Wie Jimmy McGuinness den Gaelic Football revolutionierte

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Wie Jimmy McGuinness den Gaelic Football revolutionierte

Mit gerade mal 32 Jahren wird McGuinness Trainer. Dank einer revolutionären Taktik modernisierte er nicht nur den Gaelic Football, er wurde wegen seiner Arbeit sogar von Celtic Glasgow verpflichtet.

Im zweiten Teil unserer Serie erzählten wir, __wie __Jim McGuinness—angespornt durch einen Schicksalsschlag—zu einem bekannten Gaelic-Football-Spieler wurde. Es ist die Geschichte eines Mannes, der mit Mitte 20 seinen Schulabschluss nachholte, Fitnesstrainer und Sportpsychologe wurde und so den Weg zum Legendenstatus über seine Sportart hinaus ebnete.

Aus dem Alaska Irlands auf die große Bühne und zurück: Der Spieler Jim McGuiness

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„Er war immer ein Träumer", sagt die Schwester von Jim McGuinness über ihren Bruder. „Immer hat er gesagt, dass dies ihr Jahr werden würde, immer und immer wieder. Selbst als er noch ein Spieler war."

Vielleicht ist dieses Träumen eine typische Eigenschaft Irlands, ein Land, dessen Bewohner sich zumeist aus dem Hunger oder der Besatzung in eine bessere Zukunft träumen mussten. Vielleicht sind es auch die Nähe zum Meer und die unwirtliche Landschaft Donegals, die dazu verführen. Aber was auch immer es ist: Das Feld, wo Jim McGuinness das erste Mal zum Träumen gebracht wird, liegt im Davy Brennan Memorial Park, einem kleinen Stadion zwischen den Hügeln Donegals, das aus nicht mehr als einem Spielfeld und einer mickrigen Tribüne besteht.

Columba McDyer, ein 70-jähriger Mann und ehemaliger Lehrer, steht eines Abends am Rande dieses Feldes, als ein junger Kerl, den sie Cher nennen, ein paar Jungen aus Glenties trainiert. Er beobachtet, wie dieser lockige Junge mit den Kindern umgeht, sie anfeuert, mit ihnen eine Übung nach der anderen macht. Als er genug gesehen hat, ruft er ihn zu sich.

„McDyer war eine Legende in Glenties. Er war der einzige Mensch in Donegal, der jemals das All-Ireland geholt hat, 1947 mit Cavan war das", erzählt McGuinness. „McDyer sagte mir an diesem Abend, dass ich eines Tages ein ziemlich guter Coach werden würde. Er übergab mir eine Pfeife, sie ist blau und weiß, das sind die Farben meines Clubs. Ich habe diese Pfeife bis heute, sie funktioniert nicht mehr richtig und die Jungs machen Witze über sie. Aber wie viel sie mir bedeutet, haben sie gemerkt, als ich sie einmal verloren habe. Ich bin panisch durch die Kabine gerannt und rief nur: Wo ist die Pfeife, wo ist die Pfeife?"

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Ob an diesem Abend die Trainerkarriere des Jim McGuinness beginnt, steht in den Sternen, ist vielleicht aber auch gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist das, was seine Schwester noch über ihn sagt. „Aber wie sehr er auch geträumt haben mag", erzählt sie. „Am Ende hat er alle Träume wahr werden lassen."

Die Freak-Show von Glenties

Jim McGuinness sitzt verletzt auf der Couch. Den Bart hat er sich mittlerweile abrasiert, er ist ein erwachsener Mann, als sein Leben wieder in Bewegung gerät. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte", erzählt er. „Dann kam jemand aus meinem Heimatverein auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht die erste Mannschaft trainieren will.

Jim McGuinness ist 32, als seine Trainerkarriere beginnt. Er hatte bis dato sein gesamtes Leben Gaelic Football gespielt, das Spiel studiert und sich an verschiedenen Universitäten einen sportwissenschaftlichen Background verschafft. Er weiß, wie man einen Körper fit kriegt und er weiß, was im Kopf eines Spielers vorgeht. Und er hat einen Plan.

Als er mit seiner blau-weißen Pfeife zum ersten Training das Spielfeld in seiner Heimat Glenties betritt, diesem kleinen Kaff in der tiefsten Einöde Irlands, trifft er auf eine Bande junger Kerle, kaum einer von ihnen ist über 18. Es ist der Moment, wo Jim McGuinness anfängt, das Spiel der Iren zu revolutionieren.

„Es war die pure Freak-Show", erinnert sich Brendan Devenney. Devenney hat zusammen mit McGuinness für die Grafschaft Donegal gespielt, auf Club-Ebene sind sie Konkurrenten. „Wir rannten da auf dem Platz herum und dachten uns: Was zur Hölle machen die da? Wir hatten so etwas noch nie gesehen!"

