​Der bizarre Feldzug eines bayerischen Dorfes gegen einen Pornostar
Natalie Hot mit ihrem Preis bei der Venus | Foto: imago | Christian Schroedter

FYI.

This story is over 5 years old.

News

​Der bizarre Feldzug eines bayerischen Dorfes gegen einen Pornostar

Seit über einem Jahr kämpft Natalie Hot gegen das Verbot, sich in ihrem eigenen Haus vor der Kamera auszuziehen.

"Stufe drei bitte, die völlige Ekstase!", verlangt der Reporter am Walkie-Talkie draußen, während er sein Dezibel-Messgerät ausrichtet. Drinnen in ihrem Zimmer gibt Natalie Hot alles: Sie stöhnt und keucht, dass sich die Balken biegen. Sie schließt die Augen und windet sich. "Also ich hör nix hier unten. Auch das Dezibelgerät zeigt 40 Dezibel an, hier kommt gar nichts an", berichtet der Reporter in die Kamera.

Anzeige

Die Szene ist ein Ausschnitt aus einer Sat.1-Sendung namens akte 20.16 vom April. Die Pornodarstellerin Natalie Hot hat das Video auf ihrer Webseite hochgeladen. Schon damals sorgte ihr Fall für einige Aufmerksamkeit, was schließlich dazu führte, dass Sat.1 eine ganze Filmcrew in das 6.000-Seelen-Dorf Ampfing in Oberbayern schickte, um der skurrilen Fehde zwischen Dorf und Pornodarstellerin investigativ auf den Grund zu gehen. Dabei geht es um viel mehr als Dezibel-Werte: Es geht um Moralvorstellungen, Bürokratie und Gewalt, um Liebe und um Hass.

Als Natalie, die eigentlich Stefanie heißt, Anfang 2015 mit ihrem Freund in ein Einfamilienhaus in das bayrische Ampfing zog, konnte sie das alles noch nicht wissen. Aber als die Anwohner in ihrer Straße herausfanden, womit die neue Nachbarin ihr Geld verdient, wurde es ungemütlich. "Da hat es schon angefangen, dass die Nachbarn so ein bisschen rumschimpfen", erzählt Natalie bei Sat.1. Eine Nachbarin habe ihr gesagt, dass Unterschriften gegen sie gesammelt würden. Dazu muss man wissen, dass Natalie anfangs in ihrem Haus nicht nur Webcam-Videos gedreht hat, sondern auch richtige Pornos, für die dann Film-Crews angereist sind. Das verursachte zu viel Lärm, befand das Ordnungsamt, und stattete der Darstellerin einen Hausbesuch ab. "Wo ich erfahren hab, dass ich das eigentlich nicht machen darf. Dann hab ich auch damit aufgehört", behauptet Natalie. Die Nachbarn glaubten ihr aber nicht.

Anzeige

Wie viel Wut sie mit ihrem Beruf wirklich auslöst, erfuhr Natalie an einem Freitagabend im Juli. Die Darstellerin strippte gerade in einem Live-Chat vor Zuschauern, als lautes Schreien aus dem Garten die Show unterbrach. Vor ihrem Haus tobte ihre betrunkene 44-jährige Nachbarin, beschimpfte sie als "Schlampe" und schlug in einem Wutanfall die Glasscheiben in der Haustür mit den bloßen Händen ein. "Da war Blut überall an den Wänden—sie hat sogar versucht, auf mein Auto zu steigen", erzählte die "ziemlich aufgelöste" Erotik-Darstellerin einer Lokalzeitung. Die Nachbarin erklärte später in der in der Bild, das ständige Gestöhne, "vor allem von Männern, vor allem mittags!" direkt neben ihrem Haus, habe in ihr die Sicherungen durchbrennen lassen. "Ich wollt', dass a Ruh is." Natalie wiederum behauptet, die Nachbarin hätte höchstens das Stöhnen ihres Freundes hören können, der im Fitnessstudios im Keller trainierte.

Der Nachbarin ist ihr Ausbruch zwar peinlich. Aber sie wollte immer noch nicht akzeptieren, dass in ihrer Straße Live-Videos gedreht werden. "Die soll das im Hinterzimmer im Gewerbegebiet treiben!", forderte sie damals in der Bild. Ansonsten sehe sie "das sittliche Wohl" ihrer 14-jährigen Nichte bedroht. Die Kinder aus der Straße würden wegen ihrer Nachbarin bereits in der Schule gehänselt, berichten die Anwohner. Man könnte zwar meinen, dass die Kinder in einer Gegend, in der der Weihnachtsmann von einem haarigen, kinderfressenden Dämon begleitet wird, derartige Hänseleien besser wegstecken können. Aber für die Eltern scheint die Trauma-Gefahr real.

