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Popkultur

Smartphones machen uns ganz und gar nicht asozial, liebes Internet!

Wenn man permanent in sein Handy starrt, ist man vieles: abwesend, unaufmerksam, abgelenkt. Aber noch lange nicht asozial.

Photographer captures the eerie reality of our smartphone addiction. — Mashable (@mashable)14. Oktober 2015

Seit einigen Tagen taucht in meiner Timeline immer wieder eine Fotoserie des amerikanischen Fotografen Eric Pickersgrill auf. Die Serie heißt „Removed" und soll unsere angebliche Sucht nach Smartphones veranschaulichen, indem die Personen auf den Bildern apathisch in ihre leeren Handflächen starren, wo sie in der echten Welt permanent ihr geliebtes Handy halten.

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Die Fotoserie soll zeigen, dass Smartphones der Untergang der Zivilisation sind und uns zu asozialen, technologieabhängigen Zombies machen … been there done that. Diese These, die wir uns seit Jahren immer wieder anhören müssen, ist ganz bestimmt vieles, aber vor allem Kulturpessimismus, wie er im Buche steht.

Diese These ist eigentlich per se schon paradox. Wie kann uns etwas, das unser wohl wichtigstes Instrument zur Kommunikation darstellt, asozial machen? Wir sind auf unseren Smartphones ständig erreichbar, teilen alle möglichen Lappalien mit unseren Freunden und sind permanent am neuesten Stand, was in der Welt passiert. Da ist es noch wahrscheinlicher, dass unsere Smartphones uns zu Wesen machen, die nichts mehr für sich behalten können und zu viel Rücksicht auf die Reaktion anderer nehmen, als dass sie uns zu asozialen Arschlöchern verkommen lassen.

Wenn man permanent in sein Handy starrt, ist man vieles: abwesend, unaufmerksam, abgelenkt, aber nicht zwingend asozial. Asoziale Menschen gab es wahrscheinlich schon, als man noch in Höhlen gemalt hat und es wird sie auch dann noch geben, wenn Smartphones längst out und wir längst tot sind oder als konservierte Köpfe in Glasglocken weiterleben.

Wenn ich mit meinen Freundinnen zusammen bin, schauen wir alle ziemlich oft auf unsere Handys. Aber wir machen das nicht, weil wir uns nicht leiden können und kein Wort miteinander sprechen wollen, sondern weil die Smartphones unsere Kommunikation ankurbeln. Wir zeigen uns Memes, Bilder von wahlweise sehr schönen oder sehr hässlichen Menschen, die wir heimlich in der U-Bahn fotografiert haben und Screenshots von idiotischen Nachrichten, die uns irgendein Typ letzte Nacht geschickt hat, um dann stundenlang darüber zu lachen. Kurz gesagt teilen wir unsere kleinen Lebenswelten miteinander, die nun mal auf unseren Smartphones gespeichert sind. Asozial, apathisch oder so traurig wie die Menschen auf den „Removed"-Bildern habe ich mich dabei selten gefühlt.

This is what smartphones are actually doing to us: — Highsnobiety (@highsnobiety)14. Oktober 2015

Natürlich ist nicht jede Kritik an übermäßiger Smartphonenutzung automatisch scheiße. Das einzige, das man daran aber festmachen kann, ist Unhöflichkeit. Wenn ich beim Abendessen mit meiner Mutter mein Smartphone auspacke, weil ich Facebook checken will, ist das in erster Linie unhöflich—und vor allem eine Charaktersache, die auch schon vor Handys gegolten hat. Das Wichtige daran ist aber nicht, ob man einen Klotz in der Hand hat, sondern ob man sich generell für den anderen interessiert. Wer mir mit leeren Augen ins Gesicht starrt und dabei an ganz was anderes denkt, ist nicht unbedingt höflicher.

Eric Pickersgrill zeigt mit seinen Fotos also keineswegs hirnlose Sklaven der Technologie. Genau genommen zeigt er Menschen, die auf ihre Handflächen starren, und dabei aussehen, als wäre das eine ziemlich deprimierende Beschäftigung. Er zeigt maximal schlichtweg unhöfliche Menschen, die am Esstisch mit ihren Smartphones spielen und vor allem zeigt er eines—Menschen, die sich unterhalten, wenn auch mit ihren Smartphones. Und ganz ehrlich, wer hat sich schon immer etwas zu sagen? Wer ist noch nie gemütlich mit seinem Freund auf der Couch gelegen, hat einfach in Ruhe für sich die sozialen Medien gecheckt und hat sich dabei sogar wohl und so gar nicht asozial gefühlt? Eben.

Verena auf Twitter: @verenabgnr