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Bis zu dem Tag, wo Jim McGuinness die Bühne betritt, ist Gaelic Football ein Mann-gegen-Mann-Sport. Jeder auf dem Feld hat seinen Gegner, den er bis zum Ende des Spiels ins Visier nimmt, es ist ein Spiel, wo es darum geht, nach vorne zu preschen und Tore zu erzielen.

Jim McGuinness stellt das Spiel der Iren auf den Kopf. Die erste Devise, die er seiner jungen Truppe ausgibt, ist, die Tore des Gegners zu verhindern, die zweite, den Raum aufzuteilen. Aus der traditionellen Manndeckung wird ab diesem Zeitpunkt moderne Raumdeckung, so wie man sie aus anderen Sportarten kennt, und anstatt sein Team ins Verderben rennen zu lassen, lässt er es brutal defensiv auftreten und so den Gegner zermürben.

Das County-Finale auf Clubebene gewinnen sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte. In den letzten Minuten des Spiels wechselt McGuinness sich selbst ein, es ist seine Rückkehr auf das Feld und seine Botschaft: Seht her, ich weiß, wie es geht! Fünf Jahre wird er brauchen, bis er die nächste Tür aufstoßen und den Rest der Grafschaft davon überzeugt haben wird.

Der Football-Kritiker Joe Brolly erklärt das Spielsystem Donegals

Ein Tag im November

„Sie hatten Angst vor ihm", sagt der ehemalige Spieler und Fernsehkritiker Joe Brolly über McGuinness. „Seine Methoden waren kontrovers und neu. Er hatte mit seinem Heimatclub unfassbar destruktiven Football gespielt. Aber am Ende hat er mit ihnen gewonnen."

Vier Jahre lang hat Donegal kein einziges wichtiges Spiel mehr gewonnen, 18 Jahre ist es her, dass sie das All-Ireland geholt haben, als McGuinness an die dreißig bis vierzig Leute im Dowings Bay Hotel um sich versammelt. „Sie werden nicht mögen, wie wir spielen", erzählt er. Er sitzt in einem Hotelsaal, um ihn herum blutjunge Spieler und alte Recken. Es ist die Bande, die er über Monate zusammengesucht hat. Mit dem Auto war er herumgereist und hatte sie beobachtet, teilweise hatte er sie schon als U-21-Coach trainiert.

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An diesem Tag im November, als er das erste Mal an der Küste Donegals vor seiner Mannschaft sitzt, hat er einen Beamer aufgebaut, er will ihnen zeigen, was er mit ihnen vorhat. Fünf Jahre und drei Anläufe brauchte er, um die örtlichen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, dass er der richtige sei. Aber erst als das County am Boden liegt und niemand mehr etwas mit diesem Team zu tun haben will, geben sie ihm den Job.

„Ich glaubte nicht, dass er der Richtige für uns wäre", erzählt Rory Kavanagh, einer der Spieler, die an diesem Tag im Saal sitzen und McGuinness kritisch beäugen. „Jim war zu sehr einer von uns. Ich hatte ihn noch am Vorabend vor einer Kneipe getroffen. Er war der Typ, der im Auto umherfuhr und dabei Sonnenbrille trug. Wochenlang hatte er mir da schon erzählt, dass wir von nun an Spiel um Spiel gewinnen würden. Ich dachte, er sei komplett verrückt." McGuinness eilt in diesem Moment immer noch der Ruf eines Partylöwen voraus, aber auch um seine Spieler steht es keinen Deut besser. „Wir waren ein paar Monate vorher hochkant aus dem Wettbewerb geflogen und galten als ein Haufen wilder, undisziplinierter Party-Boys, die sich nicht im Griff hatten. Das stimmte nicht, aber unser Selbstvertrauen war vollkommen am Boden."

Seit seinem Start als Trainer wirkt McGuinness nicht mehr wie der Junge, den sie Cher nannten. Und auch nicht mehr wie der wilde junge Mann, der er in seiner Studienzeit war. Jetzt ist er ein Anführer geworden. „Er hat drei Anläufe gebraucht, um die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass er diesen Job kriegt", berichtet sein ehemaliger Mannschaftskamerad Martin McHugh. „Das zeigt, mit welcher Leidenschaft er unterwegs war."

