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Organisierte Kriminalität

So sollen Kriminelle eine Million Euro in einer thüringischen Haftanstalt gemacht haben

Drinnen hatten rund 20 Insassen die JVA unter sich aufgeteilt, draußen verdienten Bandidos und die Mafia mit.
Das Tor der JVA in Tonna | Foto: imago | photo2000

Die Gartenarbeit in der JVA Tonna ist besonders beliebt: draußen, mit Sonne und frischer Luft. Was noch praktischer ist: Der Garten grenzt direkt an die Gefängnismauer, und die ist niedrig genug, um einen Tennisball darüber zu werfen – von der anderen Seite. Im Garten wurden die gefüllten Bälle bereits erwartet, in ihnen waren Drogen. Für 300 Euro konnten Insassen später ein Gramm Crystal kaufen, Spice und Marihuana gab es für 20 bis 50 Euro. Organisiert wurde das Geschäft von rund 20 Mithäftlingen. Der Drogenring, der für fünf Jahre aktiv gewesen sein soll, wurde jetzt vom Landeskriminalamt Thüringen ausgehoben.

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Chef des Rings war nach Recherchen des MDR ein Mann, den der Sender nur unter falschem Namen nennt: Baglan K. Er saß bis zu diesem Frühjahr wegen Körperverletzung in dem Gefängnis, inzwischen soll er untergetaucht sein. Das LKA fand eine Liste von ihm, auf der K. – natürlich verschlüsselt – seine Kunden und ihre Schulden notiert hatte. Darüber hatte er einen (unvollständigen) Bibelvers geschrieben: "Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat, als Sühnung für unsere Sünden" (sic). Der MDR schätzt den Gewinn des Kartells, das zumindest zwischen 2011 und 2015 aktiv gewesen sein soll, auf eine Million Euro.


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Die Drogenschmuggler haben allerdings nicht nur auf ihren Wurfarm vertraut: Neben der Route über den Garten sollen auch Freigänger Drogen zurück ins Gefängnis gebracht. Die Drogen hatten sie in ihre Körperöffnungen gestopft. Die Kunden im Knast bezahlten dafür nicht immer direkt. Verwandte, Bekannte und Freunde, die nicht einsaßen, überwiesen bisweilen für sie das Geld auf die Konten der Bande – über den angegebenen Verwedungszweck konnte Baglan K. alles korrekt zuordnen. Wenn das Geschäft erledigt war, strich K. die Codenamen von der Bibelspruch-Liste.

Das System von K. soll außerordentlich durchdacht gewesen sein. Waren die Drogen erstmal im Knast, wurden sie weiter in die einzelnen Hafthäuser der Anstalt verteilt. Je ein Dealer übernahm ein Haus. So soll es in den Akten der Ermittler stehen. Einer dieser Dealer soll Kontakte zur Führungsspitze des deutschen Bandidos MC unterhalten haben – die Rocker fallen regelmäßig mit Drogenhandel auf (etwa hier, hier und hier). Auch ein Mafia-Clan aus dem nahen Erfurt soll von draußen mitgeholfen haben.

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Der Handel flog erst auf, als ein Insasse, den die Dealer als Schmuggler "anwerben" wollten, sich an einen Justizbeamten wandte. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera sagte der Thüringer Allgemeine, dass derzeit noch unklar sei, wer wann und weswegen angeklagt wird. So oder so rechne man mit langwierigen Verfahren.

Dass der Drogenring überhaupt so lange aktiv sein konnte, liegt wohl auch an Sparmaßnahmen. Ein JVA-Beamter, der in einem anderen MDR-Bericht vom Mittwoch auftaucht, beklagte sich darüber, dass sie mit dem Personal, das zur Verfügung stehe, gerade einmal den alltäglichen Betrieb aufrecht erhalten könnten. Also: Aufnahmen und Entlassungen, den Arbeitsdienst koordinieren und hier und da mal eine Zelle durchsuchen. Für aufwendigere Untersuchungen fehle einfach die Zeit. Die Drogenkriminalität konnte sich so innerhalb von vier Jahren (auf bescheidenem Niveau) verdoppeln: von 21 Vergehen 2012 auf 44 im letzten Jahr. Der Sicherheitsbeamte beschreibt in dem Fernsehbericht auch, warum die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte: Für eine Anzeige müssen zahlreiche Formulare ausgefüllt werden und die Erfolgsaussichten seien gering, oft werden sie wegen Geringfügigkeit eingestellt. Da spülten die Wärter die Drogen lieber in der Toilette herunter, wenn sie denn überhaupt gefunden würden.

Dabei soll die JVA Tonna eigentlich ein modernes Vorzeigegefängnis sein. Das Land hatte sie erst 2002 eröffnet – und begrüßt und verabschiedet seitdem offensichtlich "zufriedene" Kunden. In einer Review auf knast.de, einer Art Yelp für Vollzugsanstalten, schreibt ein ehemaliger Insasse: "Sehr sauber, das Gefängnis, und die Bediensteten waren auch meist freundlich. Bis auf den Beamten in der Kammer. Man merkt, dass das Gefängnis auf Langstrafen ausgelegt ist. Ich kam gerade, wo es Einkauf gab und einen Tag später haben die Gefangenen auf dem Hof gegrillt. Ich war vor zwei Jahren in Braunschweig und das war ein Loch!"

Wenn schon JVA, dann also offensichtlich Tonna.

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