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Der Zoll hodlt Bitcoin – vermutlich um irgendwas im Darknet zu besorgen

Der Zoll hat in Bitcoin investiert und will so schnell nicht verkaufen. Laut Motherboard-Recherchen sollen die Coins bei Ermittlungen eingesetzt werden.
Der Zoll besitzt eigene Bitcoins, um damit zu ermitteln || Bild: imago | Michael Westermann || Bitcoin: Djordje Komljenovic | CC0 Public Domain || Bearbeitung: Motherboard

Wenn Ermittler Drogenmarktplätze, Waffenshops und andere illegale Plattformen hochnehmen, kann dabei jede Menge Geld für die Staatskasse herausspringen. Oft bestehen die Reichtümer aus Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft freute sich im Januar darüber, dass die Bitcoin von Darknet-Dealern 850.000 Euro in die Justizkasse spülen würden. Als die 64 Coins acht Monate zuvor beschlagnahmt wurden, waren sie noch weniger als ein Zehntel davon wert. Dank der extremen Kursschwankungen und dem Bitcoin-Hype Ende 2017 konnten die Berliner Ermittler einen fetten Gewinn verzeichnen.

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Doch nicht immer stammen die Bitcoin aus Beschlagnahmungen. Staatliche Stellen haben sich mittlerweile auch selbst Coins angeschafft, wie Recherchen von Motherboard zeigen.

Der Zoll hat sich selbst Bitcoins gekauft

Das Zollkriminalamt (ZKA) besitzt derzeit rund 3,829 Bitcoin, die es sich für Ermittlungszwecke selbst angeschafft hat. Das entspricht nach dem aktuellen Kurs rund 25.000 Euro (Stand: 11.6.2018). Eine Summe, die unter Krypto-Fans wohl schon als annehmbares Hodln durchgehen würde. Im Krypto-Slang bezeichnet der Begriff hodln, das Coins nicht schnell verkauft, sondern "gehalten" werden ("hold"). Der Begriff "hodl" ist das Ergebnis eines schlichten Tippfehlers, der sich mittlerweile zum Meme in der Szene entwickelt hat.

Dass das Zollkriminalamt im Besitz dieser Coins ist, offenbarte das Finanzministerium auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Thomas Lutze. Auf Nachfrage von Motherboard ergänzte dann eine Sprecherin des Zolls, die Coins würden "anlassbezogen zum Zwecke von Ermittlungsarbeit vorgehalten" und stammten nicht aus Beschlagnahmungen. Mit anderen Worten: Der Zoll muss sich selbst einen Account auf einer der zahlreichen Tauschbörsen für Kryptowährungen gemacht haben, um selbst Euros in Coins zu tauschen. Bitcoin, die in Ermittlungen zuvor einmal beschlagnahmt wurden, nutzte der Zoll nicht für die eigene Ermittlungsarbeit.

Beamte auf Testkauf im Darknet?

Was genau der Zoll mit den Bitcoin macht, teilte er uns auf erneute Anfrage bisher nicht mit. Falls wir eine Antwort erhalten, werden wir sie an dieser Stelle nachtragen. Klar ist jedoch: Zu den Ermittlungstaktiken des Zolls gehören auch Scheinkäufe. Die Zollbeamten bahnen dabei Käufe von Waffen und Drogen an, um illegale Händler zu finden. Dabei geht es zum Teil um große Mengen Geld; im Jahr 2016 erwarben verdeckte Ermittler etwa zwei Kilogramm Crystal. Da Drogen- und Waffenhandel in den vergangenen Jahren vermehrt im Darknet stattfindet, ist die logische Konsequenz, dass die Beamten ihre Testkäufe auch in die digitale Welt übertragen.

Das komme immer häufiger vor, sagte der auf Drogenstrafrecht spezialisierte Anwalt Toralf Nöding gegenüber Motherboard. Im Darknet fiele auch ein wesentliches Problem bei Testkäufen weg: Die Ermittler dürften nämlich niemanden durch ihren Kauf zu einer Tat verleiten, der das nicht schon plant. "Wenn jemand im Darknet auf einer Plattform Drogen anbietet, ist er bereits entschlossen", so Nöding. Die Gefahr einer Tatprovokation bestehe daher nicht.

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Ebenfalls auf Motherboard: Waffen aus dem Onlineshop


Der Zoll ist die einzige Bundesbehörde, die im Besitz von eigenen Bitcoin ist, wie das Finanzministerium als Antwort auf die Kleine Anfrage mitteilte. Mittlerweile werden beschlagnahmte Coins von den zuständigen Staatsanwaltschaften auch zügig in sogenannten Notveräußerungen verkauft. Das darf die Staatsanwaltschaft immer dann, wenn "Verderb oder ein erheblicher Wertverlust droht" – zum Beispiel bei Lebensmitteln – oder die Aufbewahrung teuer und schwierig wäre, etwa bei großen Gegenständen wie Autos. Kurz gesagt: Krypto-Coins werden häufig wie Champagner und Kaviar behandelt, da die Kurse massive, unvorhersehbare Schwankungen aufweisen.

