Warum sieht das Line-up bei allen Festivals immer gleich aus?

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Warum sieht das Line-up bei allen Festivals immer gleich aus?

Warum sind die Festivals mittlerweile so vorhersehbar? Und wann spielt Jamie Jones?

Neuer Tag, neue Festivalankündigungen. Seit heute morgen um elf sind es in meinem Posteingang drei an der Zahl. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass jeder auf der Welt mit Zugang zu ein paar Lautsprechertürmen, einer Palette Bier und mit ein paar Tausendern auf der hohen Kante ein Festival veranstaltet.

Ob es nun auf einem Feld, an einem abgelegenen Strand, auf einem Parkplatz in der Provinz oder in einem Kloster auf einem Berg stattfindet, bei jedem Festival sind drei Dinge garantiert: Erstens, dass du irgendwann acht Euro aufwärts für einen Burger bezahlen wirst, obwohl du dir selbst geschworen hast, dies auf keinen Fall zu tun. Zweitens, dass du mehr Zeit damit verbringen wirst, dir Sorgen zu machen, dass dein Akku leer ist, dein Datenvolumen aufgebraucht ist, du kein Netz hast, du deine Freunde oder deine Geldbörse oder deinen neuen Jutebeutel verlierst oder du deinen Acht-Euro-Burger oder dein Fünf-Euro-Bier fallen lässt, als wirklich einen der Acts zu genießen, für die du dich dumm und dämlich bezahlt hast. Drittens, dass du irgendwann Four Tet oder Jackmaster oder Skream oder Four Tet b2b mit Caribou sehen wirst und in einem existentiellen Anfall zu Boden sinken und schreien wirst: „FESTIVAL-BOOKER, BRINGT EIN BISSCHEN ABWECHSLUNG IN EURE LINE-UPS!", bis du ohnmächtig wirst und deine Freunde dich blau angelaufen und mit Schaum vorm Mund finden, in ein Taxi stecken und du am nächsten Tag schweißgebadet und beschämt aufwachst.

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Das alles wird passieren, weil es das ist, was im Moment bei jedem großen Festival auf der Welt passiert. Der Punkt daran ist: Der Aufstieg des Festivals als das primäre Mittel, um zeitgenössische Clubkultur zu erforschen und zu verstehen, führt dazu, dass ein Festival nach dem anderen genauso ist wie alle anderen Festivals, von denen du gelesen hast.

Anders ausgedrückt, ist das ein Line-up, was du diesen Sommer sehen wirst?:

Ben Klock, Skream, Nina Kraviz, Carl Craig, Andy C, Adam Beyer, Dixon, B Traits, Ben UFO, Joy Orbison, Kerri Chandler, Rodhad, David Rodigan, Black Madonna, Eton Messy, Waze & Odyssey, Jackmaster, Arg from TOWIE, Heidi, Alan Fitzpatrick, Derrick Carter, Danny Howard, Hannah Wants, DJ Harvey, Gorgon City, Eats Everything, my uncle Simon, Lil Louis, Axel Boman, DJ EZ, Erol Alkan, Scuba, Green Velvet, Richy Ahmed, Hilary Benn, Seth Troxler

Natürlich nicht, du Idiot! Aber das könnte es, oder? Es könnte etwas sein, das diesen Sommer an einem Strand in deiner Nähe stattfindet. Es könnte etwas sein, wegen dem wir wirklich, wirklich aufgeregt sein sollten. Und das ist ein Problem.

Bevor wir uns ansehen, warum genau das ein Problem ist und ein paar Lösungen vorschlagen, schauen wir uns die Datengrundlage an. Lasst uns herausfinden, ob die Festival-Line-ups sich wirklich so sehr ähneln, wie es scheint.

