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Große Studie zeigt, wie Menschen massenhaft über personalisierte Facebook-Werbung manipuliert werden können

Was lange nur Spekulation war, wurde nun zum ersten Mal nachgewiesen. Die Ergebnisse sind aufschlussreich – die Konsequenzen möglicherweise dystopisch.

Facebook-Likes lassen Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale zu: Einige wenige Gefällt-Mir-Angaben reichen aus, um über personalisierte Werbung das Verhalten ganzer Gruppen von Menschen zu beeinflussen. Vier Psychologen haben in drei Experimenten über 3,5 Millionen Facebook-Nutzer mit Test-Werbeanzeigen angesprochen und konnten erstmals nachweisen, dass psychologisches Targeting funktioniert. Die Ergebnisse zeigen: Gestaltet man Werbung danach, wie extrovertiert oder experimentierfreudig jemand ist, wird sie bis zu 40% häufiger angeklickt und angebotene Produkte werden bis zu 50% häufiger gekauft als bei nicht personalisierter Werbung.

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Facebook bietet zahlreiche Möglichkeiten, Werbeanzeigen über das sogenannte Micro-Targeting auch auf kleinste Zielgruppen zuzuschneiden. Wer Anzeigen schaltet, kann zum Beispiel entscheiden, ob nur User angesprochen werden sollen, die bestimmte Facebook-Seiten gelikt haben. Kombiniert man das dann mit Erkenntnissen darüber, welche Persönlichkeitsmerkmale sich aus bestimmten Likes ableiten lassen, stehen viele Wege offen. Möglicherweise Fluch und Segen zugleich, meinen die Sozialwissenschaftlerin Sandra Matz und ihre Kollegen, die die Studie am 13. November 2017 veröffentlicht haben.

"Grundsätzlich lässt sich die Technologie auf viele Gebiete anwenden, theoretisch auch auf politische Kampagnen."

Es wäre zum Beispiel möglich, gesunde Ernährung so anzupreisen, dass jedem Facebook-Nutzer unterschiedliche Vorteile anhand ihres psychologischen Profils angezeigt werden. Ebenso gut wäre es aber auch möglich, Werbung für Online-Casinos genau den Menschen anzuzeigen, die aufgrund ihres psychologischen Profils am wahrscheinlichsten ein Risiko eingehen.

Dennoch wird niemand seine Meinung wegen einer Anzeige auf Facebook radikal ändern: “Grundsätzlich lässt sich die Technologie auf viele Gebiete anwenden, theoretisch auch auf politische Kampagnen. Allerdings sprechen wir hier nicht von radikalen Veränderungen", so Matz. "Es ist sicherlich nicht so, dass wir einen überzeugten Hillary-Wähler in einen Trump-Wähler verwandeln, nur weil wir ihm Werbung zeigen, die seiner Persönlichkeit entspricht,“ so Matz.

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Zum Forscherteam gehört auch der Psychologe Michal Kosinski. Erst vor kurzem veröffentlichte er gemeinsam mit einem Kollegen eine Studie über eine künstliche Intelligenz, die anhand von Fotos erkennen soll, ob ein Mann homosexuell ist. Zuvor katapultierte ihn die Aufregung um die umstrittene PR-Firma Cambridge Analytica in die Schlagzeilen. Diese behauptete, Donald Trump mittels Facebook-Microtargeting und einer Weiterentwicklung eines Persönlichkeitsmodells Kosinskis zum Sieg verholfen zu haben.

Experiment Nr. 1: Wie kriegt man Extrovertierte und Introvertierte in die Drogerie?

Die Studie besteht aus insgesamt drei Experimenten. Im ersten Experiment wurden mehrere hunderttausend britische Frauen ins Visier genommen, die zwischen 18 und 40 Jahren alt waren. Sie alle bekamen Werbung für einen Drogeriemarkt angezeigt, allerdings waren die Anzeigen auf zwei unterschiedliche Zielgruppen angepasst: Extrovertierte und Introvertierte. Die Einteilung erfolgt nach Datensätzen aus dem myPersonality Project von David Stillwell und Michal Kosinski. Die Datenbank umfasst psychologische Profile und Facebook-Profile von über 4 Millionen Nutzern, welche mit der Zustimmung der User gesammelt wurden, und ist auch Grundlage für die Forschung Kosinskis, auf die Firmen wie Cambridge Analytica ihr politisches Marketing aufbauen. Aus den umfangreichen Datensätzen lässt sich ablesen, welche Facebook-Likes besonders häufig bei Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu finden sind.

Zwei personalisierte Ads für Introvertierte und Extrovertierte Facebook-Nutzer. Bild: Matz et al. 2017 | PNAS

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Besonders extrovertierte Menschen geben demnach zum Beispiel Parties, den US-Rapper Shwayze oder die Serie Entourage als Interessen an. Introvertierte mögen - es könnte kaum klischeehafter sein - Computer und alle möglichen Stargate-Serien. Anhand jeweils zehn aussagekräftiger Likes für beide Gruppen schalteten die Forscher Anzeigen für den Drogeriemarkt mit angepasstem Text und unterschiedlichen Bildern: Bei introvertierten Frauen warb die Drogerie mit Sprüchen wie “Schönheit muss nicht schreien” oder “Enthülle deine natürliche Schönheit”. Die Extrovertierten bekamen Slogans wie “Tanze, als würde dir niemand zusehen (aber natürlich tun sie es)” oder “Liebe das Spotlight” präsentiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Frauen, die personalisierte Werbung erhielten, 1,54 mal häufiger im Online-Shop des Drogeriemarktes einkauften als diejenigen, die keine auf sie zugeschnittene Werbung angezeigt bekamen.

