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Hobby-Spione bauen eine Do-It-Yourself-NSA auf und hören Berliner Passanten ab

Ohne die Passanten zu fragen, hat die „We are all Listening“-Kampagne die heimlich abgefangenen Gespräche jetzt im Netz veröffentlicht. Die Aktivisten wollen erst aufhören, wenn die NSA ihre illegale Überwachung beendet.
Eine Übersicht der präperierten Diktiergeräte vor der Installation. Bild: We are always listening.

Deutsche Hobby-Spione haben in den vergangenen Tagen in mehreren Berliner Stadtteilen heimlich Aufnahmegeräte platziert und so die Gespräche nichtsahnender Passanten aufgezeichnet. Auf ihrer Webseite „We Are Always Listening" und unter dem Soundcloud-Account TheNSA haben sie die Aufnahmen nun als gezielte Provokationsmaßnahme veröffentlicht.

Von den Opfern der Abhöraktion wurde bisher niemand darüber informiert, dass ihre privaten Unterhaltungen aufgezeichnet wurden, und nun sogar für jeden im Netz verfügbar sind. Die DIY-Spione erzählten gegenüber MOTHERBOARD, dass sie eigentlich nur die Überwachung der NSA vervollständigen wollen: „Die NSA bekommt 99,7 Prozent ihrer Überwachungsmaßnahmen von einem geheim tagenden Gericht bewilligt. Wir wollen uns um die traurigen 0,3 Prozent kümmern. Wir tun nichts, was die NSA nicht auch könnte", gaben sich die anonymen Aktivisten eher unbesorgt, was rechtliche Konsequenzen ihrer offensichtlich illegalen privaten Abhörmaßnahmen angeht. „Wenn die US-Regierung zugibt, dass das, was die NSA tut, illegal ist, hören wir auch sofort auf", erklärten sie gegenüber Zeit Online.

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Wenn die US-Regierung zugibt, dass das, was die NSA tut, illegal ist, hören wir auch sofort auf.

Um ihren DIY-Geheimdienst aufzuziehen, benutzten die Aktivisten simple Diktiergeräte und brachten diese im öffentlichen Raum, zum Beispiel an Bushaltestellen oder unter Kneipentischen, an. Weil sie mit ihrer Aktion punktgenau Paragraph 201 des Strafgesetzbuches erfüllen (was ihnen bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe einbringen könnte), wollen alle beteiligten Aktivisten definitiv anonym bleiben. Auf meine Frage, ob die Aktivisten nicht Angst hätten, mit ihrer Aktion den Hass der Bevölkerung auf sich zu ziehen, erklärten sie MOTHERBOARD gegenüber: „Wenn die Menschen uns hassen, dann müssten sie vermutlich auch die NSA hassen. Das ist ziemlich unwahrscheinlich, da wir uns doch alle nur um die Sicherheit der Menschen sorgen."

Auch eine hübsche Aktivisten-Prankster-Maßnahme: Das Peng!-Kollektiv übernimmt die Vattenfall-Zentrale und verkündet eine neue Kohlepolitik

Auf ihrer Website haben die Hobby-Überwacher nun auch ein kurzes Video in paranoia-befördernder Schwarz-Weiß-Optik veröffentlicht. Darin zeigen sie, wie sie eines ihrer präperierten Abhörgeräte in Bars wie dem Bateu Ivre unter einem öffentlichen Café-Tisch installieren:

Die Soundfiles bieten den Überwachern einige Enthüllungen über das wahre Leben auf den Straßen Berlins: In den Aufnahmen ist beispielsweise zu hören, wie eine junge Dame über Ausbeutungsmechanismen in Kunst und Kapitalismus klagt (weitere Indizien, wie die diskursträchtige Ausdrucksweise, geben preis, dass sie sich dabei in Kreuzberg aufgehalten haben muss). Außerdem beschweren sich Anti-Rassismus-Demonstranten über den Sexismus im Sound von Peter Fox, während sich französische Touristen an der Service-Oase Berlin erfreuen.

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Laut den Aktivisten zeigt ihre Auswahl der hochgeladenen Aufnahmen jedoch auch, dass Passanten „jeden Tag sensible Informationen enthüllen, die in einem anderen Kontext gegen sie verwendet werden kann, und um sie zu diskreditieren."

Die anonymen Aktivisten wollen mit ihrem Hobby-Geheimdienst die Menschen dazu bringen, endlich etwas gegen die Überwachung von NSA & Co zu unternehmen. Damit würde ihnen gelingen, was viele Geheimdienstkritikern trotz immer neuer Snowden-Enthüllungen bisher nicht schafften: Dass normale Bürger angesichts der massenhaften Überwachung durch die NSA tatsächlich wütend werden. Für allzu viele werden die NSA-Praktiken erst dann zu einem echten Aufreger, wenn sich herausstellt, dass die Agenten auch anlasslos ihre Dick-Pics überwachen—wie John Oliver kürzlich enthüllte.

Gegenüber Zeit Online erklärten die Aktivisten, dass schon bald weitere Aufnahmen von Berliner Passanten veröffentlicht würden. Aus verschiedenen New Yorker Bars wurden Anfang der Woche bereits abgezapfte Gespräche veröffentlicht. Das Ziel der Hobby-Spione ist es, ihrem Vorbild konsequent nachzueifern und bald global aktiv zu sein: „Wir haben vor in jeder Stadt der Welt aktiv zu sein. So wie die NSA Informationen über alle normalen Bürger im Inland und Ausland sammelt, müssen auch wir immer wachsam bleiben."

Wer sich daran stört, dass hier die Gespräche Unschuldiger abgehört und nun sogar veröffentlicht wurden, den vertrösten die Aktivisten mit einem Wütend-Link auf ihrer Website: Der Link führt zu einer Amnesty-International-Petition, die Angela Merkel dazu auffordert, endlich das Ausspähen der Privatssphäre der Bürger zu beenden.

Update: 29.5.: Der Artikel wurde um Statements ergänzt, mit denen die anonymen Aktivisten uns gegenüber inzwischen die Hintergründe ihrer Aktion näher erläutert haben.