Englisch zu schlecht: Polizisten erkennen verbotene Neonazi-Songs nicht
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"Nazi-Shazam"

Englisch zu schlecht: Polizisten erkennen verbotene Neonazi-Songs nicht

Politiker und Polizisten fordern eine App, die indizierte Lieder erkennt. Blöderweise sind Englisch-Kenntnisse nicht das einzige Problem der Polizei.

Ein Neonazi-Konzert in Thüringen. Die Rechtsrock-Band auf der Bühne spielt eine Zugabe, irgendeine Hass-Hymne auf Englisch, die nicht genehmigt war und auf dem Index steht. Die Glatzköpfe im Publikum grölen mit und freuen sich, dass die anwesenden Polizisten nicht erkennen, dass der Song eigentlich verboten ist. Die Beamten verstehen den Text nicht, weil sie kein Englisch können. Doch dann zückt einer der Polizisten sein Smartphone, hält es in die Luft und sagt grinsend: "Meine App hat das Lied erkannt: Nazi-Shazam!" Das Konzert wird abgebrochen.

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So oder so ähnlich stellt es sich Katharina König-Preuss vor. Die Linken-Abgeordnete aus Thüringen fordert jetzt ein Handy-Programm, das indizierte Neonazi-Lieder automatisch erkennt. Wie bei der App Shazam: Einfach das Smartphone an die Box halten und das Lied wird angezeigt. "Es gibt einen Rohentwurf von Nazi-Shazam", sagt König-Preuss zu VICE. Die Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion hat eine Kleine Anfrage an das Thüringer Innenministerium gestellt, um sich zu erkundigen, wann Nazi-Shazam einsetzbar wäre. "Das würde die Arbeit der Polizei effektiver machen. Denn oft erkennt sie die Lieder nicht. Auch weil die Englisch-Kenntnisse fehlen."

"Thüringen ist Rechtsrock-Land Nummer eins"

Die Polizei braucht eine App, weil Sprachkenntnisse fehlen. Klingt absurd, ist aber ein ernsthaftes Problem. Wie die "Welt" berichtete, nehmen Neonazi-Konzerte in Deutschland wieder zu. "Thüringen ist Rechtsrock-Land Nummer eins", sagt König-Preuss. 50 Neonazi-Konzerte würden jedes Jahr in dem ostdeutschen Bundesland stattfinden.

Erst Anfang Mai spielte die Schweizer Band "Amok" auf einem Rechtsrock-Festival in Leinefelde, zusätzlich zu den genehmigten Liedern, zwei verbotene englischsprachige Songs. Darunter "Tomorrow belongs to me" von Skrewdriver, der Band des "Blood & Honour"-Gründers Ian Stuart Donaldson, der in Neonazi-Kreisen Kultstatus genießt und dessen Netzwerk in Deutschland verboten ist. Auf Nachfrage des MDR musste die Polizei eingestehen, dass die beiden indizierten Lieder "aufgrund mangelnder Englisch-Kenntnisse vor Ort nicht geprüft oder ausgewertet werden" konnten. Mittlerweile haben die Beamten bei Journalisten nach Tonaufnahmen vom Konzert gefragt.

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"Darüber kann man sich jetzt lustig machen", sagt König-Preuss, aber es gehe nicht nur um mangelnde Englisch-Kenntnisse, die generell ein Problem bei ostdeutschen Polizisten seien. "Man kann von keinem Beamten verlangen, dass sie alle Neonazi-Lieder auswendig können, erst recht nicht auf Russisch, Ungarisch oder Schweizerdeutsch." Die Lösung sei da eben Nazi-Shazam.

Bereits 2013 berichtete der Spiegel, dass die Innenministerkonferenz auf Initiative Sachsens über solch ein Programm berate. 2014 fragte König-Preuss schon einmal beim Thüringer Innenministerium nach dem neuesten Stand. Die Antwort: Man prüfe seit Jahren "die Möglichkeiten zur Erkennung von indizierten Musikstücken". Ziel sei "mit einer Mediendatenbank […] eine beschleunigte Erkennung herbeizuführen". Abschließende Erkenntnisse lägen aber noch nicht vor.

