Die Plage schlafwandlerischer Sexattacken: Ich leide unheilbar an Sexsomnie
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Die Plage schlafwandlerischer Sexattacken: Ich leide unheilbar an Sexsomnie

Ohne dass ich es merke, versuche ich nachts mit meiner Frau Sex zu haben. Sie hat sich inzwischen mit meinem Schlafwandel-Sex arrangiert, aber nicht jede Form der Sexsomnie ist so harmlos wie meine.

Es passierte im Dunkeln, wie immer. Vor ungefähr drei Jahren habe ich zum ersten Mal von einer fremden Frau geträumt. Jedes Mal, wenn sie und ich am gleichen Ort waren, ging es sofort zur Sache. Wir tauschten nicht einmal Blicke, geschweige denn Worte aus und doch war die Affäre mehr als ein flüchtiger Traum. Es dauerte nicht lange, und die Träume begannen in die Realität zu sickern. Bald bemerkte ich, dass die fremde Frau, die mir nachts erschien, eigentlich meine Freundin war, mit der ich wenige Stunden zuvor gemeinsam eingeschlafen war. Mir wurde klar, dass ich an einer seltenen Form schlafwandlerischen Sexzwangs litt.

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Unsere gemeinsamen Nächte erlebte ich wie einen bizarren, mit der Wirklichkeit vermischten feuchten Traum; gerade greifbar genug, um echt zu sein, aber auch so unwirklich, dass sie sich gleichermaßen surreal anfühlten—wie eine Geschichte aus einer Erzählung Haruki Murakamis. Meine Freundin, die inzwischen meine Frau ist, bezeichnete meine nächtlichen Avancen schon bald nur noch als „Mitternachts-Sexplage." Doch mein Verhalten hat auch noch einen anderen, weniger zärtlichen Namen: Sexsomnie.

Schlaf und Sex: Was soll schon schiefgehen?

1984 traf Dr. Colin Shapiro auf eine Frau, die ihn letztlich dazu brachte, den Begriff und die Diagnose der „Sexsomnie" zu prägen. Damals arbeitete er als Forscher in einem südafrikanischen Schlaflabor. „Nach einem Interview mit einer Journalistin fragte sie mich, ob wir noch etwas Persönliches besprechen könnten."

Die Reporterin berichtete Shapiro von Nächten, in denen ihr Mann davon aufwachte, dass sie im Schlaf masturbierte. Das Paar war damals gerade frisch verheiratet und die unbehandelten Symptome der Sexsomnie belasteten ihre Beziehung, verwirrten die Frau und verunsicherten ihren Mann.

sexsomnisches Verhalten reicht von Stöhnen über das Rufen von Obszönitäten bis hin zu Geschlechtsverkehr.

In den folgenden zwölf Jahren untersuchte Shapiro viele weitere Fälle von Sexsomnie. Zunächst war auch er von dem Phänomen erstaunt, doch nach und nach begann der Psychiater ein Muster zu erkennen und schrieb schließlich einen wissenschaftlichen Artikel über Sexsomnie. Der erste dieser Fachartikel trug den romantischen Titel „Sexuelles Verhalten im Schlaf—eine neue Form der Parasomnie."

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Als Parasomnie bezeichnet damals wie heute abweichendes nächtliches Verhalten wie Schlafwandeln, Ängste, Lähmungen und seit kurzem auch Sexsomnie. 2003 veröffentlichten Shapiro und seine Kollegen eine detaillierte Chronik der elf bislang systematisch dokumentierten Fälle unter dem Titel „Sexsomnie—eine neue Parasomnie?"

Das weite Spektrum der Sexsomnie

Einer der aufschlussreichsten Artikel aus der Sexsomnie-Forschung entstammt einer gemeinsamen Studie des Minnesota Regional Sleep Disorder Centers, der University of Minnesota und der Stanford University. Er wurde 2007 veröffentlicht und heißt „Schlaf und Sex: Was soll schon schiefgehen?". Die Studie zeigt nicht nur, wie unterschiedlich die individuellen Ausprägungen von Sexsomnie sein können sondern auch, dass sich die Krankheit typischerweise durch Masturbation ausdrückt, wobei Männer dazu neigen, die Person neben sich in ihr sexuelles Verhalten mit einzubeziehen. Eine neuere Studie zeigte nun, dass rund acht Prozent der Patienten eines Torontoer Zentrums für Schlafstörungen bereits Sexsomnie erlebt hatten und, dass Männer häufiger betroffen sind als Frauen.