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Jim McGuinness bei einer Ansprache im Kreis seiner Spieler

Jim McGuinness erzählt der Truppe, dass die Zeit mit ihm intensiv werden wird, dann schaltet er den Beamer ein und zeigt dem Team, was es auf dem Feld tun muss. „Das war der Moment, wo ich mir dachte, dass der Kerl sich Gedanken gemacht hat", erzählt Kavanagh. „Ich fing an, ihm zu glauben." McGuinness redet auf das Team ein. „Er zeigte aus dem Fenster und sagte, dass das da draußen unsere Heimat wäre, die Menschen, die Seen und die Berge. Und dann sagte er, dass Donegal sich nach Spielern sehnt, auf die es stolz sein kann, Spieler, die stolz sind das Jersey der Grafschaft tragen zu dürfen und denen man zujubeln kann. Er sagte, dass wir dieses Team sein würden."

Commit. Focus. Believe. Es ist ein Tag im November, als der beste Road-Trip ihres Lebens beginnt.

Jimmys Reise

Als die Mannschaft die Vorbereitungen zur Meisterschaft 2011 aufnimmt, lässt McGuinness bis zu sechsmal die Woche trainieren. Sie kommen aus dem ganzen Land angereist, drei bis vier Stunden brauchen sie, aber McGuinness hat das Team angezündet. In den Trainingseinheiten bringt er das Team in einen Fitnesszustand, der weit über dem anderer Teams liegt. Fitness ist das eine, ihre Spielweise das andere. Aber den wichtigsten Schalter legt McGuinness in ihren Köpfen um.

„Ich war einmal bei einer Einheit dabei", erzählt Joe Brolly. „Und es war das Brutalste, was ich jemals erlebt habe. Es war wie eine Gehirnwäsche. Ich meine das positiv. Er hat ihnen das Loser-Gen ausgetrieben. Und jedes Mal erzählte er ihnen, dass die Zeit ihrer Niederlagen vorbei sei."

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Als sie ihr erstes Spiel nach vier sieglosen Jahren gewinnen, wird McGuinness von der Presse für seine destruktive Spielweise kritisiert. Als er danach vor die Kamera tritt und damit konfrontiert wird, spricht er mitten ins Herz seiner Leute: „Sie können mich für diese Spielweise kritisieren, das ist überhaupt kein Problem. Aber es hat was mit Respekt gegenüber meinen Spielern zu tun, ich muss sie schützen. Das ist mein Job. Die Leute glauben immer, dass sie sich über Donegal lustig machen könnten. Aber das sind nicht wir."

Ein Jahr sollte es dauern, bis McGuinness' System sich komplett durchsetzt. Im Vorjahr waren sie bis ins Halbfinale vorgedrungen, gegen Dublin hatten sie zu defensiv gespielt und für ihre Spielweise harsche Kritik einstecken müssen. Jetzt haben sie einen Schritt nach vorne gemacht. Aus einer defensiven Truppe macht McGuinness ein Team, das blitzschnell von der Defensive auf Offensive umschalten kann, von nun an dominieren sie jede Partie.

Am 5. August 2012 treffen sie auf Kerry, das Real Madrid des Gaelic Football. Niemand in Irland glaubt, dass sie in diesem Spiel eine Chance hätten, bis auf sie selber. Sie schlagen Kerry mit 15 zu 13. Die irische Presse schreibt anschließend, dass es einem sportlichen Tsunami gleichzusetzen wäre. Und was in einem kleinen Kaff im Nordwesten Irlands begann, reißt von nun an ein ganzes Land mit.

Jimmy´s Winning Matches

Zwei Tage später sitzt der Musiker Rory Gallagher am Strand von Lanzarote und dichtet ein Lied um, dass er sonst nachts betrunkenen Touristen in den Bars der Insel vorspielt. „Jimmy´s Selling Watches" ist ein Song über einen senegalesischen Strandverkäufer, der Touristen gefälschte Rolex-Uhren andreht. Gallagher, der selber aus Donegal kommt, textet den Song um, nennt ihn „Jimmy´s Winning Matches" und nimmt gemeinsam mit Jimmy, dem Strandverkäufer, einen billigen Clip auf, den er an die Spieler des Teams sendet.

„Ich sah das Lied zum ersten Mal, da hatten es gerade vierzig Leute auf YouTube angeklickt", sagt McGuinness und lächelt. Nach dem Sieg gegen Kerry wird der Song etwa 900.000 Mal abgerufen, Donegal hat seine Hymne. Und was bis dato nur die Reise eines Teams war, wird nun zur Reise eines ganzen County.

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„Jimmy´s Winning Matches", die Hymne Donegals

Was in den Wochen nach dem Sieg gegen Kerry passiert, ist mit dem Wort Hysterie nur unzulänglich beschrieben. Die Einwohner Donegals malen ihre Häuser und Schafe grün und gelb an, es sind die Farben der Grafschaft. „Jimmy´s Winning Matches" wird in Schulklassen gesungen, das Jersey verkauft sich zigtausendfach. Auf einem Berg errichten die Menschen aus einem Holzgestänge und ein paar Bettlaken eine Mc-Guinness-Statue. Eine Fahne, auf der sein Konterfei über das Gesicht Che Guevaras gelegt wird, hängt an jeder Ecke.