Auf ihre aktuelle Nachfrage, ob es eine solche App schon gibt, bekam König-Preuss bisher noch keine Antwort, genau wie VICE. Fehlt für Nazi-Shazam einfach das Geld? Oder ist das Konzept technisch und rechtlich nicht umsetzbar?

"Was kann so eine App schon kosten? 50.000, 100.000 Euro vielleicht?", sagt die Linken-Abgeordnete. Die Technische Uni Ilmenau in der Region könnte doch eine Prototyp entwickeln. "Damit ließen sich bestimmt 80 Prozent aller Neonazi-Lieder erkennen, mehr als ein Polizist erkennen kann." Natürlich gibt es rechtliche Hürden. Die Beweise müssten gerichtsfest sein. Und eigentlich darf die Polizei ohne Verdacht keine Tonaufnahmen von Konzerten machen, wegen der Versammlungsfreiheit. Und die Datenbank dürfte nicht öffentlich zugänglich sein, sondern nur Beamten auf ihren Diensthandys.

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Ohne App geht es wohl nicht. "Ich war selber schon als Gegendemonstrantin auf Rechtsrock-Festivals und habe Polizisten auf verbotene Lieder aufmerksam gemacht", berichtet König-Preuss. "Da ist erstmal nichts passiert." Innerhalb von sechs Wochen muss das Innenministerium ihre Kleine Anfrage zu Nazi-Shazam beantworten. König-Preuss wäre es am liebsten, wenn die App schon bis zum 15. Juli einsetzbar wäre. Da findet das Festival "Rock gegen Überfremdung" in Thüringen statt, bei dem die Linken-Abgeordnete 4000 bis 6000 Teilnehmer und einige Neonazi-Lieder befürchtet.

Die Polizeigewerkschaft GDA hat sie auf ihrer Seite. "Wir würden Nazi-Shazam auf jeden Fall begrüßen, das würde uns die Arbeit sehr erleichtern", sagt Kai Christ, der GDA-Landesvorsitzende in Thüringen zu VICE. "Es gibt sicher einige ältere Kollegen, die in der DDR Russisch in der Schule hatten und auf Englisch nicht über 'Yes' und 'No' hinauskommen." Aber die seien eher nicht bei den Konzerten im Einsatz. "Bei den jüngeren Kollegen sollte Englisch kein Problem sein." Die hätten in der Ausbildung zwei Stunden Englisch-Unterricht pro Woche. Aber eher Polizei-Englisch. "Im Englisch-Unterricht einen Schwerpunkt auf indizierte Musik zu legen, wäre sicher eine Idee", sagt Christ. Er habe selbst schon bei den Fachabteilungen im Landeskriminal- und Landespolizeiamt nachgefragt, wie es um die App stehe, aber auch noch keine Antwort erhalten.

"Wir bräuchten dann nur Smartphones"

Käme die App, bliebe nur ein Problem: "Wir bräuchten dann nur Smartphones", sagt der Polizeigewerkschaftler. "Die Masse der Dienst-Handys sind alte Nokias, die vor 15, 20 Jahren angeschafft wurden, und mit denen man gerade so SMS schreiben kann", sagt Christ. "Der Polizeipräsident hat vielleicht ein Dienst-Smartphone, die Kollegen auf der Straße laufen mit den alten Dingern herum." Da müsste also erstmal investiert werden.

Thüringen muss bei der Neonazi-Jagd offenbar bei den Grundlagen anfangen, bevor es neuartige Apps entwickelt. Smartphones kaufen. Englisch-Unterricht für seine Beamten. Oder doch wieder V-Leute einsetzten. Die rot-rot-grüne Landesregierung hatte 2015 alle verdeckten Informanten des Verfassungsschutzes außer Dienst gestellt. Auch eine Reaktion auf den Skandal, dass 40 thüringische Verbindungsmänner im Umfeld der Terrorzelle NSU aktiv waren. Seitdem fehlt es aber an szenekundigen Spitzeln, die die Songs erkennen. Die effizienteste Abhör-App bleibt leider immer noch Menschen-Shazam.

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