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"Würden Sie noch Urlaub in der Türkei machen?" – Tausende rufen nach Umfrage zum Telekom-Boykott auf

Von Erdogan-Fanboys bis zu deutschtürkischen Bloggern ist die Empörung gegen die Telekom groß. Dass das Unternehmen überhaupt keine Schuld trifft, scheint dem Shitstorm keinen Abbruch zu tun.
Screenshot: Bilgili Üretmen/Facebook

"Würden Sie noch Urlaub in der Türkei machen?", leuchtete es am vergangenen Wochenende von einer Werbefläche in dem Einkaufszentrum Düsseldorf Arcaden. Die Antwort gab es gleich dazu: "Über 100.000 Nutzer von t-online.de sagen: Nein."

Ein Foto des Info-Terminals mit der Umfrage von t-online.de machte dann Anfang der Woche in den sozialen Medien die Runde und sorgte schnell für Empörung. Verbreitet wurde es am Montag unter anderem von Erdogan-Fanboy Martin LeJeune, aber auch von dem einflussreichen, in Soest geborenen deutsch-türkischen Blogger Bilgili Üretmen.

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Der interpretierte den redaktionellen Inhalt auf der Werbefläche als "Versuch, der Türkei wirtschaftlich zu schaden" und rief zum "#Boykott" auf. Gegen was oder wen, sagte er nicht explizit, allerdings hatte er im Eingang des Posts t-online als Sündenbock genannt.

Keine 40 Minuten später trat der über 100.000 Follower starke Facebook-Kanal "Anti Bild" als Multiplikator auf und übernahm den Post von Üretmen. Spätestens da hatte auch t-online.de selbst Wind von dem sich anbahnenden Shitstorm bekommen und versuchte mit einer seltsamen Antwort noch schnell die Wogen zu glätten. Die Umfrage sei "nicht repräsentativ", und bereits wieder entfernt worden:

Doch da war es schon zu spät: Immer mehr Nutzer meldeten sich verärgert auf Facebook und Twitter zu Wort und riefen zu "Kündigungen" auf - wahlweise bei T-Mobile, t-online oder der Telekom. Dass sie dabei irrtümlicherweise die Telekom und t-online.de in einen Topf warfen, tat der Dynamik, die der Shitstorm aufnahm, keinen Abbruch.

Doch wer die Telekom für die tendenziöse Umfrage verantwortlich macht, ist auf dem Holzweg. Denn der Konzern hat mit t-online kaum noch etwas zu tun. Tatsächlich hat die Telekom bereits im November 2015 ihr ehemaliges Internetportal an das Unternehmen Ströer Media verkauft. Seitdem betreibt der Vermarkter Ströer Media t-online.de und stellt auch Werbesäulen in Einkaufszentren und Bahnhöfen aus, die mit redaktionellen Inhalten und Werbung bespielt werden. Schnell wiesen zahlreiche Nutzer auf diesen Umstand hin, und die Telekom richtete schließlich sogar einen Live-Stream ein, um klarzustellen, dass das Unternehmen nichts mit der Umfrage, die den Stein ins Rollen brachte, zu tun hat.

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Diese Erklärung stieß bei vielen der Boykott-Aufrufer allerdings auf taube Ohren - stattdessen begannen Nutzer nun, fadenscheinige Begründungen zu posten, warum auch die Telekom für die Umfrage verantwortlich gemacht werden könne.

Ob die Telekom in Folge der Boykott-Aurufe auf Facebook und Twitter nun tatsächlich die Kunden davonlaufen, ist nicht bekannt. Vorerst scheint der Aufruf zum Boykott allerdings eher ein Sturm im Wasserglas zu sein, wie uns die Telekom auf Anfrage mitteilt: "Wir sehen weder bei der Anzahl der Kündigungen noch bei der Anzahl der Beschwerden einen Anstieg."

Auch wie viele Mitglieder der deutschtürkischen Community tatsächlich den Boykott-Aufruf unterstützen, ist unklar. Auffällig ist, dass einige Nutzer an den Gemeinschaftssinn der Deutsch-Türken appellieren ("3 Millionen Türken sagen nein zu T-Mobile") und versuchen, diese politisch zu mobilisieren: "Wir dürfen uns das alles nicht mehr gefallen lassen!"

Und so springen auch vermeintlich unbeteiligte Akteure wie Erdogan-Versteher Martin LeJeune auf den Boykott-Zug mit auf - aber gut, der "aktivierende Journalist" ist sich schließlich auch nicht zu schade, um mysteriösen "Mächten" nur wenig später eine Wettermanipulation in der Türkei zu unterstellen.

An der Aufklärung der falschen Telekom-Anschuldigungen scheint den meisten #Boykott-Schreiern dagegen wenig gelegen zu sein. Bilgili Üretmen jedenfalls deutete einen aufklärenden Welt-Artikel als Erfolg für die Shitstorm-Initiatoren: "Schaut was wir erreichen können, wenn wir denn einmal zusammenhalten!"