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Physiker erklärt, was an dem geleakten EmDrive-Paper dran ist

Seit einer Woche hält ein geleaktes Paper die Physikwelt in Atem, das behauptet, dass der „unmögliche Warpantrieb“ möglich ist. Wir haben analysiert, was dafür und was dagegen spricht.

Bild: emdrive.com | Roger Shawyer

Ein geleaktes NASA-Paper versetzt die Physikwelt gerade in helle Aufregung. Demnach soll es Wissenschaftlern gelungen sein, einen funktionstüchtigen Prototypen des sogenannten EmDrives zu bauen. Sollten sich die Ergebnisse ihrer Versuchsreihe als korrekt herausstellen, wäre das eine wissenschaftliche Sensation, die die Raumfahrt für immer verändern könnte.

Denn auch wenn der Menschheit in den letzten Jahrzehnten bereits beeindruckende Vorstöße ins All gelungen sind, sind uns vor allem durch die Abhängigkeit von teurem und schwerem Raketentreibstoff enge Grenzen gesetzt. Erst wenn es uns gelingt, die Raketenantriebe zu optimieren, werden wir auch die entfernteren Ecken des Weltalls erkunden können. Durch den sogenannten EmDrive (Electromagnetic Drive) scheint dieser Traum in greifbare Nähe zu rücken. Der elektromagnetische Antrieb soll ganz ohne Treibstoff funktionieren und stattdessen elektrische Energie mittels Mikrowellen in einem abgeschlossenen System in Schubkraft umwandeln.

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Warum der EmDrive bislang als physikalisch unmöglich gilt

Was fantastisch klingt, hat leider einen gewaltigen Haken: Der EmDrive wurde in der Vergangenheit immer wieder als „unmöglich" abgetan, da er sich dem dritten Newtonschen Gesetz, dem Wechselwirkungsprinzip, und dem daraus resultierenden Impulserhaltungssatz widersetzt. Das Wechselwirkungsprinzip besagt, dass jede Aktion zwingend eine gleichgroße Gegenreaktion auslöst.

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Entsprechend handelt es sich bei den heute verwendeten Raketenantrieben ausnahmslos um Rückstoßantriebe: Raketen können nur vorwärts fliegen, indem sie nach hinten, entgegengesetzt ihrer Flugrichtung, etwas ausstoßen. Dieser Ausstoß erfolgt normalerweise in Form von Treibstoff, kann aber auch in Form von Photonen stattfinden. Der EmDrive hingegen scheint auf den ersten Blick ein Perpetuum Mobile zu sein—ein Gerät, das ohne weitere Energiezufuhr ewig weiterläuft und nach den physikalischen Grundprinzipien in der Praxis nicht funktionieren kann.

Doch wenn man einem geleakten NASA-Paper glauben schenkt, das letzte Woche über GoogleDrive veröffentlicht wurde, glauben NASA-Wissenschaftler nicht nur, dass das Prinzip des EmDrives physikalisch tatsächlich funktionieren kann—allem Anschein nach haben sie sogar einen funktionstüchtigen Prototypen gebaut.

Dem Paper zufolge gelang NASA-Physikern des Eagleworks-Labor am Johnson Space Center im Herbst 2015 das, was von der Wissenschaft zuvor als Hirngespinst abgetan worden war: Sie testeten erfolgreich ein EmDrive-Testmodell. So gelang es dem Team unter der Leitung von Harold „Sonny" White und Paul March, in einem „kegelförmigen Testobjekt für Radiofrequenzen" zu erzeugen. Beide Forscher gelten als führende Wissenschaftler im Bereich solch futuristischer Antriebssysteme.

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Was für die Ergebnisse der NASA-Forscher spricht

Der NASA-EmDrive besteht im Wesentlichen aus einem geschlossenen Kupferkegel, dessen Inneres permanent mit Mikrowellen beschossen wird. In ihrer Testreihe, setzten die Wissenschaftler 40, 60 und 80 Watt ein und stellten fest, dass der Prototyp im Gegenzug eine Schubkraft von bis zu 58, 128 und 119 Mikronewtons Schubkraft erzeugte. Auch nach Ausschluss aller möglichen Fehlerquellen konnten White und seine Kollegen diese „Anomalie" noch beobachten—daher deutet alles darauf hin, dass die Versuchsergebnisse beweisen, dass ein EmDrive tatsächlich funktionieren kann.

