale oder die Gonaden inkongruent sind". Komplett selbst entscheiden dürfen sie also nach wie vor nicht.

Die Kampagne "Dritte Option" hält die Auflagen für "unzumutbar"

Für die Kampagnengruppe "Dritte Option" ist dieser Beschluss alles andere als ein Fortschritt für die Selbstbestimmung: Besonders intergeschlechtliche Personen hätten oft Vorbehalte gegen Ärzte und Ärztinnen, heißt es in der Stellungnahme: "Inter* Personen, erleben massive Diskriminierungen seitens der Medizin bis hin zu unerwünschten Behandlungen und Operationen." Bei intergeschlechtlichen Kindern werden oft Operationen an den Genitalien durchgeführt, um diese einem Geschlecht zuzuweisen. Im Koalitionsvertrag stand eigentlich, dass diese OPs künftig verboten werden sollen, wenn sie nicht lebensnotwendig seien. Ein entsprechendes Gesetz gibt es aber bisher nicht.

"Dritte Option" schreibt, es sei "unzumutbar", die Betroffenen zu einem medizinischen Gutachten zu zwingen. Außerdem trenne das Ministerium trans- und intergeschlechtliche Personen komplett voneinander. Das sei aber gar nicht möglich: Viele intergeschlechtliche Personen bezeichneten sich erst als trans*, bevor sie die medizinische Diagnose inter* erhalten: "Etliche Inter-Diagnosen werden erst im fortgeschrittenen Alter gestellt", heißt es in der Stellungnahme. Trotzdem gehöre trans* für manche intergeschlechtliche Personen genauso zu ihrer Identität.

Wirklich selber entscheiden dürfen nicht-binäre Personen also auch mit dem neuen Gesetzesentwurf nicht. Die Kampagnengruppe "Dritte Option" schreibt sogar: "Er widerspricht in fast allen Punkten den Bedarfen der Betroffenen." Vielleicht braucht das Heimat-Ministerium in Sachen Gender-Theorien also noch etwas Nachhilfe.

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