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Der Vice-Guide zum subtilen Militärstudium

Lass deine Militär-Boots zu Hause. Du brauchst nicht zur Bundeswehr gehen, um deinen Beitrag zu leisten. Wie du eine gelungene Karriere im Sinne des Militärs hinlegst, erfährst du hier.

Dr. Strangelove oder: wie ich lernte, die militärische Forschung zu lieben, via GIPHY.

Du wolltest zur Uni gehen und für eine bessere Welt forschen? Vielleicht wolltest du aber auch die Lässigkeit von Tom Cruise aus Top Gun mit der Brillanz von Stephen Hawking vereinen. Oder du meinst auch in Zivil und im Hörsaal deinem Volk und Vaterland dienen zu müssen?

Auf jeden solltest du dir darüber im Klaren sein, dass dein Erstsemester-Idealismus von einem klaren Unterschied zwischen Vernunft und Verwüstung nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Auch der schöne Glaube von der Universität als Bildungsanstalt für freie und pazifistische Geister ist inzwischen reichlich überholt.

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Spätestens seit in der letzten Woche aufgedeckt wurde, dass 22 deutsche Universitäten ihre Forschung auch aus dem Budget des US-Verteidigungsministeriums finanziert haben, sollte deutlich sein, wie unübersichtlich die Grauzone zwischen ziviler und militärischer Forschung eigentlich ist. Heute kannst du ohne je eine Bundeswehr-Stube von Innen gesehen zu haben, tatkräftig dem Militär zuarbeiten. Von offensichtlichen Beispielen wie den Military Studies, über Umweltwissenschaften, bis hin zur Walforschung steht dir die weite Welt des militärisch-akademischen Komplexes offen.

Die Idee, im Sinne des Militärs forschen zu lassen, ist nicht neu, wie das Foto einer Rekrutenklasse in Telefonie von 1917 zeigt, via Wikipedia.

Seit die Bundeswehr keinen garantierten Rekrutennachschub zur Verfügung hat, operiert sie nach marktwirtschaftlichen Prinzipien und versorgt den Bildungsmarkt mit Angeboten, die Menschen in Zivil für die Kriegsthematik empfänglich machen sollen. Die Bundeswehr stellt sich dem turbulenten Wettbewerb im Bildungssektor und bietet ein interessantes Portfolio an Leistungen.

Und da sich inzwischen auch in Deutschland die Forschung zunehmend über Drittmittel und Wirtschaftskooperationen finanziert, gibt es vielfältige Möglichkeiten für Win-Win-Situationen, die nicht unbedingt etwas mit Waffenforschung im engeren Sinne zu tun haben müssen—aber auch nicht unbedingt mit dem Humboldtschen Bildungsideal.

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Military Studies an der Uni-Potsdam

An der Uni Potsdam inmitten altehrwürdiger Rokoko-Bauten und weitläufiger Grünanlagen kann man seit 2007 den Masterstudiengang „Military Studies“ studieren. Der Studiengang untersucht die Kulturgeschichte von Militär und Gewalt.

Gerhard Kümmel vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr hat in einem Interview mit DRadio Wissen erklärt, dass es nicht darum geht die Gesellschaft zu militarisieren oder neue Rekruten für die Bundeswehr anzuwerben, sondern darum die Gesellschaft für Themen des Militärs zu „sensibilisieren“.  Auf dem Lehrplan stehen solche vielversprechenden Seminare wie „Sex Matters: Sexualität und Geschlecht im Militär“ oder auch die Lektüre solcher Klassiker wie Clausewitzs „Vom Kriege“.

Von studentischer Seite wird berichtet, dass in den Lehrveranstaltungen von der Nähe zur Bundeswehr, die ja wichtiger Kooperationspartner und Mitbegründer des Studiengangs ist, nicht viel zu merken ist.

Doch die Frage der direkten Einflussnahme ist vielleicht nicht so entscheidend, wie man denkt. Das Schlüsselwort lautet Kooperation. So hat die Uni Potsdam kürzlich dadurch Schlagzeilen gemacht, dass sie eine der 22 vom US-Verteidigungsmindesterium geförderten deutschen Hochschulen ist.