Ein Typ, der eine gute Zeit bei einem Dance-Music-Festival hat (Foto via THUMP)

Wissenschaftler sollten jetzt bitte wegsehen: Meine Recherche sah so aus, dass ich mir zehn Festivals rausgesucht habe, die im weiteren Sinne das widerspiegeln, was den THUMP-Leser interessieren könnte, oder die er sogar besucht. Dann habe ich mir angesehen, wie oft die Namen von DJs bei diesen Festivals auftauchen. Die Festivals waren die folgenden: Annie Mac Presents Lost & Found, Dekmantel, Dimensions, Gottwood, Groovefest, Farr, Found, Lovebox, Parklife, We Are und Weather. So haben wir eine Stichprobe aus Festivals aus verschiedenen Ländern, klein und groß, auf den Underground fokussiert und nur auf große Namen vertrauend. Was wir herausgefunden haben war, na ja, im Prinzip genau das, was wir dachten zu finden: Dass Festival-Line-ups immer nichtssagender werden.

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Die folgenden DJs spielen bei drei oder mehr der untersuchten Festivals:

Richy Ahmed, Artwork, Daniel Avery, Barely Legal, Julio Bashmore, Adam Beyer, Bicep, Black Madonna, Blawan, Marcel Dettmann, Dusky, DJ EZ, Heidi, Hunee, Jackmaster, Jasper James, Jamie Jones, Ben Klock, Nina Kraviz, Martinez Brothers, Midland, Monki, Motor City Drum Ensemble, Pender Street Steppers, Preditah, Rødhåd, David Rodigan, Steve Lawler, Special Request, Tama Sumo, B. Traits, Seth Troxler, Patrick Topping, Ricardo Villalobos, Joris Voorn, Ben UFO, Hannah Wants

Was zumindest andeutet, dass es ein Problem gibt. Solltest du diesen Sommer zu irgendeinem Festival gehen, wirst du laut Statistik ein paar dieser DJs sehen. Und dabei sollten wir nicht vergessen, dass dies DJs sind, die einzeln wahrscheinlich in fast jedem größeren Club in jeder großen Stadt der Welt Headliner wären. Das passiert in anderen Bereichen der populären Musik nicht. Sicher, eine Band wie, sagen wir, LCD Soundsystem spielt vielleicht ein paar Festivals in diesem Sommer, aber sie tauchen nicht bei jedem auf, als wäre es ihre Pflicht, dies zu tun.

Und das ist eine schlechte Sache für die Clubkultur. Oder besser gesagt, es ist eine schlechte Sache für die Idee von „Clubkultur", denn 2016 ist die Vorstellung, dass „Clubkultur" eine echte, lebende, atmende Sache anstatt einer Nostalgie-Industrie ist, die dich um so viel Geld wie möglich erleichtern soll, ein Trugschluss.

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Der Aufstieg der Festivals ist, wie Veranstalter und DJs dir gerne erzählen, einer der dominanten Faktoren für die Zunahme von Clubschließungen, die die Clublandschaft in den letzten Jahren gebeutelt haben. Auch wenn in der Diskussion immer noch Probleme mit Lizenzen vorherrschen, der Einfluss von Festivals durch die Tatsache, dass immer mehr Leute lieber 200 Euro bezahlen, um 50 DJs zu sehen, die irgendwo an einem Strand spielen, als 15 Euro, um drei zu sehen, die in einem heruntergekommenen Club spielen, muss ebenfalls in Betracht gezogen werden. Denn letztendlich bedeuten für viele von uns Festivals Urlaub und in diesen Zeiten nehmen wir jeden Urlaub, den wir bekommen können. Macht Spaß, ein Millenial zu sein, oder? Wir arbeiten die ganze Woche und am Wochenende sehen wir uns dieselben 20 DJs an, die in verschiedenen Teilen des Landes die gleichen Sets spielen. Wenn wir wirklich Glück haben, spielt Mark Ronson vielleicht back to back mit Hudson Mohawke.

Die zwei offensichtlichen Erkenntnisse sind also: Erstens, es gibt zu viele Festivals und zweitens, es gibt nicht genug DJs in diesem Kreislauf, um sie alle in der Form zu bedienen, dass eine individuelle Erfahrung entsteht. Setzen wir uns zunächst mit dem ersten Problem auseinander.

