Zartes Pflänzchen Bürgerwehr: Unterwegs mit den Beschützern Deutschlands
Bild: Daniel Mützel | Motherboard

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Zartes Pflänzchen Bürgerwehr: Unterwegs mit den Beschützern Deutschlands

Teil eins unserer Bürgerwehr-Recherche führt uns nach Hannover und Leipzig.

Carsten Schulz, der Gründer der Bürgerwehr Hannover, ist ein redseliger Mann. Er weiß jede noch so kurze Gesprächspause mit einer weiteren skurrilen Anekdote zu füllen. Zum Beispiel, als er vor vielen Jahren bei Schröders zuhause häufiger zu Mittag aß, damals, als der Gerhard noch links war. Oder als ihn die SZ im Jahr 2012 mit einer Antisemitismus-Geschichte zu Fall brachte und er deswegen heute keinen Job mehr bekommt und noch nicht mal eine AfD-Mitgliedschaft.

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Carsten Schulz hat es schon in so mancher Partei versucht: In den 80ern bei den Grünen, in den 00ern bei den Piraten. Sein SPD-Mitgliedsantrag wurde 2013 rechtskräftig abgelehnt, obwohl er dagegen klagte. Ebenso sein AfD-Antrag. Drei Mal. Bei der Kommunalwahl im September tritt er nun auf seiner eigenen Liste an—mit der Bürgerwehr als Wählerbündnis.

Warum er die Bürgerwehr Hannover ins Leben rief? „Köln", lautet die knappe Antwort. Die Ereignisse in der Silvesternacht hätten gezeigt, dass man sich bewaffnen müsse. Das sei seiner Meinung nach die Hauptaufgabe einer Bürgerwehr: Volksbewaffnung. Ob die Angriffe auf Frauen hätten verhindert werden können, wenn die Leute Waffen gehabt hätten? Sicherlich. In den USA, glaubt Schulz, wäre „Köln" nicht passiert.

Sein Vorhaben hat Carsten Schulz ganz bescheiden „Reconquista Hannover" getauft

Seine Facebook-Bürgerwehr zählt derzeit 1.316 Mitglieder, darunter prominente Unterstützer wie Medienverschwörungspapst Udo Ulfkotte und den AfD-Politiker Armin-Paul Haupe. Dort postet er fleißig Beiträge über kriminelle Flüchtlinge und Migranten. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist für Schulz eher fließend: Die Migranten von heute sind die Asylbewerber von gestern.

Warum sein besonderes Interesse für Kriminelle mit migrantischem Background? „Wir wissen nun einmal, dass bestimmte Verbrechen nur von bestimmten Leuten verübt werden," erläutert Schulz. Frauen-Angrabschen, Rotlichtkriminalität, organisierte Banden und so weiter. Aber man dürfe so etwas ja nicht sagen, sonst sei man gleich Rassist.

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Gesagt hat er es jetzt trotzdem und auch die PC-Polizei ist bisher nicht in Sicht.

Wir besuchen das Camp der sudanesischen Flüchtlinge am Weißekreuzplatz. Für Carsten Schulz ein skandalöses Beispiel dafür, wie Flüchtlinge mittlerweile mehr Rechte als Deutsche genießen. An sich kein großes Problem, aber irgendwie doch ganz schön dreist von den Sudanesen, einfach ein Stück Deutschland zu besetzen. Kein Deutscher könne dauerhaft einen öffentlichen Platz okkupieren, ohne von der Polizei geräumt zu werden. Aber die Hannoveraner Polizei sei ohnehin nur ein Instrument der rot-grünen Stadtregierung.

Aber Carsten Schulz ist keiner, der aufgibt. Er werde ein Gegen-Camp errichten. Gleich hinter dem Protestlager der Sudanesen, da sei noch genug Platz. Das Vorhaben hat er ganz bescheiden „Reconquista Hannover" getauft und für den 19. März angesetzt. Natürlich nur, wenn er Mitstreiter findet, was derzeit das Hauptproblem der Hannoveraner Bürgerwehr zu sein scheint: ausreichend Personal. Während er mir die Stelle zeigt, wo das deutsche Zeltlager entstehen soll, gesellt sich eine Krähe zu ihm ins feuchte Grün. „Da haben Sie schon einen ersten Mistreiter", rufe ich ihm zu. Herr Schulz lacht.

Herr Schulz an dem Ort, an dem er sein deutsches Gegen-Camp erreichten möchte | Bild: Daniel Mützel | Motherboard

Wann geht es nun los mit der Patrouille? Bürgerwehren auf Streife können nicht viel ausrichten, das sei eine Illusion, so Schulz. Vielmehr wolle er mit seiner Idee die herrschende Politik provozieren und den Druck auf die Polizei erhöhen, die bei Ausländerkriminalität systematisch wegschaue.