Trotz der Pionierarbeit von Dr. Shapiro steckt die klinische Erforschung immer noch in den Kinderschuhen. Die Krankheit wurde erst im Mai dieses Jahres offiziell als Schlafstörung klassifiziert und anerkannt. Nach wie vor gibt es zu wenig gesicherte Erkenntnisse über das Phänomen. Allerdings ist bekannt, dass das weite Spektrum des sexsomnischen Verhaltens von nächtlichem Stöhnen, laut ausgerufenen Obszönitäten, Sebstbefriedigung, unangemessenem Berühren der nächstbesten Person, Beckenstößen oder sogar Geschlechtsverkehr besteht.

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Für uns wurde es zu einer angenehmen nächtlichen Überraschung. Doch nicht jeder Fall von Sexsomnie ist so unschuldig.

In meinem Fall äußerte sich die Krankheit, in dem ich mich wild im Bett herumwälzte und meine Frau begrabschte. Meistens reagierte sie positiv, obgleich im Halbschlaf, auf meine unbewusste Anmache. Es war eine seltsam erhabene Erfahrung, als ob wir beide dabei andere Menschen wären. Für uns wurde es zu einer angenehmen Überraschung oder zumindest einem Grund zum Lachen. Doch nicht jeder Fall von Sexsomnie ist so unschuldig.

Eine Google-Suche ergab mehr als genug Fälle angeblicher Vergewaltigungen und sexueller Belästigung so, dass ich sofort beschloss, zum Arzt zu gehen. Denn die Sexsomnie-Symptome sind in meinem Fall nur die Spitze des Eisbergs, da ich außerdem unter Schlafwandel und nächtlichen Angstschüben leide. Ich kann mittlerweile eine ganze Reihe von Anekdoten aus meinem Schlafzimmer erzählen. So habe ich zum Beispiel bei einem meiner letzten Nachtspaziergänge eine Art Bodenturnenden-Überschlag über unsere Kommode gemacht. Im Schlaf. Es war höchste Zeit zum Arzt zu gehen, denn wer weiß, was ich sonst noch so alles des Nächtens anstellen könnte.

Harmlose Auslöser

Mein Hausarzt verwies mich an das Weill Center, einem Zentrum für Schlafmedizin in Manhattans Upper East Side. Dort traf ich Dr. Arthur J. Spielman, der sich für meine Eingangskonsultation ausgiebig Zeit nahm. Ohne Zweifel würde er mich zu einer nächtlichen Schalfuntersuchung in seiner Klinik bitten. Die Frage war nur, welche Störung er untersuchen sollte.

Parasomnien, zu denen auch die Sexsomnie zählt, können die unterschiedlichsten Ursachen haben und werden von den verschiedenen Triggern ausgelöst. Häufig ist der Auslöser ein plötzliches Erwachen aus dem Tiefschlaf. Ein lautes, externes Geräusch und plötzlich ist die Erregung da. In anderen Fällen rührt die Sexsomnie von einem medizinischen Leiden wie Schlafapnoe, wobei die Schnarcher dadurch aufwachen, dass ihnen kurzfristig der Atmen stockt. Auch der Konsum von Alkohol, der sowieso die Schlafqualität verringert, kann Sexsomnie auslösen.

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Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl an Parasomnie-Auslösern und der Tatsache, dass ich gelegentlich schnarche, verordnete mir Dr. Spielman eine Schlafüberwachung in der ich auf Schlafapnoe und Parasomnien, die nicht mit REM-Schlaf in Verbindung stehen (wie z.B. Sexsomnie, klassisches Schlafwandeln und andere nächtliche Schreckenshandlungen), untersucht werde. Der Arzt zog zusätzlich auch noch nächtliche Krämpfe (als Form von Epilepsie) und REM-Verhaltensstörungen, wie Schlagen und Treten während des Schlafs, in Betracht. Spätestens jetzt war mir klar, dass mir eine breit angelegte Untersuchung bevorstand.