Anzeige

Natalie wiederum sah ihre Existenzgrundlage bedroht und ging in die Offensive. Wenige Tage nach dem Überfall trommelte sie eine Handvoll Kolleginnen und Sympathisanten zusammen und organisierte eine Demo für mehr "Toleranz und Freizügigkeit" vor dem Ampfinger Rathaus. Die Mädels hielten Schilder mit "Schaut ihr keine Pornos?" und "Porno-Stars haben auch Kinder" hoch, und die Presse liebte es. "Die heißeste Demo des Jahres", schwärmte die Bild, die Münchner Abendzeitung veröffentliche eine zehnteilige Bilderstrecke.

Auch Natalie scheint die Aufmerksamkeit teilweise zu genießen, die ihr der ungewöhnliche Nachbarschaftsstreit verschafft hat. Im Sat.1-Video vermutet sie gut gelaunt, der wahre Grund für die Wut der Nachbarinnen sei wohl ein anderer: "Die meisten Frauen hier in meiner Umgebung wollen vielleicht nicht das ausleben, was die Männer gerne haben wollen", stichelt sie. "Vielleicht war der ein oder andere Mann schon bei mir in der Cam und wurde erwischt."

Trotzdem erreichte die Demo das genaue Gegenteil von dem, was Natalie gewollt hatte: Nachdem 15 Nachbarn einen Brief an den Gemeinderat geschrieben hatten, in dem sie sich wieder über Sex-Geräusche aus Natalies Haus und eine mögliche Wertminderung ihrer Immobilien beschwerten, wollte der Gemeinderat Natalie daraufhin die Webcam-Arbeit in ihrem Haus verbieten.

"Wir werden Einspruch gegen diesen Bescheid einlegen", kündigte das Erotik-Model damals an. Unterstützung bekam sie ausgerechnet von der Polizei. "Sie hat den Venus-Award gewonnen, ist eine bekannte Darstellerin im Newcomer-Bereich", zitiert die Bild Polizeioberkommissar Christian Kain, der offensichtlich einen Sinn für die Kunst der damals 22-Jährigen hat. "Zudem hat sie dort regulär ein Gewerbe angemeldet. Wie sie das macht, ist das alles legal."

Anzeige

Der Einspruch und die engagierte Beihilfe des kunstsinnigen Ordnungshüters blieben jedoch erfolglos. Im September erhielt Natalie vom Landratsamt in der Kreisstadt Mühldorf das offizielle Verbot, sich in ihrem Wohnhaus vor der Webcam auszuziehen. "Es ist nicht erkennbar, dass bei einem Erotikchat im Wege freier schöpferischer Gestaltung Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen der Bauherrin durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht würden", begründete das Amt sein Urteil. Und stellte Natalie eine Ultimatum: Bis zum 27. November müsse sie ihre Kamera ausgeschaltet haben. Wenn sie sich daran nicht hält, müsse sie mit einem Zwangsgeld von 2.000 Euro rechnen. Kurz darauf erhielt Natalie zum zweiten Mal einen Preis bei der Erotik-Messe Venus in Berlin, als "beste Nachwuchsdarstellerin" des Jahres.

Natalie Hot kämpft jetzt seit über einem Jahr um ihr Recht, sich im eigenen Haus für 3,99 Euro pro Minute vor der Webcam räkeln zu dürfen.

Ganz nachvollziehbar ist die Argumentation des Landratsamtes nicht. Als das Sat.1-Team auf der Suche nach Antworten das Büro des zuständigen Sachbearbeiters stürmte, erklärte der sichtlich genervt, der "Bebauungsplan" des Ortes ließe ein Gewerbe nicht zu. Ihr "Arbeitszimmer" sei laut dem Plan nämlich als Kinderzimmer vorgesehen.

Natalie Hot kämpft jetzt seit über einem Jahr um ihr Recht, sich im eigenen Haus für 3,99 Euro pro Minute vor der Webcam räkeln zu dürfen. Immerhin sei das nichts anderes, als "Home Office" zu machen, argumentiert das Model. Das Landratsamt beharrt auf seiner Sichtweise: Ihr Chat-Zimmer könne "nicht als herkömmliches Arbeitszimmer oder Telearbeitsplatz" betrachtet werden, weil ihre Arbeit durch die Übertragung "Außenwirkung entfaltet". Das, was Natalie macht, könne nichtmal als "freiberufsähnliche" Tätigkeit gelten, "da auch hierfür ein gewisser Standard an individueller geistiger oder schöpferischer Qualifikation verlangt wird", heißt es.

An diesem Mittwoch werden die beiden Parteien ihren Streit vor dem Verwaltungsgericht in München ausfechten. Egal was dabei herauskommt, eines hat die Gemeinde Ampfing jetzt schon erreicht: Ihr Dorf wird auf lange Zeit untrennbar mit dem Namen "Natalie Hot" verbunden sein. Aber das ist vielleicht immer noch besser als die Außenstelle des KZs, das sich in dem Ort befand.