„Haiti ist zu 30 Prozent christlich und zu 100 Prozent Voodoo."

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„Haiti ist zu 30 Prozent christlich und zu 100 Prozent Voodoo."

Die Voodoo-Religion stellt in der westlichen Welt eher eine Art Tabu- bzw. ein morbides Thema dar. In Haiti ist jedoch genau das Gegenteil der Fall.

Alle Fotos: bereitgestellt von Benjamin Eagle

Voodoo hat im Allgemeinen nicht gerade den besten Ruf. Frag doch einfach mal schnell die Person neben dir, worum es bei Voodoo geht, und die Antwort wird sehr wahrscheinlich irgendetwas mit Puppen, Schmerzen, Zombies, bizarren Ritualen, Totenköpfen oder Tieropfern zu tun haben.

Da viele dieser Annahmen von diversen TV-Shows oder schlechten Horrorfilmen herrühren, überrascht es kaum, dass Voodoo viel mehr ist als nur die eben genannten Dinge. Vodun hat seinen Ursprung in Westafrika, wo sich die Bräuche und Rituale vor allem um übernatürliche Wesen drehen, die über die Naturgewalten und die Menschen herrschen. Andere Glaubenssysteme mit ähnlichen Namen—wie etwa das dominikanische Vudu, das kubanische Vodu oder eben das haitianische Voodoo—haben mit Vodun zwar schon viele Gemeinsamkeiten, aber sie enthalten auch oft Elemente des Christentums, um den Ablauf der Dinge etwas zu verändern.

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Beim haitianischen Voodoo gibt es einen göttlichen Schöpfer namens Bondyè, der über eine Gruppe von Geisteswesen (die Loa) herrscht—ungefähr so wie Gott und seine Engel. Diese Loa sind quasi auch die Ansprechpartner für die Menschen, die der Voodoo-Religion angehören.

Zwar ist Voodoo ein fester Bestandteil des Alltags vieler Haitianer, aber das lauteste und spektakulärste Schauspiel der Religion findet beim jährlich zwischen Januar und Februar abgehaltenen haitianischen Karneval statt. Der Fotograf Benjamin Eagle hat das Festival dieses Jahr besucht, um die dortigen Geschehnisse für sein neues Projekt „The Spirits of Jacmel" zu dokumentieren. Ich habe mich mit Eagle über seine Zeit in Haiti unterhalten.

VICE: Wie bist du auf den haitianischen Voodoo gekommen?
Benjamin Eagle: Nachdem ich mich kurz mit den Voodoo-Zeremonien in Westafrika beschäftigt hatte, informierte ich mich auch noch über die anderen Länder, wo die Voodoo-Religion zu finden ist. Dabei fand ich schnell heraus, dass Voodoo und die haitianische Kultur quasi Hand in Hand gehen. Deswegen wollte ich unbedingt dorthin und die Einwohner kennenlernen. Voodoo ist für mich eine extreme Ausdrucksform und ich war neugierig, wie sich das in Haiti manifestiert.

Und dann bist du einfach hingeflogen und hast das Ganze fotografiert?
Als Dokumentarfotograf bin ich immer auf der Suche nach Projekten, die mich auch persönlich interessieren—und das trifft auf Voodoo definitiv zu. Die Religion wird in bestimmten Ländern total gefeiert und nach außen getragen, aber in der westlichen Welt stellt sie eher eine Art Tabu- bzw. ein morbides Thema dar. In Haiti ist hingegen genau das Gegenteil der Fall.

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Welchen Herausforderungen und Problemen musstest du dich während des Projekts stellen?
Haiti kann einem ziemlich oft Steine in den Weg legen. Da es dort auch keine touristische Infrastruktur gibt, muss man immer einen Fahrer an der Hand haben, alles vorausplanen und genau wissen, wo man sich aufhalten kann und wo nicht. Ich persönlich fühlte mich in Haiti zwar recht sicher, aber wenn man Pech hat, kann man dort auch ganz schnell zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Als ich zum Beispiel wieder zum Flughafen wollte, fand ich mich plötzlich in einem Aufstand wieder—und so etwas ist nicht ungewöhnlich.

Den Karneval zu fotografieren, war dann auch noch mal etwas ganz Besonderes, denn man kann dort nicht einfach seine Kamera zücken und losknipsen. Die Haitianer sind ein stolzes Volk und verlangen Respekt. Dort muss man als Fotograf erst akzeptiert werden, bevor man seiner Arbeit nachgehen kann. Natürlich habe ich in meiner Karriere auch schon mal das ein oder andere Foto aus der Hüfte geschossen, aber in Haiti habe ich meine Grenzen nie überschritten und die Leute immer erst um Erlaubnis gefragt. Da ich weder Französisch noch Haitianisch spreche, kam es dabei auch zu ziemlich witzigen Interaktionen.

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Glaubst du, dass dem Voodoo ähnliche Kulturen und Ausdrucksformen aussterben?
Ich denke nicht, dass Voodoo aussterben könnte. Natürlich hat die Religion mit Problemen zu kämpfen, aber sie ist auch unglaublich stark in Haitis Geschichte verwurzelt. Ein Haitianer meinte damals zu mir: „Haiti ist zu 30 Prozent christlich und zu 100 Prozent Voodoo." Und der Karneval wird von der ganzen Bevölkerung ja immer noch jedes Jahr ausgiebig gefeiert.

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Was hat es mit dem Foto von den Typen auf sich, die einen Sarg herumtragen?
Das Bild ist eher ein Schnappschuss und deswegen weiß ich da gar nicht so viel über die Hintergrundgeschichte. Beim Karneval findet man im Allgemeinen Hunderte kleinere Grüppchen, die ihre eigenen Themen und Anliegen zum Ausdruck bringen. Diese Typen hatten sich zum Beispiel von oben bis unten mit Teer eingeschmiert und sind dann als eine Art Trauerzug durch die Menge getobt. Dabei sind sie immer wieder selbst aneinandergeraten und haben den Sarg auch ab und an mal fallen lassen. Das Ganze war aber nur Show. Und wenn sie einen in die Finger bekommen haben, dann wurde man spielerisch wie eine Puppe herumgeworfen.

Mehr von Benjamins Arbeiten findest du auf seiner Website.