Klinische Verkabelung

Ein Techniker verkabelte mich für die Schlafstudie und legte mir 33 Sensoren an, die alle Formen meines abnormalen Schlafverhaltens überwachen sollten. Die Kabel und Geräte mit denen ich verbunden wurde, kamen hauptsächlich aus dem Bereich der Elektroenzephalographie (EEG) und sollten, ausgehend von meiner Hirnaktivität, jede Regung meines Körpers messen.

Ich hatte 15 EEG-Elektroden auf meinem Kopf, die meine Hirnströme überwachen sollten und anzeigten, in welchem Schlafstadium ich mich gerade befand. Normalerweise werden nur neun Elektroden verwendet, doch zur Untersuchung meiner nächtlichen Schrecken kamen noch einmal weitere Sensoren hinzu: Auf meine Augen, Arme, Beine und meinen Kiefer, falls ich mit den Zähnen knirschen sollte. Damit jede der Elektroden auf meinem Kopf auch gut funktionierte, schmierte mir der Techniker schön viel Leitpaste in die Haare.

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Der Vollständigkeit halber hatte ich auch noch zwei Elektrokardiogramm-Elektroden (EKG) für die Beobachtung meiner Herzfrequent auf meinem Brustkorb, während zwei Atmungsbänder um meine Brust anzeigten, wie sehr sich mein Oberkörper auf- und absenkt. Ein wärmeabhängiger Widerstand, in Form von Plastikschläuchen vor meinem Mund, beobachte außerdem meinen Atem und andere zyklische Rhythmen.

Zum Zum Zum Schlafen verkabelt. Foto vom Autor

Somit war ich bereit für den unangenehmsten Teil der Verkabelung: Die P-Flow-Kanüle. Das sind Plastikröhrchen zur Hirnvermessung, die diesmal durch meine Nasenlöcher gezogen wurden. Zuerst kitzelte es nur ein wenig, doch schnell entwickelte sich die Einführung dieser Kanüle zum scheußlichsten Gefühl der ganzen Prozedur. Abschließend bekam mein rechter Zeigefinder zur Bestimmung des Blutsauerstoffpegels noch einen Fingerpulsoximeter verpasst. Schon zehn Minuten später war ich bereit zum Schlummern.

Parasomnien wie Sexsomnie werden häufig durch einen unregelmäßigen Tiefschlaf ausgelöst. Um also möglichst vergleichbare Voraussetzungen zu meinen erotisch geplagten Nächten zu schaffen, wurde ich im Namen der Forschung um vorherigen Schlafentzug gebeten. Ich verzichtete also in der Nacht vor der Studie auf zwei Stunden meiner wertvollen Nachtruhe, damit mein Schlafrhythmus einen unregelmäßigen Schlag verpasst bekam. Ich tat also das, was ich immer abends so mache, guckte Fernsehen und las dann bis mir meine Augen zufielen.

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Der süße stationäre Schlaf

Das Einschlafen fiel mir zunächst deutlich leichter als erwartet, aber ich bewegte mich während der ganzen Nacht enorm viel. Eimal wachte ich auf und merkte wie ich auf mein Bett einschlug. Erst nach einem Moment wurde mir klar, dass ich versuchte das Pulsoximeter von meinem Zeigefinger abzureißen. Als ich vollständig wach war und mich etwas beruhigt hatte, rief ich über die Sprechanlage den Techniker. Da ich das ursprüngliche Oximeter anscheinend zerstört hatte, installierte er mir ein neues. Nicht ohne zu betonen, dass er solche Reaktionen extrem selten erlebe. Mit einem eigenartigen Gefühl von Stolz schlief ich wieder ein.

