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Rechte Anons stellen Flüchtling als Brüssel-Terroristen an den Pranger

Ein junger Syrer, der seit Monaten in Berlin lebt, wird zu Unrecht zum Flughafen-Attentäter von Brüssel erklärt. Tausende Shares später wird seine Gastfamillie als „Terroristenfreunde“ bedroht und beleidigt.
Screenshot: Facebook, Anonymous.Kollektiv

Am Abend des Karfreitags nimmt auch Anonymous.Kollektiv die heiße Spur zu den Brüssel-Attentätern auf. In einem Facebook-Post, das neben dem Fahndungsfoto vom dritten Brüsseler Flughafen-Attentäters das Bild eines Flüchtlings mit Angela Merkel zeigt, heißt es: „Nun ist ein Merkel-Selfie aufgetaucht, das Merkel gemeinsam mit einem IS-Terroristen der Brüssel-Anschläge zeigt."

Die vermeintlich skandalöse „Enthüllung", die in den Tagen zuvor bereits auf einer kleineren bulgarischen Website und Reichsbürger-Blogs kursierte, verfehlt ihre Wirkung nicht: Rund 24 Stunden später hat der Post knapp 20.000 Likes und wurde insgesamt über 10.000 mal geteilt. „Da kann man mal sehen, wer die Chefin der europäischen IS ist", kommentiert ein Facbeook-User den Beitrag; „Ich klaup ich shehe nicht richtig", empört sich ein anderer. Das Problem: Das Bild zeigt zwei unterschiedliche Personen, auch wenn rechte Blogs und Facebook-Kommentare angeblich eine „frappierende Ähnlichkeit" erkennen wollen.

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Die enorme hohe Anzahl an Shares und die virale Verbreitung der Bild-Collage bleiben nicht ohne Folgen—nicht für diejenigen, die das Bild verbreiten, sondern für einen Syrer, der tatsächlich auf dem Selfie-Foto abgebildet ist. Anas Modamani, der bei einer Gastfamilie im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf lebt, ist plötzlich nicht nur als Terrorist gebrandmarkt, sondern muss am eigenen Leib erfahren, wie sein Bild für rassistische Hetze gegen Flüchtlinge missbraucht wird. Auch Modamanis Gastfamillie, die ihn seit über zwei Monaten aufgenommen hat, wird auf Facebook nun als „Terroristenfreunde" beschimpft und bedroht, wie die 40-jährige Anke M. gegenüber der Berliner Zeitung erklärt.

Der Irrweg von Anonymous.Kollektiv: Was ist eigentlich bei der größten deutschen Anon-Seite schiefgelaufen?

Auf Facebook ist der Anonymous-Post am Sonntag schließlich kommentarlos verschwunden—das dürfte allerdings kaum an der Einsicht des Anonymous.Kollektiv liegen, die von anderen deutschen Anonymous-Aktivisten dafür kritisiert werden, nichts mit den eigentlichen Zielen der Anonymous-Bewegung zu tun zu haben. Wahrscheinlicher ist, dass der Beitrag gemeldet und daraufhin gelöscht wurde, was allerdings von Facebook nicht öffentlich angezeigt wird.

Auf der VKontakte-Seite von Anonymous.Kollektiv ist der Post weiterhin online. Unter dem Bild steht dort außerdem: „Noch ist die Identität des jungen Mannes an Merkels Seite nicht 100-prozentig geklärt." No Shit, Sherlock. Eine kurze Google-Suche hätte schon zum Zeitpunkt des Postings schnell aufgeklärt, dass auf dem Bild Anas Modamani, und nicht der 25-jährige Brüssel Attentäter Najim Laachraoui zu sehen ist.

Schon im vergangenen September, als das Selfie in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Spandau entstand, wurde die Geschichte des jungen Flüchtlings in zahlreichen Medien erzählt, immer wieder wurde dabei auch sein voller Name genannt. Erst Anfang März berichtete die Deutsche Welle über Modamani—Spoiler: Keine seiner Stationen in den vergangenen Monaten passt zur Planung eines Terror-Attentats in Brüssel. In einer Foto-Story erzählte die Deutsche Welle von seiner gefährlichen

Flucht über das Mittelmeer und die Balkan-Route und darüber, wie das Merkel-Selfie sein Leben veränderte

und zum Zeichen einer deutschen Willkommenskultur wurde. Aber an solchen Geschichten ist Anonymous.Kollektiv vermutlich eher weniger interessiert.