Auf Grundlage dieser Ergebnisse errechneten die Wissenschaftler, dass ihr Prototyp ungefähr bis zu 1,2 Millinewton pro Kilowatt erzeugen könnte, wenn sie die Energiezufuhr entsprechend erhöhen würden. Vergleicht man dieses Ergebnis beispielsweise mit dem Hall-Effekt-Antrieb scheint diese Zahl auf den ersten Blick lächerlich klein. Schließlich kann dieser Hochleistungs-Ionenantrieb, der bis 2020 ein einsatzfähiges Triebwerk für Deep-Space-Missionen liefern soll, bis zu 60 Millinewton pro Kilowatt erzeugen. Allerdings muss man bedenken, dass der Hall-Effekt-Antrieb eben auch mit Treibstoff funktioniert, der einerseits kostspielig ist und außerdem bei jeder Mission in ausreichender Menge mitgeschleppt werden muss.

„Die große Frage ist, ob die Ergebnisse dieses Experiments tatsächlich korrekt sind", erklärte Jim Woodward, Physiker an der California State-Fullerton Universität, gegenüber Motherboard. „Ich weiß, dass Paul [March] sehr sauber arbeitet und ich glaube, dass sein Team da tatsächlich auf etwas gestoßen ist. Doch die Ergebnisse ihrer Versuche können eigentlich gar nicht durch die Theorie erklärt werden, die sie selbst anwenden. Die Frage ist also: Wie kommt die gemessene Schubkraft zustande?"

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Wir erinnern uns: Laut Newtons Wechselwirkungsprinzip muss man, wenn man eine Rakete durchs All schießen möchte, irgendeine Art von Energie in die entgegengesetzte Richtung der Rakete abstoßen. Ein treibstoffloser EmDrive scheint jedoch eine Reaktion ohne eine Aktion zu erzeugen—wie kann man das erklären?

Welche Erklärung hinter den Ergebnissen stecken könnte

Es gibt einige theoretische Ansätze, die versuchen diesen Verstoß gegen das physikalische Grundprinzip zu begründen. White selbst ist Verfechter des Quantenvakuum-Ansatzes: Er glaubt, dass der EmDrive Schubkraft generieren kann, weil in einem Quantenvakuum durch Schwankungen virtuelle Teilchen-Antiteilchen-Paare entstehen, die sich kurze Zeit später gegenseitig auslöschen. In Whites Ansatz entstehen diese Vakuumfluktuationen durch das elektromagnetische Feld, das vom EmDrive generiert wird. Laut dieser Theorie würden sich die Mikrowellen innerhalb des EmDrive-Hohlraums praktisch von diesen virtuellen Teilchenpaaren abstoßen und so die Schubkraft erzeugen, die von White und seinen Kollegen im EmDrive-Experiment beobachtet wurde.

EmDrive-Erfinder Roger Shawyer erklärt, warum die Schubkraft des EmDrives seiner Meinung nach durch Strahlungsdruck entsteht

Ein anderer weit verbreiteter Ansatz besagt, dass die Schubkraft des EmDrives durch Strahlungsdruck erzeugt wird. Diese Theorie vertritt auch der Erfinder des EmDrives, Roger Shawyer. Der Strahlungsdruck-Theorie zufolge, wird die Schubkraft des EmDrives durch die Mikrowellen erzeugt, die beim Eindringen in den Kupferhohlraum gegen dessen Wände drücken und so zielgerichteten Schub erzeugen.

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Woodward hält jedoch beide Theorien für höchst unwahrscheinlich. Und zwar aus einem sehr einfachen Grund: Sie sind physikalisch nicht möglich.