Später erfuhr ich, dass die Klinik möglicherweise etwas nachgeholfen hatte: Dr. Andrew Westwood, ein Neurologe vom Columbia University Medical Center verriet mir ein Geheimnis (allerdings weiß ich nicht, ob diese Praxis auch am Weill Center angewandt wird): „Wir warten ab, bis die Testpersonen in einen tiefen Schlaf gefallen sind", erzählte mir Westwood. „Durch ein paar gezielte Geräusche über die Sprechanlage, versuchen wir dann manchmal solche Anfälle zu provozieren." Ich konnte nicht feststellen, ob diese Praxis auch regulär bei Dr. Spielman zur Anwendung kommt (der übrigens nicht direkt zitiert werden wollte), doch es könnte eine Erklärung dafür sein, warum ich mich am nächsten Morgen so fertig fühlte.

„Die meisten Menschen kommen nicht aus eigenem Antrieb in die Schlafklinik", sagte Westwood. „Normalerweise werden sie von besorgten Freunden oder Verwandten geschickt. Manchmal kommen sie auch auf Grund einer Verletzung."

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Manche Leute nehmen an einer Schlafstudie teil, weil sie die Gewissheit brauchen, dass alles in ordnung ist.

Doch gleichzeitig scheinen sich solche Schlafstudien zunehmender Beliebtheit zu erfreuen. „Es kommen aber auch immer wieder Leute, die nicht überprüfen wollen was ihnen fehlt, sondern die einfach die Gewissheit brauchen, dass alles in Ordnung ist", erzählte Westwood.

Die Muster im Gehirn

Als ich eine Woche später Dr. Spielman zur Besprechung meiner Ergebnisse besuchte, erwarteten mich gute Nachrichten: Ich litt weder unter Schlafapnoe, noch nächtlichen Krämpfen und auch keinen REM-Verhaltensstörungen. Die Studie ergab, dass ich nachts mehrere Tiefschlafphasen mit Nicht-REM 3-Schlaf oder N3 durchlebte. Während dieses N3-Tiefschlafs war ich öfter abrupt aufgewacht und hatte dabei einen erhöhten Herzschlag—ein Signal für Nicht-REM-Parasomnie. Dr. Spielman war überzeugt davon, dass meine Sexsomnie, Schlafwandeln und andere nächtlichen Ängste auf diese Muster zurückzuführen sind.

Als Dr. Spielman meine Akte in seinem Computer schloss, fügte er als eine seiner Diagnosen „Sexsomnie" hinzu. Vor vier Monaten hätte er das noch nicht getan, doch die kürzlich publizierte dritte Neufassung der Internationalen Klassifizierung von Schlafstörungen (ICSD-3) und die eindeutige neurologische Analyse meines Leidens, ließen ihn zu diesem Fazit kommen. „Im Schlaf ist der präfrontale Kortex nahezu ausgeschaltet", erklärte mir Dr. Michel Cramer Bornemann, leitender Forscher bei Sleep Forensic Associates, einer führenden Expertengruppe medizinischer und juristischer Sachverständiger zu Parasomnien:

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„Der präfrontale Cortex ist der Teil des Gehirns, dass deine situationsangemessenen Handlungen steuert. Tief in deinem Gehirn sitzen zentrale Mustergeneratoren, die deine überlebenswichtigen Impulse regeln."

Diese überlebenswichtigen Verhaltensweisen beinhalten primäre Bedürfnisse wie unseren Kampf- oder Fluchtinstikt, den Essensbedarf und die sexuelle Aktivität. Reguliert werden diese „Programme" durch elektrische Stromschleifen. Bornemann fügte jedoch hinzu, dass sich diese zentralen Muster „sehr nah" an jenen Bereichen des Gehirns befinden, die die Schlaf- und Wachphasen kontrollieren.

Foto mit freundlicher Genehmigung vom Autor.

Wenn dein Schlaf also irgendwie gestört wird, zum Beispiel durch ein Schnaubgeräusch des Partners, genügt ein kleiner elektrischer Schaltfehler aus den neurologischen Zentren, die für den Schlaf-Wachzustand verantwortlich sind, um eines der zentralen Krankheitsmuster auszulösen. Eine der Folgen könnte die sexuellen Handlung sein.