Ein anderer Typ, der eine gute Zeit bei einem Dance-Music-Festival hat (Foto via THUMP)

Zu behaupten, dass es zu viele Festivals gibt, ist, als würdest du sagen, dass Bomberjacken cool sind oder dass Pizza Hut besser ist als Dominos oder dass Vermieter Arschlöcher sind: unbestritten und eindeutig wahr. Auch wenn wir nicht nach einer Art utopischem Mega-Festival rufen, das jeden da draußen versorgt, der auch nur ein entferntes Interesse daran hat, Four-to-the-Floor-Bassdrums mit viel Alkohol und billigen Zigaretten zu verbinden, zeigt uns die Tatsache, dass dieselben DJs in einem Line-up nach dem anderen auftauchen doch, dass wir vielleicht ohne ein weiteres spannendes eintägiges Festival voller House, Techno und Grime in London oder ein weiteres heißes, neues Festival, das Kroatien mit einem Wochenende voller House und Techno erobert, leben könnten. Wir brauchen nicht dieses endlose Angebot, bei dem wir jedes Mal wieder in Verzückung geraten sollen. Was wir brauchen, und das ist für jemanden wie mich, der noch nie einen Club betrieben oder gar ein Festival veranstaltet hat, leicht zu sagen, ist eine wirklich transformative Erfahrung. Aber realistisch gesehen, wenn wir ehrlich sind, ist das überhaupt möglich? Können ein paar DJs, die nacheinander spielen, etwas anderes sein als eine Reihe DJs, die nacheinander spielen? Selbst wenn das Setting wirklich sehr, sehr schön ist? Wahrscheinlich nicht.

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Und das führt uns zur etwas heiklen Angelegenheit der DJs selbst. Ihnen kann man nichts vorwerfen. Jeder will Geld verdienen und wenn dir jemand Summe X für Y Minuten in Land Z bietet, warum solltest du das ablehnen? Du wärest dumm, dies zu tun. Also akzeptiert der DJ den Gig, mit der Gewissheit, dass er eine Stunde in Italien hat, gefolgt von einem Flug nach Hause und zwei Gigs im eigenen Land und dass der Stundenlohn dafür im Bereich des absolut Unglaublichen liegt. Sie ziehen von Hotel zu Hotel, weil sie wissen, dass die Festivalsaison die Möglichkeit bietet, viel zu verdienen, um es durch die kargen Wintermonate zu schaffen. Das ist total legitim und verständlich. Jeder braucht Geld und die meisten von uns würden ihren Job sofort aufgeben, um das Leben eines DJs zu leben.

Wer trägt also die Schuld? Sind es die Veranstalter, die gewillt sind, jeden alten Sack mit ein paar hunderttausend Followern auf Twitter und einem Ranking im DJ Mag zu buchen, um sich die Taschen voll zu machen? Möglicherweise. Letztendlich gäbe es ohne sie kein Festival, das man verdammt langweilig gestalten könnte. Aber vielleicht müssen wir uns auch selbst verantwortlich machen. Vielleicht wollen wir zu viel für zu wenig. Wir erwarten mehr und mehr Inhalt für immer weniger Geld und deswegen wollen wir die DJs sehen, die wir kennen, die DJs, von denen wir wissen, dass wir sie mögen, die, die uns nicht enttäuschen, die, bei denen wir nicht alle fünf Minuten zur Bar rennen, um uns ein neues Bier zu holen. Was wiederum irgendwie verständlich erscheint. Aber verdienen wir nicht mehr? Tun wir das nicht? Müssen wir uns diesen Sommer wirklich zum fünfzehnten Mal ansehen, wie die alten Jungs ihr Ding machen?

Nach 1500 Wörtern, in denen ich für das Gegenteil plädiert habe, scheint es merkwürdig, dies zu sagen, aber vielleicht ist die wirkliche Antwort darauf: Mehr Festivals; aber mehr Festivals, die sich wichtig und notwendig anfühlen und die Risiken eingehen. Festivals, die nicht das Ergebnis davon sind, dass eine Wodkamarke Geld in einen Line-up-Generator kippt. Festivals, zu denen Leute tatsächlich gehen wollen, nicht solche, zu denen Leute letztendlich gehen, weil „alle anderen" auch hingehen. Fangen wir neu an.

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