Was gegen die Theorien der NASA-Forscher spricht

Um seine Meinung zu belegen, zieht Woodward ein simples Beispiel heran. Wenn man die Forschungsergebnisse der NASA einfach durch Strahlungsdruck im Hohlraum erklären könne, könnte man seiner Meinung nach genauso gut behaupten, dass man ein Auto fortbewegen kann, indem man einfach nur von innen gegen die Windschutzscheibe drückt.

„Kann eine Anordnung von Mikrowellen im Inneren des Hohlraums Schub erzeugen?", fragt Woodward. „Da gibt es eine ganz einfache Antwort: Nein, kann sie nicht. Der Impulserhaltungssatz gibt ganz klar vor, dass ein abgeschlossenes elektromagnetisches System keinen Schub erzeugen kann. Dieses Gesetz gilt sowohl für die Quantentheorie als auch für die klassische Elektrodynamik. Es ist physikalisch unmöglich."

Damit spricht Woodward einen weiteren physikalischen Grundsatz an, gegen den der EmDrive zu verstoßen scheint. Der Impulserhaltungssatz ergibt sich aus Newtons zweiten und drittem Gesetz, dem Aktionsprinzip und dem Wechselwirkungsprinzip: Er besagt, dass der Gesamtimpuls aller Stoßpartner vor und nach dem Stoß gleich sein muss. Somit kann ein abgeschlossenes System, wie der EmDrive, nicht aus sich selbst heraus Energie erzeugen, die es vorantreibt.

Genau dieser physikalische Widerspruch führte White zu seiner Quantenvakuum-Theorie: Wenn der Strahlendruck nicht für die beobachtete Schubkraft verantwortlich sei—Mikrowellen also nicht einfach gegen die Innenseite des Kupferkegels drücken könnten—so müsse es etwas anderes geben, wovon sich die Mikrowellen abstoßen. Beispielsweise die virtuellen Teilchen-Antiteilchen-Paaren, die im Quantenvakuum existieren sollen. Doch auch bei dieser Theorie gibt es einen Haken: Obwohl die Existenz des Quantenvakuums in Versuchen zwar nachgewiesen wurde, sind sich Physiker jedoch weitestgehend einig, dass es nicht zur Erzeugung von Schubkraft genutzt werden kann.

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So wurde Whites Quantenvakuum-Theorie, die sowohl im kürzlich geleakten NASA-Paper als auch im ersten NASA EmDrive-Paper von 2014 als theoretische Grundlage für die beobachtete Schubkraft angeführt wird, bereits mehrfach von führenden Physikern widerlegt.

„Ein theoretisches Konstrukt, das auf dem Quantenvakuum aufbaut, ist völliger Blödsinn", meint Woodward. „Es gibt keine experimentellen Nachweise, die Whites Theorie über das Vakuum auch nur im Ansatz unterstützen würden. Meiner Meinung nach wird dieser Ansatz von keinem seriösen Quantenfeldtheoretiker ernsthaft in Betracht gezogen."

Trotzdem glaubt Woodward, dass die Ergebnisse aus dem NASA EmDrive-Experiment erklärt werden können—und das sogar, ohne die Grundsätze der Physik über den Haufen zu werfen.

Massefluktuationen als mögliche Erklärung

„Der Mach-Effekt ist die einzige mögliche Erklärung für die Ergebnisse des Experiments", meint Woodward. „Wenn die Ergebnisse tatsächlich stimmen und man sie mit ernstzunehmenden physikalischen Theorien erklären möchte, dann scheint der Mach-Effekt der einzig logische Ansatz zu sein."

Woodward sollte wissen, wovon er da spricht. Schließlich war er in den 90er-Jahren der erste, der sich eingehend mit den Mach-Effekten beschäftigte. Woodwards Mach-Effekt-Theorie zufolge, wird bei der Beschleunigung eines Körpers nicht die gesamte angewandte Energie als Bewegungsenergie wieder abgegeben, sondern ein Teil dieser Energie wird als potentielle Energie im Körper selbst gespeichert. Demnach ändert sich während der Beschleunigung vorübergehend auch die innere Energie des Körpers und somit auch seine Ruhemasse.