Der zuständige Professor für das geförderte Forschungsprojekt, Prof. Dr. Metzler, hat etwaige Verpflichtungen gegenüber den Geldgebern abgestritten. Grund für die amerikanische Drittmittelförderung sei die sich immer verschlechternde finanzielle Situation der Hochschulen. Forschen nach marktwirtschaftlichen Grundregeln wird immer mehr zu einem unübersehbarern Trend in der Hochschullandschaft.

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Ein Institut für Gesellschaft und Sicherheit

Der Markt für zivile Drohnen wird sich mit "kontinuierlichen Wachstumsraten" entwickeln, hofft auch EADS, via Flickr.

So auch in Potsdam: Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS) ist ein Forschungsinstitut, an dem die Uni Potsdam Hauptteileigner ist. Ein weiterer Teilhaber ist der Rüstungskonzern EADS.

Als der Bundestag 2012 über die zivile Zulassung von Drohnen abstimmen sollte, hat der Konzern eine Studie beim BIGS in Auftrag gegeben, die eine mögliche Zulassung untersuchen sollte, berichtet Frontal 21. Natürlich hat die Studie eine zivile Zulassung der Drohnen befürwortet.

In der Studie heißt es an einer Stelle: „[es] wird nachvollziebar angenommen, dass der europäische Markt für zivile UAS [Unmanned Aircraft System] in kurzer Zeit mit kontinuierlichen Wachstumsraten wachsen wird“. Interessant dabei ist das kleine Detail, dass die Studie angeblich schon vor zwei Jahren 2011 erstellt wurde, aber erst zur Bundestagsabstimmung 2012 veröffentlicht wurde. Von gezielter Beeinflussung will man seitens des BIGS nichts wissen.

Walforschung und Rüstungsindustrie?

Ein positives Beispiel für die Verästelungen zwischen Militär und Wissenschaft liefert das Alfred-Wegener-Institut (AWI), das eines seiner Forschungsprojekte vom Office of Naval Research hat finanzieren lassen. Bei dem Projekt ging es um die Entwicklung eines Systems zum Lärmschutz für Walen in der Nähe von Offshore-Anlagen. Dabei verwendete das AWI eine Wärmebildkamera, die auf dem militärischen Markt bereits verfügbar war, und entwickelte diese zu ihren Zwecken weiter.

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Aufnahme der arktischen Meeresoberfläche bei Nacht, via AWI.

Dieser Fall der Drittmittelfinanzierung zeigt, dass die Vermischung von militärischen und wissenschaftlichen Interessen offenbar auch ohne die Einflussnahme der Geldgeber erfolgen kann.

TU Berlin, und wie man auch mit  Zivilklausel erfolgreich forschen kann

Dass das Auseinanderhalten von militärischen und wissenschaftlichen Interessen aber nicht immer so leicht ist, zeigt ein Artikel des AStA TU Berlin. Dem Artikel zufolge verwischt die Grenze zwischen rein ziviler und rein militärischer Forschung immer mehr. Die Hoffnung, eine freiwillige Zivilklausel würde daran etwas ändern, entpuppt sich oft als trügerisch.

Zwar hat sich die TU Berlin schon seit 1991 zu einer Zivilklausel verpflichtet, doch das heißt noch lange nicht, dass bestimmte Schlüsseltechnologien aus dem Bereich der sogenannten „zivilen Sicherheit“ nicht Gegenstand der Forschung wären.

Der Dual-Use-Charakter dieser Technologien wird vor dem Hintergrund der zusehends stärker werdenden Verzahnung von innerer und äußerer Sicherheit in Praxis und Theorie immer wahrscheinlicher.

Widerstand gegen die Auswüchse der Sicherheitskultur in Deutschland, via Flickr.

Die Helmholtz-Research School on Security Technologies, ein Kolloquium der TU Berlin und des DLR (Deutschs Zentrum für Luft und Raumfahrt), dass kluge und vielversprechende Akademiker in einer Art Denkfabrik auf Zeit zusammenbringt, ist eine der Speerspitzen der Sicherheitsforschung. Natürlich ist dieses Kolloquium mit solchen Veranstalungen wie "Hürden der Sicherheitsevolution am Beispiel Smartphones War-Stories eines Pentesters" auch eine Schnittstelle des Wissenstransfers und solche Kooperationspartner wie das BKA sind sehr an den Forschungsergebnissen interessiert und schauen auch gerne für einen Inputvortrag vorbei.