In anderen Worten bedeutet das: Es ereignet sich solch ein Schaltfehler und dein präfrontaler Cortex ist nicht soweit aktiv, um zu verhindern, dass du in deinem Schlaf Dinge tust, die du später bereuen könntest. Das erklärt auch, warum manche Menschen während ihres Schlafs essen oder beim Schlafwandeln gewalttätig werden. Es gibt also scheinbar eine Erklärung für die neurologischen Mechanismen der Sexsomnie. Jetzt muss nur noch eine Behandlungsmethode entschlüsselt werden.

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Der Versuch einer Sexsomnie-Therapie

Dr. Spielman und ich entschieden uns für einen Therapieversuch mit Klonopin, einem Benzodiazepin-Beruhigungsmittel, das Stress reduzieren soll und bisher bei der Behandlung von Nicht-REM-Parasomnien wie Sexsomnie eine 70-prozentige Heilungsquote aufwies. Das Medikament aktiviert Gammaaminobuttersäure (GABA), den Neurotransmitter, der in deinem Gehirn für die Beruhigung und Entspannung zuständig ist. Klonopin hängt sich an die GABA-A-Rezeptorseite deines Gehirns und verstärkt deinen Ruhezustand. Ein höheres Level an Sedierung soll in der Theorie nun bewirken, dass du nachts nicht bei jeder kleinen Ablenkung aus dem Tiefschlaf schreckst und die Sexsomnie somit weniger schnell ausgelöst wird.

Doch auch wenn Klonopin die Leitungen im Hirn verändert, so ist immer noch nicht genau bekannt, wo sich die neurologischen Auslöser ereignen. Selbst Neurologen sind sich nicht vollständig sicher über die Vorgänge im Gehirn, freuen sich jedoch über die positiven Ergebnisse, die mit dem Medikament erreicht werden können. „Klonopin ist einfach ein ziemlich effizientes Breitbandmedikament", sagte Bormann, der abgesehen von therapeutischen Methoden auch auf die Bedeutung des persönlichen Umgangs mit dem Krankheitsfeld verweist:

„Es kommt immer darauf an, wie der Patient selbst und sein Partner mit dem Leiden umgehen. Wenn jemand eher zart besaitet ist, kann es bereits problematisch sein, wenn sich die Sexsomnie nur einmal im Monat ereignet."

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Ich kann froh sein, dass meine Sexsomnie-Episoden eher mild ausfallen. Gleichzeitig ist meine Frau sehr verständnisvoll und akzeptiert meine nächtlichen Avancen. Andere hingegen bekommen ernsthafte Beziehungsprobleme, die bis zur Scheidung führen können. Im schlimmsten Fall kannst du sogar für sexuelle Belästigung angezeigt werden.

Für einen neurologen gibt es ein ganzes Spektrum an Bewusstseinszuständen. Vor Gericht gibt es jedoch nur bewusst oder unbewusst.

Neben der Medikation kann auch ein veränderter Lebensstil als Prävention für Sexsomnie dienen. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus, Stressreduktion und vor allem ein eigenes Bett können das Leben sehr erleichtern.

Schlafwandlerische Sexualdelikte

Auch wenn die Sexsomnie nicht mit der Pädophilie verwandt ist, ist es offensichtlich keine gute Entscheidung, wenn Eltern mit diesem Leiden das Bett mit ihren Kindern teilen. Tragischerweise erschließt sich dieser Zusammenhang manchen Menschen erst zu spät. Kürzlich ereignete sich in Ottawa ein Fall, bei dem ein Vater seine Tochter belästigte. Wie sich heraus stellte, litt der Mann unter Sexsomnie, hatte jedoch nie eine formelle Diagnose stellen lassen. Jeder Fall ist unterschiedlich und birgt eine andere Komplexität, in diesem wurden jedoch sogar zwei Schlafexperten herangezogen—einer von ihnen war Dr. Shapiro—die sich widersprechende Einschätzungen zur Rolle von Alkohol als Auslöser für Sexsomnie abgaben. Ein Urteil wird für den 12. November erwartet.