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Das erste Treffen Ende Januar, der Gründungsakt der Bürgerwehr Hannover im realen Leben, scheiterte. Statt zahlreicher Neurekruten warteten hauptsächlich Polizeibeamte und Journalisten vor dem „Meyers Lebenslust", wo die Versammlung stattfinden sollte. Die zahlreichen Ankündigungen von Facebook-Usern? „Maulhelden", die sich nur vor dem Computer stark fühlen. Acht, neun Interessierte waren trotzdem gekommen.

Überhaupt, die Antifa: Sie sei der Grund, warum die Mannstärke seiner Bürgerwehr nicht schon deutlich über eins liegt

Carsten Schulz gab eifrig Interviews, so eifrig, dass er gar nicht merkte, dass sich der Großteil seiner Anhänger bereits aus dem Staub gemacht hatte. Drei blieben übrig, von denen einer, wie er sagt, nicht der hellste war und ein anderer ein Nazi. Aber der Abend war ohnehin gelaufen, denn das Bürgerwehr-Trüppchen wurde noch die ganze Nacht von einem Polizeiwagen verfolgt, zu seinem eigenen Schutz vor der Antifa, wie ein Polizist ihm versicherte.

Überhaupt, die Antifa: Sie sei der Grund, warum die Mannstärke seiner Bürgerwehr nicht schon deutlich über eins liegt. Wer es wagte, sich öffentlich dazu zu bekennen, bekäme Besuch von diesen „Gewalt-Faschisten". Daher blieben die Menschen stumm. Sie möchten ihre bürgerlichen Existenzen nicht aufs Spiel setzen. Eine Hooligan-Wehr auf die Beine zu stellen, wäre hingegen ein Leichtes. Die gewalttätigen Hools, die er dafür bräuchte, hätten in den meisten Fällen ohnehin nichts mehr zu verlieren. Aber er will eine Bürgerwehr, im wahrsten Sinne des Wortes.

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Die Ladenbesitzer am Weißekreuzplatz beispielsweise seien allesamt potentielle Bürgerwehr-Kandidaten, glaubt Schulz. Sie hätten die Schnauze voll von dem „Schandfleck" vor ihrer Haustür, aber sie trauen sich nicht, das laut zu sagen. Aus Angst um ihre Fensterscheiben.

In der Hannoveraner Uni-Bibliothek hat Schulz sich früher gern weitergebildet, doch mittlerweile hat er dort Hausverbot. Ob das ein richtiges Zeichen für einen umtriebigen Menschen wie Schulz ist? Bild: Daniel Mützel

Was er gegen die Flüchtlinge und Migranten habe, die nach Deutschland kommen, frage ich ihn. Er sei kein Rechter, stellt er klar, sondern Liberaler, auch ein bisschen Anarchist. Daher gehe es ihm nicht darum, andere Kulturen abzuwerten, sondern ausschließlich um die Verteidigung „unserer" Werte, wie sie im Grundgesetz verankert sind. Spätestens Köln habe gezeigt, dass Multikulti unmöglich funktionieren kann, da die Einwanderer keinen Respekt vor Frauen haben und Schwule diskriminieren.

Man mag ihm an einer Stelle glauben, dass es ihm egal ist, wie er sagt, ob in 20 Jahren 80 Millionen Deutsche, Marokkaner oder Chinesen die Bundesrepublik besiedeln, solange diese 80 Millionen das Grundgesetz akzeptieren. Auch, dass er konsequent Hools und Nazis aus seiner Facebook-Gruppe bannt, weil er mit stramm rechtsgesinnten Bürgerwehren nichts zu tun haben möchte. Doch jemanden wie Michael Sturzenberger, dem Admin des Leib- und Magenblogs deutscher Flüchtlingsfeinde, „PI-News", wegen seines „großen Mutes" zu bewundern, lässt seine angeblich liberale Denke blass erscheinen.

Ebenso, wenn er über Deutsche redet, als wären sie per se die Ausgeburt des Zivilisierten. Als würden im Moment nicht Horden von gewalttätigen Schlägern Flüchtlingsheime in der ganzen Republik anzünden, mit dem gleichen Argument, dass „die" nicht zu „uns" passten. Oder als würden die vielen besorgten Bürger, die seit Monaten gegen Überfremdung aufmarschieren, dies aus Angst vor dem Verlust zivilisatorischer Errungenschaften tun, und nicht etwa aus Angst vor dem eigenen (weiteren) Abstieg.

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Leipzig: Kabelbinder oder Handschellen?

Die Kontaktaufnahme mit Bürgerwehren gestaltet sich kompliziert. Die meisten benehmen sich wie scheues Wild zur Jagdsaison – übervorsichtig, wenig kontaktfreudig, schreckhaft. Sie wittern permanent den Angriff aus den Gewehrläufen der Lügenpresse und reagieren daher meist ablehnend auf Anfragen.