Als das Team ein paar Wochen später gegen Cork das Halbfinale gewinnt und nach 19 Jahren zum zweiten Mal in seiner Geschichte ins All-Ireland-Finale einzieht, reißt McGuinness nach dem Abpfiff den Arm in die Höhe und dreht sich zu seinen Leuten auf der Tribüne. Was er sieht, sind Kinder, die auf den Schultern ihrer Väter jubeln, er sieht Leute aus seiner Heimat, die sich in den Armen liegen. Er sieht in stolze Gesichter und auf die Farben seiner Heimat. Aber vor allem sieht er eins: Menschen, denen vor Glück Tränen die Wangen hinunterlaufen.

Die letzten Sekunden im Halbfinale gegen Cork

Und dann kommt der Tag, als Michael Murphy an einem Sonntagnachmittag im September zum Mikrofon greift und dem Land von einem Trainer erzählt, der sein Leben verändert hätte.

Destination Donegal

„Es ging nie nur darum, ein Gaelic-Football-Team zu übernehmen und das Beste daraus zu machen", sagt Jim McGuinness. „Es sollte für uns alle eine Erfahrung werden, die uns den Rest unseres Lebens prägen würde."

Einen Tag nach dem Gewinn des All-Ireland kehren Jim McGuinness und seine Mannschaft nach Donegal zurück. „Ich hatte immer nur ein Bild im Kopf", sagt er. „Wie wir nach dem Finale in den Bus einsteigen, den Sam-Maguire-Cup vorne auf die Ablage stellen und den Pokal den Menschen Donegals zurückbringen. Das ist das, was mich die ganze Zeit antrieb."

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Viereinhalb Stunden brauchen sie von Dublin, die komplette Strecke ist in ihren Farben beflaggt. Gegen Abend erreichen sie Donegal Town, auf dem Marktplatz werden sie von 25.000 Menschen empfangen.

Als Jim McGuinness auf der Bühne auftaucht und zu einem Duett gebeten wird, ziert er sich, für einen kurzen Moment wirkt er wieder wie der kleine Junge, der er einmal war, dann greift er zum Mikro. Die letzte Zeile, die er für die Menschen seiner Heimat singt, lautet: „Welches Schicksal mich auch immer ereilen wird, was auch immer passieren wird… ich weiß jetzt, dass meine finale Bestimmung in Donegal liegt." Und als die Menschen Donegals daraufhin in Jubel ausbrechen, spürt man, dass Jimmys erste große Reise ihr Ende gefunden hat.

Jim McGuinness singt nach dem All-Ireland für die Leute seiner Heimat

„Es ist das erste Mal, dass ich nichts mit Gaelic Football zu tun habe, und wenn ich ehrlich bin: Nein, momentan vermisse ich es auch nicht. Ich hatte um vier Jahre gebeten. Ein olympischer Zyklus hat vier Jahre, und das hat seinen Grund. Du kannst Menschen nur für eine kurze Zeit von dir aus antreiben. Du musst sie dahin bringen, dass sie es von sich aus tun."

Jim McGuinness ist in dem Moment, wo er diese Sätze sagt, 42 Jahre alt und in Irland eine Legende. Zwei Jahre vorher hatte ihn die irische Fußball-Legende Neil Lennon nach dem Gewinn des All-Ireland als Sportpsychologe und Fitnesstrainer zu Celtic Glasgow geholt, unter seinem Nachfolger Ronny Deila wurde er als Betreuer zur ersten Mannschaft hochgezogen. Der Golfer Paul McGinley hat ihn vor dem Ryder Cup um Hilfe gebeten, er hat Rugby-Teams beraten, die Trainer Martin O´Neill und Alex Ferguson haben sich mit ihm ausgetauscht und um Rat gebeten. Es gibt nicht wenige, die davon ausgehen, dass McGuinness auch im Fußball seinen Weg gehen wird. Momentan macht er seine Fußballtrainer-Ausbildung und zumindest bei seinen Mitschülern hinterlässt er bereits Eindruck. Als er seinen ersten Vortrag während seiner Trainerausbildung hält, dauert es keine zwei Stunden, bis der italienische Torwart Carlo Cudicini per Twitter verkündet: „Seine Arbeit ist herausragend!"

Es hört sich so an, als hätte Cudicini damals im November in einem Hotelsaal gesessen und zusammen mit ein paar anderen Jungs auf die Seen und die Berge geblickt.