Die Hoaxmap verrät, welche Anti-Flüchtlingsgerüchte wo in Umlauf sind
Ausschnitt aus der Hoaxmap. Die ganze Karte findet ihr hier.

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Die Hoaxmap verrät, welche Anti-Flüchtlingsgerüchte wo in Umlauf sind

Flüchtlinge vergewaltigen Frauen, reißen Toilette aus dem Boden und bekommen Bordellbesuche: Eine interaktive Karte zeigt, wo die meisten bösartigen Falschmeldungen unterwegs sind.

Immer weniger Menschen vertrauen professionellen Medien. Und immer mehr beziehen ihre Informationen über das Weltgeschehen aus dubiosen Quellen in den Sozialen Netzwerken. Meldungen, die dort über Flüchtlinge verbreitet werden, sind oft spektakulär: In Bremen sollen Flüchtlinge Bordellgutscheine erhalten haben, weil es zu vielen Übergriffen auf Frauen gekommen sei. In einer Flüchtlingsunterkunft in Bielefeld habe ein muslimischer Flüchtling eine Toilette aus der Wand gerissen, weil vorher ein „Ungläubiger" darauf gesessen habe. Und in Hannover sollen Flüchtlinge eine Frau vergewaltigt und ermordet haben. Über den letzten „Fall" berichtete sogar ein russischer Fernsehsender. Alle drei Meldungen sind jedoch frei erfunden.

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Was hinter Bordell-Freikarten für Flüchtlinge steckt

Wie weit verbreitet solche Falschmeldungen in Deutschland sind und in welchen Regionen sie besonders vermehrt auftreten zeigt nun die Hoaxmap, eine interaktive Landkarte der widerlegten Gerüchte und Anti-Flüchtlings-Hoaxes. Die bislang mehr als 180 Meldungen hat Karolin Schwarz zusammengetragen. Mit bösartigen Falschmeldungen zu Flüchtlingen ist sie vor allem im letzten Jahr in Kontakt gekommen, als sie ehrenamtlich in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig gearbeitet hat. „Aber auch im Netz und Zuhause bei den Eltern", sagt die 30-Jährige. Weil sie sich schon eine Weile mit Themen wie Datenjournalismus und Open Knowledge beschäftigt, ist sie auf die Idee gekommen, die Falschmeldungen in einer Karte zu sammeln.

Die Daten aus denen sich die Karte speist und die kontinuierlich aktualisiert werden soll, hat Schwarz auf ihrer Website ebenfalls zusammengestellt. Die Bundesländer aus denen bisher die meisten Meldungen auf der Karte verzeichnet werden sind dabei Bayern mit 37 Hoaxes und Baden-Württemberg mit 24 als falsch entlarvten Meldungen.

Die meisten dieser Meldungen wurden seit dem vergangenen Sommer lanciert. „Seit Juli ist das extrem angestiegen", sagt sie. Um die Falschmeldungen zusammen zu tragen hat Karolin Schwarz vor allem auf Twitter und mit Suchmaschinen im Netz recherchiert. Die Einträge in der Karte sind in den meisten Fällen auf Zeitungsartikel verlinkt, die verschiedenen Gerüchten nachgehen und sie widerlegen.

„Die Gerüchte werden, glaube ich, viel von Privatpersonen aber auch von rechten Organisationen gestreut", erklärt Karolin Schwarz gegenüber Motherboard. „Zum Teil werden zum Beispiel einfach Anzeigen erstattet, die dann öffentlich gemacht werden." Hinterher stelle sich dabei oft heraus, dass alles nur erfunden war. Bei einer solchen Erfindung wurde im vergangenen November zum Beispiel ein niedersächsischer AfD-Politiker erwischt. In einem ARD-Interview behauptete er, ein 12-jähriges Mädchen sei von Flüchtlingen vergewaltigt worden. Später gab er seine „inkorrekte Darstellung" zu—die Vergewaltigung hatte es gar nicht gegeben.

Welche Auswirkungen solche Falschinformationen haben können, zeigt der Fall der 13-jährigen russlanddeutschen Lisa aus Berlin-Marzahn: Nachdem ihre Familie im russischen Fernsehen von einer angeblichen Entführung und Vergewaltigung durch Flüchtlinge—und einer unerhörten Untätigkeit der Berliner Polizei berichtet hatte, demonstrierten in mehreren Städten hunderte Russlanddeutsche. Sogar der russische Außenminister schaltete sich ein. Kurz später war klar: Es gab weder eine Entführung, noch eine Vergewaltigung. Das Mädchen war über Nacht bei einem Freund. „Der Fall zeigt, welche Resonanz so etwas haben kann, bis zur diplomatischen Verwerfung ist alles möglich", sagt Karolin Schwarz. Außerdem glaubt sie, dass derartige Falschmeldungen „dazu anstiften, Übergriffe zu begehen."

Mit der Hoaxmap will sie vor allem dazu beitragen, dass die Gerüchte und Falschmeldungen im Netz besser ausgewertet werden können. „Damit man feststellen kann, wie sich die Geschichten ähneln, wo die Ursprünge sind, wo regionale Schwerpunkte sind." Außerdem soll die Karte eine Argumentationshilfe für Menschen sein, die mit derartigen Gerüchten konfrontiert werden.

„Es gibt eine nicht zu unterschätzende Zahl von Leuten, die solche Gerüchte glauben wollen, und die, glaube ich, schwer zu erreichen sind", sagt Karolin Schwarz. „Es gibt aber auch einfach uninformierte Menschen, die auf diese Gerüchte reinfallen." Vor allem an letztere will sie sich mit der Hoaxmap richten und ein Stück zur Aufklärung beitragen. Um das langfristig und möglichst vollständig tun zu können, hofft sie auf Unterstützung aus der Crowd. Hinweise zu neuen Fällen können Leser ihr per Mail oder auf Twitter schicken.