Auch die Leipziger Bürgerwehr unter dem Gründer René M. muss sich nach eigener Aussage im Moment um wichtigere Dinge kümmern als Pressemails. Verstanden und vergeben. Ich versuche es trotzdem mit einer Nachfrage, etwa zum aktuellen Stand der Dinge? Zu spät, ich bin aufgeflogen. Ein Artikel für Zeit Online aus dem Jahr 2011 wird mir zum Verhängnis. Der sofortige Kontaktabbruch droht. Der Grund: Gibt man auf der Zeit-Website „Axel Springer" ein, erscheint die Themenseite zum Axel-Springer-Verlag, die sämtliche Artikel der Zeit über den Verlag auflistet. Macht man nun einen Screenshot davon, erhält man ein Bild, auf dem die Namen „Zeit Online" und „Axel Springer" erscheinen, nebeneinander. Die Verbindung zwischen beiden Verlagen ist für René M. erstmal belegt, die Akte ist geschlossen.

Als Springer-Mann geoutet, greife ich nach dem letzten Strohhalm und versuche zu erklären, dass das alles ein großer Irrtum sei, Zeit und Springer wie Apfel und Birne, und überhaupt sei ich nur ein unbedeutender freier Autor, ohne Rechte, ohne Lobby, von Medienkonzernen ausgebeutet. Und der Artikel für die Zeit 2011, nun ja, was soll ich sagen, ich war jung und hatte das Geld. Doch ich schwöre auf den Koran, ich bin nicht von Springer!

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Es gelingt. Die dunklen Springer-Flecken auf meiner weißen Journalisten-Weste bleichen so schnell wieder aus, wie sie gekommen waren. Mehr noch: Schon bald gelte ich als jemand, der der Bewegung nahe steht. Ich frage nicht weiter nach, um welche Bewegung es sich denn überhaupt handle, sondern bin erst mal froh, wieder in ihrer Gunst zu stehen. Damit habe ich mir ein Telefonat verdient.

Nun, was macht die Leipziger Bürgerwehr im Moment? Sich vorbereiten und vernetzen, verrät mir René M. am Telefon. Stichschutzwesten kaufen und so weiter. Seine Leipziger und er wollen etwas Längerfristiges wuppen, daher dauert die Organisation der ersten Kiezstreife noch einige Wochen.

Ursprünglich wollte man am 1. Februar den ersten Lauf versuchen, doch der Termin wurde kurzfristig abgesagt. Auch die Polizei Sachsen war schon mal bei René zuhause, um ihn über die bestehende Rechtslage aufzuklären. Auf Facebook schreibt er im Anschluss: „Niemals lasse ich mich von dem System einschüchtern, niemals!"

Selbstbewusst konfrontiert er die Leipziger Behörden mit lässiger Online-Attribution („@Polizei — Lasst uns vernünftig eine Lösung finden, mein Konzept habe ich erklärt!") und bietet ihr versöhnlich eine Zusammenarbeit an. Schließlich sei die Exekutive doch selbst schuld an der Situation: „Wenn der Staat nicht an der falschen Stelle gespart hätte, hätten wir viel Probleme nicht."

Um für die möglichen Gefahren einer nächtlichen Patrouille gewappnet zu sein, braucht die Leipziger Bürgerwehr entsprechende Ausrüstung. Auf Facebook ruft sie zu Sachspenden auf: Kevlar-gefütterte Handschuhe, Handschellen, Schutzwesten, die neue Walther CCP 9mm. Ok, das mit der Walther ist ein Scherz. Also um Handschuhe, Handschellen, Schutzwesten und auch Aktionscams bittet sie ihre virtuellen Follower. Auch drei Firmen hätten sich beteiligt, so M. Welche genau das sind, bleibt unklar.

Ein User weist darauf hin, dass man mit den Handschellen „schnell in den Bereich der Freiheitsberaubung komme". Die Bürgerwehr daraufhin: „Wissen wir. Danke." Ein anderer schlägt Kabelbinder vor, die man anstelle der Handschellen nehmen könnte. Doch es bleibt bei der Acht aus Stahl. Die Verletzungsgefahr bei Kabelbindern sei zu hoch, außerdem sei man beim Thema Handschellen rechtlich gut beraten.

René M. klingt am Telefon entschlossen und gut organisiert. Trotzdem bleibt fraglich, was aus seiner Facebook-Idee entstehen kann, ob sie ein schüchternes Internet-Reh bleibt oder ob sie es tatsächlich schafft, ein Trüppchen zusammenzustellen, das für ein paar Wochen durch die Leipziger Nacht streift.