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Am Beispiel der TU Berlin kann man auch sehr gut erkennen, wie sich das im Wandel befindliche Sicherheitsverständnis, – Sicherheit als Kultur – dazu geführt hat, dass sich mittlerweile Forschungszweige entwickelt haben, deren Ergebnisse ohne Weiteres auch für die militärische Forschung von großer Bedeutung sein dürften. Vor diesem Hintergrund verspricht die Wirkkraft einer freiwilligen, nicht juristisch bindenden, Zivilklausel wenig Aussicht auf Erfolg.

An der Uni Köln hat der Senat im Sommer dieses Jahres die Einführung einer Zivilklausel aus dem interessanten Grund abgelehnt, dass dadurch die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr sei. Der AStA der Kölner Universität fasste den Entscheid des Senats auf pointierte Weise zusammen:

„Der Anspruch einer Wissenschaft, die gesellschaftlich verbessernd wirkt und der Völkerverständigung und der Humanisierung der Lebensverhältnisse zu Gute kommt, bedeute eine Einschränkung der Wissenschaft,“

Umweltwissenschaften an der Leuphana Uni Lüneburg und die Bio-Kerosin-Forschung

Ein letztes Beispiel für die Verflechtung von marktwirtschaftlichen, militärischen und universitären Interessen bietet das Forschungsprojekt, das von Stefan Schaltegger vom Centre for Sustainability Management und Professorin Alexandra-Maria Klein vom Institut für Ökologie und Umweltchemie an der Uni Lüneburg geleitet wird. Solltest du also ein Seminar bei diesen in Lüneburg beliebten Lehrkräften belegen, könnte es sein, dass auch du die Arbeit des sogenannten Innovations-Inkubators unterstützt, und mit einem Praxisseminar an der Entwicklung des Treibstoffs für den Flugverkehr mitgewirkt hast, – Biokerosin.

Das Projekt zielt auf die Realisierung seiner Forschung, ohne dabei einen Unterschied von ziviler und militärischer Nutzung der Forschungsergebnisse zu machen: „Die Forschung im Lüneburger Innovations-Inkubator konzentriert sich auf die Entwicklung von Verfahren, wie der gewaltige Bedarf an Kerosin in der zivilen und militärischen Luftfahrt mit Biokraftstoffen sichergestellt werden kann.“

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Die US Navy experimentiert schon seit langem mit Biotreibstoffen, via Flickr.

Das US-Militär ist Fan von Bio-Kerosin. Getreu dem Motto „Global Vigilance, Global Reach, Global Power for America“ wird die US Air Force in den kommenden Jahren eine Schlüsselfunktion innerhalb des amerikanischen Militärs einnehmen. Dieser Anspruch auf permanente, globale Einsatzmöglichkeiten soll durch den Einsatz von unbemannten Flugzeugen entscheidend gefestigt werden. Die Einführung von Bio-Drohnen, so die Vorstellung der Militärstrategen, wird diese Luftoffensive noch effizienter und umweltfreundlicher gestalten.

Ähnlich, und vielleicht noch bedeutsamer, sieht es mit der bevorstehenden zivilen Nutzung von Drohnen aus, deren Einsatz durch einen umweltfreundlichen Treibstoff, zumindest bei größeren Modellen, nur noch begünstig scheint.

Dieser Zusammenhang zwischen deutscher Biokerosin-Forschung und militärischen Zukunftsvorstellungen der USA wird umso einleutender, wenn man bedenkt, dass die deutsche und die amerikanische Regierung schon längst ein Abkommen zur Förderung und Entwicklung von Biokerosin geschlossen haben.

Oldschool-Droning

Die Zukunft als Militärstudent ist also mehr als verwirrend: Absolventen der Military Studies, tanken für die deutsche Regierung zivile Drohnen mit Biokerosin auf und statten sie mit einer hochsensiblen Infrarotkamera aus, um die Flugobjekte zur Steigerung der zivilen Sicherheit aus einem geheimen Kontrollzentrum zur Überwachung von Walen zu lenken.

Aber, wenn klare wirtschaftliche und militärische Interessen und marktwirtschaftliche Grundregeln den Lehr- und Forschungsbetrieb der Hochschulen immer mehr für sich vereinnahmen, sind wir einer verworrenen dystopischen Zukunft womöglich näher als wir glauben.