Damit gehen dem Staat regelmäßig große Geldbeträge durch die Lappen. Bei der Veräußerung der Bitcoin von Shiny Flakes' Coins veräußerte die Staatsanwaltschaft die Coins schnell, obwohl eine Kurssteigerung deutlich absehbar war.

Hodln oder nicht? Das entscheiden Staatsanwälte

Letztlich liegt die Entscheidung über "verkaufen oder hodln" aber bei den leitenden Staatsanwälten, wie Georg Ungefuk gegenüber Motherboard erklärte. Die Coins würden "grundsätzlich in einem polizeilichen oder justiziellen Wallet gesichert". Ungefuk ist Staatsanwalt bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Hessen, die unter anderem an der Zerschlagung mehrerer großer deutscher Darknetplattformen beteiligt war, auf denen mit Waffen, Kreditkartendaten und Drogen gehandelt wurde.

Ein einheitliches Verfahren gibt es also noch nicht. Hessen plane derzeit, ein einheitliches Verfahren für die Veräußerungen des Kryptogeldes einzuführen, so Ungefuk. Das Konzept soll den Verkauf vereinfachen und zentralisieren, es stehe kurz vor dem Abschluss. Das BKA hatte im letzten Jahr nicht einmal selbst eine Übersicht, wie viele Coins die Strafverfolger beschlagnahmten.

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Gegenüber dem Tagesspiegel sagte die Strafverfolgungsbehörde, in der nächsten Kriminalstatistik sollten die Coins ausgewiesen werden. Bisher ist das nicht erfolgt. Eine Sprecherin des BKA sagte gegenüber Motherboard, die Statistiken seien noch nicht fertig und es stehe noch nicht fest, ob die Zahlen überhaupt veröffentlicht werden. Für die Coins im BKA-Wallet seien die jeweiligen Staatsanwaltschaften zuständig, offiziell "besitzen" die Strafverfolger daher nichts davon, sagte die Sprecherin.

Allerdings kommen die Ermittler nicht immer an die Coins von Online-Kriminellen: Im Fall von Chemical Love, dem ehemals größten europäischen Drogenshop Europas, befinden sich mutmaßlich 575 Bitcoin in den Wallets des damaligen Betreibers. Laut aktuellem Kurs wären das beinahe fünf Millionen Euro. Der mittlerweile zu 15 Jahren Haft verurteilte Großdealer weigert sich jedoch standhaft, die Zugangscodes für seine Wallets herauszugeben.

Von der Idee der anonymen Coins ist nicht mehr viel übrig

Neben der Frage, ob der Staat mit den Coins spekulieren darf, ist ebenso ungeklärt, wie die Coins rechtmäßig verkauft werden können. Mittlerweile ist die Philosophie der anonymen Kryptowährungen beinahe vergessen. Um Bitcoin auf den verbreiteten Handelsplattformen zu kaufen und verkaufen, müssen Nutzer Ausweise in Kameras halten und sich komplett identifizieren. Deutsche Händler müssen sich unter die Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht begeben und Geldwäscherichtlinien befolgen. Laut Finanzministerium beträfe das derzeit mindestens sechs Coins-Händler. Die größte deutsche Plattform bitcoin.de gab sogar vorauseilend Kundendaten an die Polizei weiter, wie Recherchen von Motherboard ergaben.

Thomas Lutze, der die Bundesregierung nach Regulierungsbedarf für die Kryptowährungen fragte, sieht dennoch Defizite: "Es ist fraglich, welcher Anteil des Handels mit Bitcoin und Co. tatsächlich über Geldhäuser abgewickelt wird, da der Vorteil einer Kryptowährung ja eben ist, dass sie weitgehend anonym ohne zwischengeschaltete Bank weltweit übertragen werden kann." Er fordert, dass die Regierung sich auch auf internationaler Ebene für eine stärkere Regulierung einsetzt.

Tatsächlich ist davon nicht viel zu erkennen. In vielen ihrer Antworten auf Lutzes Fragen beruft sich das Finanzministerium auf bevorstehende EU-Regeln oder darauf, Dinge noch prüfen zu müssen. Obwohl ihr eure Coins schon jetzt in der Steuererklärung angeben solltet, wenn ihr keinen Ärger bekommen wollt, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis sich alle einig sind, wie man mit dem Kryptogeld genau umgehen soll. Nur eines ist klar: Anonym wie in den Anfangstagen soll es in den Augen des Staates auf keinen Fall bleiben.

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