Dr. Bormann zufolge handeln die meisten kriminellen Fälle, in denen mutmaßliche Sexsomnie eine Rolle spielt, von den Verhältnissen zwischen Eltern und ihren Kindern. Er und seine Kollegen der Sleep Forensics Associates waren die erste Gruppe, die ihre Expertise über Schlafstörungen für die Klärung juristischer Fälle anboten.

Als Hauptforscher der Sleep Forensics Associates hat Bornemann bereits über 300 schlafbezogene kriminelle Fälle untersucht. 40 Prozent davon beinhalteten sexuelle Belästigungen. Werden nun die Nebeneffekte von Ambian (einem gängigen Schlafmittel) mit einbezogen, steigt die Zahl noch einmal enorm an. Bornemann analysiert die Schlafforensik der Täter und wie Sexsomnie bei dem Delikt eine Rolle gespielt haben könnte. Mit seinen Gutachten hilft er auch den Geschworenen bei der Entscheidungsfindung. In jedem Gerichtsfall gibt es zwei wichtige Komponenten, die für die Verurteilung bedacht werden müssen: Mens Rea, der lateinische Begriff für die Motivation und die bewusste Absicht hinter dem Vergehen, sowie Actus Res, was sich auf die physischen Aktionen bezieht, die stattgefunden haben.

Die juristische Verteidigung von Tätern, die unter Sexsomie leiden, basiert meist darauf, dass der Täter auf Grund des fehlenden Bewusstseins weder die Motivation noch die Absicht hatte, die Straftat zu begehen. In diesem entscheidenden Punkt unterscheiden sich Rechtsprechung und Wissenschaft, und die Justiz agiert oft genug mit einer gewissen Skepsis gegenüber neuurologischen Urteilen:

„Juristisch gesehen ist Bewusstsein eine Dichotomie: Entweder bist du vollständig bewusst oder du bist bewusstlos.", sagte Bornemann. „Das ist das Gleiche wie mit dem Schlaf. Entweder schläfst du oder du bist wach. Entweder das eine oder das andere. In der Neurowissenschaft wissen wir jedoch, dass es ein ganzes Spektrum an Bewusstseinszuständen gibt. Doch vor Gericht gibt es für solche Einschätzungen keine Rechtsgrundlage."

Die kürzlich vorgenommene Ergänzung in der ICSD-3, die Sexomnia als einen offiziellen Parasomnie-Zustand beschreibt, markiert somit auch einen wichtigen Schritt nach vorne für die rechtlichen Auseinandersetzungen mit dieser Störung. Bevor es diese Klassifikation gab, erzählt Bormann, konnte die komplette Verteidigungsstrategie dadurch zerstört werden, das der Richter das Leiden als „Märchen" abtat.

Diese Entwicklung ist nicht nur ein Fortschritt dahingehend, wie Sexsomnia in juristischen Fällen behandelt wird, sondern sie wird auch das allgemeine Bewusstsein zu diesem Thema voranbringen. Mit der Anwendung elektronischer Überwachungsgeräte und der daraus folgenden Sammlung medizinischer Daten, sollte sich in absehbarer Zeit ein besseres Verständnis für das unerforschte Leiden der Sexsomnie entwickeln.

Auch wenn es sich hierbei um hoffnungsvolle Schritte handelt, wird die Erforschung der Sexsomnie noch ein langer Prozess sein. Ich selbst hatte seit meiner Übernachtungsstudie zum Glück nur einen einzigen nächtlichen Anfall. Auch eine Klonopin-Therapie wird leider stets nur eine Behandlung der Symptome sein und keine Erlösung von meinem Leid. Unabhängig davon, was der Medizin in Zukunft für erhellende Erkenntnisse zur Sexsomnia gelingen—wenn ich nachts das Licht ausschalte, werde ich wohl immer mit einer gewissen Angst vor der Dunkelheit meiner Bettruhe einschlafen.