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Das Machsche Prinzip besagt, dass es keinen absoluten Raum gibt und die Trägheit beziehungsweise die Masse eines Körpers steht immer im Verhältnis zu allen anderen Objekten im Universum. Der beschleunigende Körper befindet sich also praktisch zwischen zwei Kräften: der Kraft, die ihn vorwärts stößt, und dem Rückstoß, der durch das Gravitationsfeld aller anderen Objekte im Universum erzeugt wird. In diesem Ansatz werden scheinbar keine physikalischen Gesetze gebrochen, weil die Masse des Körpers durch diese gegensätzlichen Kräfte vorübergehend verändert wird. Das Prinzip der Impulserhaltung wird somit gewahrt— es werden lediglich kleine Teile des Impulses vorübergehend als innere Energie in dem beschleunigenden Körper „gespeichert".

Laut Woodward könnten diese Massefluktuationen für die Schubkraft verantwortlich sein, die bei dem NASA-Experiment beobachtet wurden. Falls die Mikrowellen im Inneren des EmDrive-Kegels wirklich Kräfte auf das Material des Kegels ausüben, könnte die gemessene Schubkraft durch Woodwards Mach-Effekt-Ansatz erklärt werden.

Obwohl Woodward den Mach-Effekt in den letzten 20 Jahren durch mehrere Versuche nachweisen konnte, ist diese Theorie in der Physik bisher nicht sehr weit verbreitet. Durch die steigende Anzahl erfolgreicher Experimente, die die Theorie belegen, setzt sie sich jedoch zunehmend durch. Im September präsentierten neben Woodward noch drei weitere Physiker auf der Exotic Propulsion Konferenz in Colorado Versuche, in denen sie Woodwards Mach-Effekt rekonstruiert hatten. Auch March hat mit Woodward an einer Reihe erfolgreicher Mach-Effekt-Versuche zusammengearbeitet.

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„In meinen Augen ist der Mach-Effekt der einzige physikalische Ansatz, der nicht nur auf Wunschdenken und magischen Feldern beruht", meint Woodward.

Dennoch gibt es bisher nur eine Sache, die wir mit Sicherheit über das geleakte NASA-Paper sagen können: Es ist echt. Es befand sich bereits in der Peer Review und soll in der Dezemberausgabe der AIAA-Fachzeitschrift Journal of Propulsion and Power veröffentlicht werden. Unklar ist jedoch, inwiefern sich das Paper nach der Peer Review von der früheren geleakten Version unterscheidet.

Wie die Peer Review das geleakte Paper noch verändert

Woodward konnte bereits einen ersten Blick auf das überarbeitete Paper werfen. Er meint, dass der Hauptunterschied zwischen der überarbeiteten Version und der zuvor geleakten Veröffentlichung hauptsächlich im Theorieteil bestünde. Demnach versuchte die erste Version des Papers wesentlich ausführlicher, die Ergebnisse durch theoretische Ansätze zu erklären.

Angeblich war die AIAA jedoch nur bereit, das Paper von White und seinen Kollegen zu veröffentlichen, wenn sie die Quantenvakuum-Theorie herausstreichen. So sollten sie lediglich ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen—ohne zu versuchen, diese zu erklären.

Nun wird sich zeigen, ob es anderen Forschern gelingt, die Ergebnisse des NASA Eagleworks Labor mit Hilfe von Woodwards Mach-Effekt-Theorie zu reproduzieren. Vielleicht erhält die Welt dann endlich eine fundierte Erklärung für die Versuchsergebnisse von White und seinen Kollegen.

„In Ermangelung einer überzeugenden physikalischen Erklärung, die sich nicht den physikalischen Grundsätzen widersetzt, sollte man sich noch kein Urteil darüber erlauben, ob die NASA-Ergebnisse echt sind oder nicht", meint Woodward. „Kaum jemand, der nicht selbst in diesem Bereich arbeitet, wird nachvollziehen können, wie schwer es tatsächlich ist, diese Versuche korrekt durchzuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich etwas als nicht wahr herausstellt, ist auf unserem Gebiet sehr hoch."