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Sex

‚Block B‘ ist der finale Beweis dafür, dass Deutschland Serien noch nicht mal gut klauen kann

‚Orange Is The New Black' meets ‚Mitten im Leben', oder: Warum uns das neue RTL-Frauenknast-Format dazu gebracht hat, vor lauter Wut unsere Augen essen zu wollen.
Screenshot: YouTube

Der Tatort, der ist manchmal ganz gut, ARTE als Sender insgesamt ziemlich erträglich und Serien wie Der Tatortreiniger (was haben die Deutschen nur mit Krimi-Formaten?) kann man sich auch angucken, ohne sich anschließend in Embryonalstellung in den Schlaf zu zucken. Aber was gibt es sonst im deutschen Fernsehen, das einen nicht einfach nur wütend und/oder fassungslos macht? Wenn etwas gut war, dann war es meistens adaptiert (Stromberg) oder hatte irgendetwas mit dem Reality-TV-König unserer Herzen (Walter aus Traumfrau Gesucht) zu tun.

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Deswegen war es grundlegend eigentlich zu begrüßen, als RTL mit Block B—unter Arrest eine neue Dramaserie ankündigte, die frischen Wind ins Donnerstagabendprogramm bringen könnte. Geschichten aus dem Frauenknast statt Germany's Next Topmodel und Frauentausch—warum eigentlich nicht? Klar, der erste Trailer sah besorgniserregend nach RTL-Event-Kino-Ankündigung aus, aber die Hoffnung stirbt zuletzt und als jahrelanger Konsument deutscher Fernsehformate ist man innerlich sowieso schon ein bisschen tot. Ich beschloss also, mir einen ergebnisoffenen TV-Abend zu machen.

Ein Kollege schrieb mir bereits gegen 20.30 Uhr erbost „Das ist das Schlechteste, was ich jemals gesehen habe"—nach kurzer Verwirrung meinerseits (starten die neuen gritty TV-Formate nicht immer erst um 21.15 Uhr?) stellte sich aber heraus: Er hatte zu früh eingeschaltet. Es lief noch Alarm für Cobra 11. Trotzdem hätte ich das irgendwie als schlechtes Omen für den weiteren Abendverlauf sehen müssen. Ich war so blind.

(Ich spare mir jetzt jegliche Art von Spoiler-Warnung. Wer diesen Text liest und sich danach immer noch dazu bemüßigt fühlt, sich diesen visuellen Durchfall reinziehen zu müssen, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.)

DWDL.de wies schon gestern darauf hin, dass es sich bei Block B wohl um eine Eins-zu-Eins-Kopie des australischen Soap-Reboots Wentworth handelt, von dessen Original Prisoners bereits Hinter Gittern abgekupfert war. Wenn dem wirklich so ist: mein Beileid, liebe Australier. Das habt auch ihr nicht verdient.

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Ganz unabhängig von der Frage, ob schlecht geklaut auch rein moralisch schon noch eine Stufe unter schlecht selbst gemacht liegen muss, verstehe ich vor allem eine Sache nicht. Wenn schon klauen, warum dann nicht bei einem aktuellen Frauengefängnis-Format, das so gut wie alles richtig macht? Orange Is The New Black ist lustig, traurig, anrührend, hart und hat trotzdem mehr als genug lesbische Sexszenen, um den sabbernden Voyeurismus-TV-Fan bei der Stange zu halten.

Zumindest eine Sache scheint sich RTL dann aber doch vom Netflix-Vorbild abgeguckt zu haben—oder es findet sein Setting selbst so langweilig, dass sich die Handlung von Block B vor allem an den Einzelgeschichten der Charaktere entlang hangelt. Jede Folge setzt eine der Insassinnen in den Fokus und das ist an sich gar nicht verkehrt. Schließlich lässt sich bei einer Gefängnis-Serie nicht sonderlich viel an der Räumlichkeit ändern. Allerdings sind weder Schauspieler noch Script dazu in der Lage, diese Art des Geschichtenerzählens angemessen auszufüllen. Da war es wohl doch keine so gute Idee, die Autoren direkt von knast-fanfiction.de.vu wegzucasten.

In hektisch gefilmten Flashbacks auf dem schauspielerischen Niveau einer Mitten im Leben-Folge werden wir Zeuge von Szenen häuslicher Gewalt (Backstory! Emotion! Skandal!). Beas Mann schlägt sie, vergewaltigt sie auf der Küchenzeile und hat bei all dem immer ziemlich akkurat nach hinten gegeltes Haar. Eine Arschlochfrisur halt, falls anders noch nicht offensichtlich geworden sein sollte, wer hier der Böse ist. Leider sind diese Bilder weder dramatisch noch verstörend—was unter anderem daran liegen könnte, dass die Tochter der Protagonistin komplett unbeteiligt daneben steht. Das war übrigens der erste Moment, in dem ich ernsthaft in Betracht gezogen hatte, meine Augen zu essen.

