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Ein Blick in Österreichs verschworene Waffen-Welt

Einblicke in die Arbeiten hinter der Doku "Schützen, Sammler, Skeptiker".
Das ist unser Host Tori beim Schießen. Foto: VICE Media

Diesen Donnerstag präsentieren wir um 19:00 Uhr unsere neue Doku "Schützen, Sammler, Skeptiker" via Facebook Live mit anschließendem Q & A. Hier bekommt ihr vorab schon einmal einiges über die Hintergründe und Entstehung der Reportage zu lesen.

Dass Österreich "aufrüstet", hört und liest man seit Monaten in regelmäßigen Abständen in praktisch allen Medien. Seit dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise vor einem Jahr scheint sich ein großer Teil der Bevölkerung tatsächlich unsicher zu fühlen—nicht zuletzt auch wegen einer Fülle an Falschmeldungen zu dem Thema. Tatsächlich bestätigt auch das Innenministerium einen Anstieg der Waffenkäufe in Österreich—mittlerweile ist die Zahl der registrierten Waffen auf fast eine Million gestiegen. Für uns war diese Tatsache der Ausgangspunkt und Grund, mit der Arbeit an einer Video-Reportage zu beginnen.

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Wir merkten schnell, dass sich der Zugang zur Waffenbranche und den Leuten, die wirklich Einblick in sie haben, erstaunlich schwierig gestaltete—deshalb aber umso interessanter für uns war. Und so wurde aus einer Doku, die sich eigentlich mit Waffenkäufen aus Angst vor Flüchtlingen beschäftigen sollte, langsam aber sicher eine Doku über eine ziemlich verschworene Szene und ihre Skepsis gegenüber Medien, Politik und EU.

Unternehmen wie der österreichische Waffen-Riese Glock schotten sich schon seit Jahren von der Öffentlichkeit ab, was zu einem fast schon mysteriösen Image beigetragen hat. Erstaunlich war für uns eher, dass sich diese Abschottungsstrategie von Großkonzernen bis in den Einzelhandel durchzuziehen schien. Beim Versuch, mit Waffenshop-Betreibern ins Gespräch zu kommen, bissen wir erst einmal auf Granit.

Während viele Verkäufer höflich ablehnten, gaben uns andere von der ersten Minute an zu spüren, dass sie von uns "Medienmenschen" nicht das geringste halten. Mir wurde mehrmals ziemlich direkt gesagt, dass ich am besten schnellstmöglich wieder das Weite suchen solle, wenn ich keine Probleme bekommen wolle.

Die freundlicheren Händler gaben uns aber immerhin abseits der Kamera interessante Einsichten in die Branche, die uns auch dabei halfen zu verstehen, warum man mediale Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit allgemein so sehr scheut.

Ein Teil der großen Ablehnung war die Tatsache, dass es sich um eine sehr überschaubare Branche handelt, in der praktisch jeder jeden kennt und kritische Aussagen schnell auf einen selbst zurückfallen—man wolle sich bei Kollegen nicht unbeliebt machen, indem man öffentlich die negativen Aspekte aufzeige. Außerdem habe es ganz einfach mit Geschäftssinn zu tun: Besonders jetzt, wo das Geschäft gut laufe, wäre es denkbar unklug, sich das Leben selbst schwer zu machen, indem man das Risiko eingehe, sich sich in die Öffentlichkeit zu stellen.

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Obwohl auch die Händler von einem spürbaren Anstieg der Nachfrage in den vergangenen Monaten berichteten, der mit der zwischenzeitlichen Entspannung der Flüchtlingskrise auch wieder abnahm, sahen einige von ihnen weitere Gründe für die aktuelle Waffen-Popularität. Ein wesentlicher Faktor für viele Käufer, sich jetzt neue Waffen zuzulegen, sei etwa die Befürchtung, dass in absehbarer Zeit strengere Regulierungen auf EU-Ebene eintreten könnten—viele würden deswegen quasi Waffen-Hamsterkäufe tätigen. Derzeit ist der Kauf einer Waffe in Österreich nicht mit allzu schwierigen Hürden verbunden. Wer älter als 18 Jahre alt und psychisch gesund ist, kann zum Beispiel —ohne jemals geschossen zu haben—problemlos ein Gewehr erwerben. Laut Innenministerium wird eine Verschärfung der Regelungen auf EU-Ebene zwar diskutiert, eine tatsächliche Reform könnte aber noch Jahre entfernt sein, weil man erst einmal eine Einigung finden müsste, mit der alle Mitgliedsstaaten zufrieden sind.

Nichtsdestotrotz sind sich viele Waffenbesitzer einig: Die EU hat das heimliche Ziel, die Zivilbevölkerung zu entwaffnen. Laut Rüdiger Gruber—er ist leidenschaftlicher Schütze, Besitzer von hunderten Waffen und ein Hauptprotagonist unserer Doku—ist diese "Entwaffung" für Waffen-Fans Grund, sich bei rechten Parteien vertreten zu fühlen. Seiner Aussage nach wäre es für viele Waffenbesitzer ein "notwendiges Übel", die Freiheitlichen zu wählen—er kenne genügend Sportschützen und Sammler, die andere Parteien wählen würden, wenn diese nicht auf Kosten des guten Rufs der Waffenbesitzer auf Stimmenfang gehen würden.

In Wahrheit setzen sich genau zwei Parlamentsparteien aktiv für schärfere Waffengesetze ein. Neben der SPÖ, die gerne ein strikteres Gesetz für den Besitz von Halbautomaten sehen würde, haben sich besonders die Grünen als die Anti-Waffen-Fraktion hervorgetan—sie würden am liebsten eine völlig waffenfreie Zivilgesellschaft sehen. Gegen strengere Regelungen verwehrt sich eine Koalition aus ÖVP, Neos, Team Stronach und eben den Freiheitlichen.

Je länger wir uns mit der Branche beschäftigt haben, desto klarer wurde uns, dass viele Waffen-Befürworter nicht nur rechts wählen, weil sie gegen ein strengeres Waffengesetz sind. Die Linie einer FPÖ deckt sich letztendlich in praktisch allen wichtigen Punkten mit ihrem Weltbild: Sie sind sich trotz aller Statistiken sicher, dass die Welt immer krimineller und schlechter wird, sehen Sicherheitspolitik als obererste Priorität an, vertrauen etablierten Medien und Politikern keinen Meter weit und haben in der EU ein freiheitsberaubendes Feindbild gefunden, das praktisch alles Schlechte auf einmal verkörpert. All das und einiges mehr wird in "Schützen, Sammler, Skeptiker" thematisiert. Und ja, wir sind auch selbst schießen gegangen.