Experiment Nr. 2: Über die Kunst, Kreuzworträtsel-Apps an den Facebook-Nutzer zu bringen

Im zweiten Versuch versuchten die Forscher, eine Kreuzworträtsel-App jeweils für eher experimentierfreudige Personen auf der einen und eher konservative auf der anderen Seite zu vermarkten. Auch hier wurden zur Auswahl der Zielgruppen eine Reihe von Facebook-Likes zu Rate gezogen. Wer an Astrologie, Philosophie oder Poesie interessiert ist, gilt demnach als eher offen für neue Erfahrungen als diejenigen, die bei der Klamauk-Filmreihe Scary Movie oder einem Casual Game wie Farm Town ein Like hinterlassen haben.

Die beiden Ads für Kreuzworträtsel-Apps, links für offenere Menschen, rechts für weniger offene Menschen. Bild: Matz et al 2017 | PNAS

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Die große Überraschung bleibt aus. Kreuzworträtsel-Apps werden nämlich doch eher von konservativen Nutzern installiert. Bei denjenigen, die eine nicht-personalisierte Ansprache oder eine für experimentierfreudige Nutzer erhielten, unterscheiden sich die Ergebnisse hingegen kaum.

Casual Games sind für Introvertierte

Im letzten Schritt experimentierten die Forscher mit Werbung für ein Casual Game. Der Abgleich mit den Daten aus der myPersonality-Datenbank zeigt: Menschen, die Spiele wie FarmVille oder Bubble Popp zocken, sind oft eher introvertiert.

Im Versuch wurden Nutzern, die bereits andere vergleichbare Spiele geliked hatten, zwei unterschiedliche Messages in der Spielewerbung angezeigt: eine unpersonalisierte Standard-Werbung und eine Nachricht, die sich an introvertierte Personen richtet, die nach einem harten Arbeitstag abschalten wollen. Und tatsächlich: Nutzer, die personalisierte Werbung erhielten, installierten das Spiel 1,2 Mal häufiger als die, die nicht über ihre psychologischen Bedürfnisse angesprochen wurden.

Das Ergebnis: Manipulation ist möglich, aber man sollte auf die Zahlen achten

Die Ergebnisse zeigen also: Es ist möglich, Menschen zu beeinflussen, indem man ihre individuellen psychologischen Bedürfnisse anspricht und ihnen entsprechende Werbung präsentiert. Ein Blick auf die Zahlen beruhigt aber dennoch: Von den mehr als 3 Millionen Menschen, denen die Drogerie-Werbung angezeigt wurde, klickten sich nur 10.346 Leute in den Online-Shop. 360 von ihnen kauften dort letztendlich etwas. In der Kreuzworträtselgruppe sehen die Zahlen etwas besser aus: Von 84.176 Nutzern, die die Anzeigen gesehen haben, haben letztendlich 500 die App installiert.

Ein paar Feinheiten geben die Autoren außerdem zu bedenken: Die Schlussfolgerungen, die bestimmte Like-Entscheidungen heute zulassen, müssen in Zukunft nicht zwingend gleich bleiben. Wer zum Beispiel Interesse an Game of Thrones zeigte, als die Serie 2011 erstmals ausgestrahlt wurde, dürfte wahrscheinlich eher als introvertiert einzuordnen sein. Inzwischen ist GoT allerdings so populär, dass eine solche Schlussfolgerung kaum mehr zulässig sein dürfte.

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Jenseits von Kreuzworträtseln: Und jetzt ein wenig Dystopie

Die Erkenntnisse sind aber nicht nur für diejenigen relevant, die Schminke oder Games verkaufen wollen. Die Möglichkeiten erscheinen vielfältig – und erschreckend: Was, wenn Waffenwerbung vor allem den Leuten angezeigt wird, deren Sicherheitsbedürfnis laut ihrer Facebook-Likes enorm groß ist? Im US-Wahlkampf 2016 wurden Anzeigen auf Facebook genutzt, um schwarzen Amerikanern Videos zu zeigen, in denen Präsidentschaftskandidatin Clinton schwarze Männer als Raubtiere bezeichnet. Sie sollten die potentiellen Wähler gegen die Kandidatin Clinton aufwiegeln. Völlig undenkbar wären solche oder ähnliche Kampagnen demnach nicht. Wie erfolgreich solche Werbekampagnen mit politischen Inhalten sein können, ist nach wie vor aber nicht ausreichend erforscht.

Facebook hat zuletzt, ebenso wie Google und Twitter, mehr Transparenz hinsichtlich politischer Werbung angekündigt. Diese Maßnahmen sind Folge der Interventionen russischer Akteure im US-Wahlkampf 2016. Die Erkenntnisse aus den Untersuchungen diesbezüglich zeigen allerdings auch, dass viele fingierte Facebook Pages und Twitter-Profile auch abseits von bezahlten oder personalisierten Anzeigen äußerst erfolgreich waren. Sandra Matz begrüßt die Initiative: “Wenn ich weiß von wem Kampagnen geschalten werden, habe ich zumindest die Möglichkeit zu reflektieren.”

Die Forscher warnen unterdessen bereits vor neuen Möglichkeiten psychologisch personalisierter Werbung: Mehrere Studien hätten gezeigt, dass sich Stimmungen und Emotionen aus Videos, geschriebenem Text sowie Daten von Wearables oder Smartphone-Sensoren ablesen lässt. Daraus ließen sich wiederum Zeitpunkte ablesen, in den Menschen eher beeinflusst werden können.

Übertragen auf das Waffenbeispiel hieße das wiederum: Man könnte nicht nur Menschen Waffenwerbung ausspielen, die dafür besonders anfällig sind – sondern die Anzeigen auch genau zu dem Zeitpunkt präsentieren, wenn die potenziellen Käufer besonders wütend sind.