FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Es ist leicht erklärt, wie ein Blitz 323 Rentiere auf einmal töten konnte

In Norwegen ist eine komplette Rentierherde einem schweren Unwetter zum Opfer gefallen. Was genau ist passiert?
Die tote Rentierherde von Hardangervidda | Foto: Håvard Kjøntvedt | Miljødirektoratet

Vielleicht habt ihr schon von der Nachricht gehört, die allen Fans Tierfreunden mit Sicherheit noch länger Albträume bereiten wird: Vergangenes Wochenende hat ein Blitz in Norwegen ganze 323 Rentiere auf einmal getötet. Am Sonntag veröffentlichte das norwegische Umweltamt einige ziemlich krasse Fotos und berichtete davon, dass die Herde—inklusive 70 Jungtieren—am Freitag während heftiger Gewitter umgekommen ist.

Anzeige

Ich recherchierte ein wenig und konnte keinen anderen Fall finden, bei dem so viele Tiere auf einmal von einem Blitz getötet worden waren. Unüblich ist ein solches Szenario aber trotzdem nicht. So starben im US-Bundesstaat South Dakota zum Beispiel erst vor wenigen Monaten 21 Kühe, als ein Blitz in die metallene Futterkrippe einschlug, während die sich die Tiere gerade einen Gewitter-Snack gönnten. Kühe, Schafe, Wild und auch Rentiere werden tatsächlich ziemlich häufig zu solch tragischen Unwetteropfern.

Aber was genau passiert eigentlich, wenn ein Blitz Dutzende oder gar Hunderte Tiere tötet? Schlagen dann mehrere Blitze am gleichen Ort ein? Oder springt eher ein einziger Blitz von Tier zu Tier? Die norwegischen Umweltbeauftragten sind noch damit beschäftigt, den Tod der 323 Rentiere zu untersuchen und deswegen noch nicht hundertprozentig sicher, wie genau das Ganze abgelaufen ist. Schaut man sich jedoch ähnliche tierische Massentode im Gewitter an, stößt man schnell auch eine plausible Erklärung.

Im Juni 1972 erblickte eine Helikopter-Crew der US-Army 53 tote Rentiere in der Tundra von Alaska. Die Soldaten berichteten der staatlichen Wildtierbehörde von ihrem Fund, woraufhin die Beamten ihre Ermittlungen aufnahmen. Zuerst suchten sie noch nach möglichen Anzeichen für eine Gewalteinwirkung oder eine Vergiftung, kamen jedoch schon bald zu dem Schluss, dass ein Blitz für den Tod der Tiere verantwortlich gewesen sein musste. Zwei weniger als dreieinhalb Kilometer entfernte Rentierherden erfreuten sich nämlich bester Gesundheit. Außerdem fanden die Mitarbeiter der Behörde im Boden unter den Kadavern eine riesige Lichtenberg-Figur. Dabei handelt es sich um baumähnliche Muster, die durch elektrische Hochspannungsentladungen entstehen. Einwandfreie Detektivarbeit.

Anzeige

Als die elektrische Landung auf die Vorderbeine der Rentiere traf, entstand eine Potentialdifferenz zwischen den Vorder- und Hinterhufen.

Nachdem sie die Form und das Muster der Lichtenberg-Figur untersucht hatten, konnten die Ermittler relativ genau nachzeichnen, wie der Tod der Tiere abgelaufen war. Eine entsprechende Analyse veröffentlichten sie daraufhin im Journal of Wildlife Diseases. Wie sie hier erklären, ist der Bodenfrost in Alaska im Juni bereits am schmelzen und die obersten Zentimeter der Erdschicht befinden sich in einem feuchten Zustand. Wie du vielleicht noch aus dem Physikunterricht weißt, besitzt Wasser eine ziemlich gute elektrische Leitfähigkeit. Als der Blitz einschlug, wanderte die elektrische Ladung also horizontal auf der Bodenoberfläche entlang und erfasste so auch die Rentierherde.

Leider sind vierfüßige Lebewesen wie Rentiere besonders anfällig für Stromschläge, weil ihre Vorder- und Hinterläufe so weit auseinander liegen. Dieser Umstand ermöglicht nämlich die Entwicklung einer größeren Potentialdifferenz, wenn der Strom von vorne nach hinten (oder andersherum) wandert. Aus diesem Grund können Eichhörnchen auch so entspannt auf Stromleitungen sitzen, ohne geschockt zu werden: Auf den Leitungen gibt es keine Spannungsdifferenz, und deshalb fließt der Strom nicht durch das Tier. Wenn der kleine Nager jedoch einen Baum berührt, während er noch auf der Leitung sitzt, dann entsteht eine solche Differenz (der Baum hat ja keine Spannung, die Leitung hingegen eine sehr große), und das Tier wird gegrillt.

Ein ähnliches Szenario ist laut der Vermutung der Forscher auch bei den Rentieren von Alaska eingetreten: Der Blitz schlug in den Boden ein und die elektrische Ladung verbreitete sich durch die Feuchtigkeit der Erde in horizontaler Richtung. Als sie dann auf die Vorderbeine der Rentiere traf, entstand eine Potenzialdifferenz zwischen den Vorder- und Hinterhufen. Der daraus resultierende Stromschlag führte zum Herzstillstand und die 53 Rentiere starben innerhalb weniger Sekundenbruchteile.

So oder so ähnlich ist es wohl auch vergangenes Wochenende in Norwegen abgelaufen. Genauso wie die abtauende Tundra Alaskas war nämlich auch die norwegische Hardangervidda-Ebene aufgrund von Regenunwettern stark durchnässt. Als der Blitz dann auf den Boden traf, konnte sich die elektrische Ladung horizontal ausbreiten und die vierbeinigen Rentiere hatten durch den heftigen Stromschlag kaum Überlebenschancen.

Es ist natürlich nicht schön, dass so viele Tiere den Tod fanden—doch Mutter Natur hat sich hier nur mal wieder von ihrer brutalsten Seite gezeigt. Andererseits hätten sich diverse Raubtiere über ein solch riesiges Rentier-BBQ-Buffet sicherlich unglaublich gefreut.