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Wenn Bea aber das Opfer ist, warum ist sie dann im Gefängnis, mag man sich fragen. Die aufopferungsvolle Familienmutter hat versucht, ihren Mann auf die wohl dümmste Art und Weise zu töten, der ich je Zeuge geworden bin. Schlucken wir jetzt einfach mal die Tatsache, dass sie es irgendwie geschafft hat, dieses körperlich übermächtige Gewaltmonster zu knebeln und in die Garage zu schleppen. Aber dass sie den Typen dann bei vollem Bewusstsein mit Klebeband am Fahrersitz des Familienautos fixiert, um dann den Motor anzulassen und die Abgase in den Innenraum umzuleiten … Es ist so DUMM. Es ist so verdammt dumm, dass es mich wütend macht, und dass ihre Nemesis diesen lächerlichen Tötungsversuch, den ihr nicht mal ein Blinder als Selbstmord ihres Mannes abnehmen würde, auch noch überlebt, erscheint in Anbetracht dieser GOTTVERDAMMTEN DUMMHEIT einfach nur angemessen.

Screenshot: YouTube

Anstatt aber vollkommen zurecht wegen Dummheit in den Knast zu kommen, wartet Bea inmitten von ihren neuen besten Freundinnen auf ihren Prozess wegen versuchten Totschlags und selbst wenn ich auch nur ansatzweise den Willen hätte, mich emotional in diese fernsehformatgewordene Geschlechtskrankheit zu investieren, könnte mir ihr Schicksal nicht egaler sein. Die Charaktere sind ebenso platt wie überzogen und die vermeintliche Hauptantagonistin Rita schlägt gegen Ende der ersten Folge dem Fass den Boden aus. Mit einem Facelifting, für das sich selbst Donatella Versace schämen würde, und der Mimik eines Topfdeckels ausgestattet schickt sie Mitinsassinnen von A nach B und soll dabei offenkundig auch abseits ihres Maskengesichts furchteinflößend wirken. War schon vor ihrem Auftauchen alles ziemlich hanebüchen, eskaliert die Story-Situation dann richtig.

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Rentner-Rita zettelt den zweitdümmsten Mordversuch aller Zeiten (herzlichen Glückwunsch, Bea, der Thron ist nach wie vor dein) an, um die böse Irokesenlesbe, die Drogen schmuggelt, aus dem Weg zu räumen. Dabei stirbt allerdings nur die aktuelle Gefängnischefin, Bea fällt in die Blutlache und steht seither unter Verdacht, sie getötet zu haben. Und falls euch das alles noch nicht DUMM genug ist: Der verzweifelte Freund der toten Chefin fängt quasi augenblicklich nach ihrem Hinscheiden damit an, Koks zu ziehen und transformiert sich vom netten Gefängniswärter, der Kippen an Nichtraucher-Häftlinge verschenkt, zum rachsüchtigen Psycho.

Wahrscheinlich wird er in den kommenden Folgen jemanden umbringen und wahrscheinlich wird er sich dabei anstellen wie ein Schwein beim Schuhebinden. Sollte RTL in Zukunft ein Format namens Die dümmsten Verbrecher aller Zeiten planen, muss es für die Rechte an eingekauftem Fremdmaterial keinen Cent ausgeben. Ich wünschte, ich könnte zumindest behaupten, dass das Ganze gut aussieht.

Neben der Tatsache, dass das Format die allgemeine Ästhetik eines Tampon-Werbespots hat—viel blau, strahlend weiße Tops, das Versprechen auf ordentlich Blut—, lassen Schnitt, Kameraführung und Szenenauswahl vermuten, dass der zuständige Cutter vor seinem Rechner einen epileptischen Anfall hatte. Und immer dann, wenn random Nahaufnahmen und wirre Kamerafahrten die allgemeine Atmosphäre einfangen sollen, plärrt aus dem Hintergrund plötzlich ein viel zu lauter und abstrus unpassender Song.

Wollte RTL ein für allemal mit dem Gerücht aufräumen, dass die deutsche Fernsehlandschaft unter Umständen doch irgendwann mal eine Serie produzieren könnte, die ansatzweise an das Niveau der amerikanischen und britischen Formate heranreicht? Oder ist das die Rache dafür, dass zum Schluss niemand mehr den diesjährigen Bachelor sehen wollte? Was zur Hölle haben wir dem Privatfernsehen getan, dass wir das verdient haben?

Irgendwann kam der Punkt, an dem ich ernsthaft neidisch auf die zugedröhnte Hero-Mutti des Zellenblocks geworden bin, die sich komplett aus den Geschehnissen um sie herum ausgeklinkt hat. Vielleicht habe ich es mir eingebildet, aber ich hatte sogar das Gefühl, dass sie mir ab und an einen verschwörerischen Blick zugeworfen hat. „Alles wird gut, Lisa", schien sie sagen zu wollen, „Mir bleibt nur die Nadel, um dieser grenzdebilen Scheiße entkommen zu können, aber du kannst einfach den Fernseher ausschalten." Und genau das habe ich dann auch gemacht.

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