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Wikileaks soll verschwiegen haben, wie Syrien 2 Mrd. € nach Russland schaffte

Die Whistleblower-Plattform soll eine belastende E-Mail des syrischen Regimes aus den 2012 veröffentlichten Syria Files zurückgehalten haben. Wikileaks leugnet, Beweise unterschlagen zu haben und droht lieber den Journalisten, die darüber berichten.
Bild: imago

Als Wikileaks die sogenannten Syria Files im Juli 2012 veröffentlichte, entschloss man sich scheinbar entgegen den eigenen Prinzipien, der Öffentlichkeit das ein oder andere Detail vorzuenthalten: Zum Beispiel eine Überweisung über zwei Milliarden Euro von dem syrischen Regime an eine russische Bank, die zu 75 Prozent in staatlicher Hand ist. Das zeigt zumindest eine Recherche von Daily Dot, die sich auf Dokumente stützt, die den Journalisten jetzt zugespielt wurden.

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Der Beweis über die Existenz dieser Überweisung findet sich in nicht öffentlichen US-Gerichtsunterlagen, die Dell Cameron und Patrick Howell O'Neill mit dem Inhalt der Syria Files verglichen haben.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um diesen Move von Wikileaks zumindest ungewöhnlich zu finden—insbesondere, da er von einer Institution kommt, die sich wie keine zweite der radikalen Transparenz verschrieben hat. „We open governments" ist sogar der Leitspruch der Whistleblower-Plattform—doch offensichtlich war man in der Wahl der zu öffnenden Regierungen in diesem Fall etwas selektiv.

Die 500-seitigen Gerichtsdokumente zeigen detailliert, wie die Hacktivistengruppe RevoluSec kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien in die Server des syrischen Regimes eindrang und von dort massenhaft E-Mail-Belege über Geldflüsse abschöpfte, die Bahar Al-Assad kurz vor dem Inkrafttreten der wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land noch hastig angeordnet hatte. Die Hacker hatten umfassende Kontrolle über die syrischen IT-Systeme. Die meisten dieser E-Mails wurden in Wikileaks „Syria Files" veröffentlicht.

Doch an einer bestimmten E-Mail, die RevoluSec ergattern konnte, hatte Wikileaks wohl kein gesteigertes Veröffentlichungsinteresse:

Sie ist vom Schatzmeister der syrischen Zentralbank Salim Toubaji unterschrieben und lässt die russischen VTB Bank am 26.11.2011 wissen, dass das syrische Finanzinstitut „einen Anlagen-Gesamtbetrag auf insgesamt zwei Milliarden Euro anheben" konnte—zusammen mit einer persönlichen Bitte an den Finanzdirektor der VTB Bank, doch bitte einen russischen Account einzurichten.

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Dieser Austausch tauchte schon einmal zuvor im Internet auf: In einem Chatlog des früheren Anonymous-Hackers und späteren FBI-Spitzels Sabu (der im echten Leben Hector Monsegur heißt und von den Anonymous-Elitehackern LulzSec als Verräter verachtet wird).

Sechs Jahre mit Anonymous

(Als kleine Volte der Geschichte hatte übrigens auch der damalige Wikileaks-Mitarbeiter Sigurdur Thordarson alias Siggi drei Monate zuvor dem FBI eine freiwillige Kooperation als Spitzel angeboten—davon wusste Sabu allerdings nichts.)

Nichts zur Sache von Seiten Wikileaks—nur ein paar vage Drohungen.

Die Syria Files wurden nach ihrer Erstveröffentlichung im Juli 2012 im Laufe der Monate noch um staatliche Korrespondenz aus fünf weiteren Monaten erweitert. Nichtsdestotrotz sollten die an Wikileaks weitergegebenen Daten bereits die fragliche Transaktion zwischen Russland und Syrien beschreiben. Dass die Mail nicht öffentlich gemacht wurde, deutet zumindest darauf hin, dass sie ein Wikileaks-Mitarbeiter bewusst herausgelassen und damit aus welchen Gründen auch immer zensiert hat—schließlich wurden von der gleichen Absenderadresse und vom gleichen Tag auch andere Mails veröffentlicht, wie der Leak zeigt.

Ein Wikileaks-Sprecher dementierte die Recherche von Daily Dot, die sich auch auf Gespräche mit einem offenbar an der Syrien-Operation beteiligten Hacker stütze. Allerdings äußerte man sich nicht konkret zu den Informationen aus den Dokumenten, die die Journalisten, die sich bereits in der Vergangenheit durch gründliche und bemerkenswerte Recherchen zu Hackern und Leaks hervorgetan haben, veröffentlichten.

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Dass Wikileaks, eine Organisation, deren zentrale politische Forderung nach wie vor radikale Transparenz zur Rettung der Demokratie ist, nun selbst als Zensor aufzutreten scheint, ist besonders fragwürdig, wenn man die jüngere Entwicklung der Whistleblower-Plattform betrachtet.

Wikileaks mausert sich seit mehreren Monaten immer mehr zum republikanischen Wahlkampfstrategen—mit einem unangenehm-verschwörerischen Output, der immer weiter an den rechten Rand rückt und versucht, der demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton strategischen Schaden zuzufügen. Auch wenn man weiterhin betont, neutral zu sein, lassen die jüngsten Verlautbarungen und Aktionen die Whistleblower-Plattform doch wie einen Akteur mit eigener politischer Agenda erscheinen. Es wird weithin angenommen, dass die gestohlenen E-Mails und Voicemails aus dem National Comittee von zwei russischen Hackern entwendet und an Wikileaks weitergegeben wurden, die nach Meinung vieler Experten in direkter Verbindung zur russischen Regierung stehen.

Gleichzeitig vergrätzt das ehemalige selbsterklärte Flaggschiff der Transparenz, der Pressefreiheit und der Demokratie selbst langjährige Unterstützer wie Edward Snowden mit irrelevanten Inhalten oder schlicht unverantwortlichen Praktiken, die zuletzt Homosexuelle und Vergewaltigungsopfer geoutet hatte—wenn man nicht gerade frei über den Gesundheitszustand der demokratischen Kandidatin assoziiert.

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Dass die vermeintliche Unterschlagung ans Licht kommt, begeistert Wikileaks überhaupt nicht. Man reagiert, wie dieser Tage für die Whistleblowerplattform üblich, mit vagen Drohungen. Zur Sache selbst äußerte man sich nur allgemein und lieferte keine konkrete Argumente, die den Verdacht der Manipulation des Datensatzes zerstreuen konnten. Ein Wikileaks-Sprecher erklärte zur „spekulativen und unzutreffenden" Sache nur: „Die Veröffentlichung enthält mehrere Mails, die die syrisch-russischen Beziehungen darlegen. Als Teil unserer Leitlinien äußern wir uns nicht zu vermeintlichen Quellen."

Zumindest nahm sich der Wikileaks-Sprecher aber noch Zeit, Enttäuschung über Daily Dots vermeintliche Unterstützung Clintons zum Ausdruck zu bringen und drohte dem Journalisten zum Schluss noch wegen seiner Berichterstattung: „Macht ihr nur", so der nicht näher benannte Sprecher. „Ihr könnt drauf wetten, wir werden den Gefallen irgendwann zurückzahlen." Folge Motherboard auf Facebook, Instagram und Snapchat.