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Warum sich die Wissenschaft noch immer am weiblichen Orgasmus abarbeitet

Im Zuge einer neuen Studie haben Forscher herausgefunden, dass die weibliche Klimax einst zur Fortpflanzung wichtig war—und nicht nur fürs Vergnügen.
Foto: Shutterstock

Das geheimnisvolle Wesen des weiblichen Orgasmus ist ein Klischee, das seit Ewigkeiten besteht—oder zumindest seit Aristoteles: Vor gut 2400 Jahren schrieb das altgriechische Allround-Talent eine wissenschaftliche Abhandlung über das Vergnügen der menschlichen Fortpflanzung. Fort an beschäftigte man sich in der Wissenschaft jahrhundertelang intensiv mit der weiblichen Anatomie und versuchte dabei herauszufinden, wie Frauen zum Höhepunkt kommen. Die Resultate sind bis dato jedoch ziemlich ernüchternd.

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Zwar glaubt man mittlerweile gut über die verschiedenen Arten des weiblichen Orgasmus Bescheid zu wissen, doch worin bestand überhaupt der ursprüngliche Sinn und Zweck des Höhepunkts? Die Autoren eines neuen Papers, das im Magazin „JEZ-Molecular and Developmental Evolution" veröffentlicht wurde, behaupten nun, der weibliche Orgasmus hätte ähnlich wie das menschliche Steißbein eine wichtige Funktion. So hätte die evolutionäre Rolle der Klimax darin bestanden, während des Geschlechtsverkehrs den Eisprung einzuleiten und so eine Schwangerschaft zu ermöglichen.

"In vorangegangenen Studien hat man sich verstärkt auf Indizien aus der menschlichen Biologie sowie auf die Veränderung von Erbmerkmalen konzentriert, anstatt sich mit dessen evolutionärem Ursprung zu beschäftigen", erklärte Mitautor Gunter Wagner, der als Professor für Ökologie- und Evolutionsbiologie an der Yale University tätig ist.

Bei vielen Katzen verhält es sich so, dass der Eisprung durch den Geschlechtsverkehr ausgelöst wird. Die daraus resultierenden Vorteile sind (zumindest bei Katzen) eine erhöhte Chance auf alleinige Vaterschaft sowie die sichere Befruchtung. Bei Primaten konnte man diesen durch Sex ausgelösten Eisprung allerdings noch nie beobachten. In einigen Studien heißt es jedoch, das menschliche Sperma enthalte ein Eisprung verursachendes Protein.

Da der weibliche Orgasmus für eine erfolgreiche Fortpflanzung nicht zwingend notwenig ist, hoffte das Team, bestehend aus Biologen der Yale University und des Kinderkrankenhauses Cincinnati, einen physiologischen Grund für dessen Existenz zu finden. Und siehe da, die Forscher fanden heraus, dass der weibliche Körper beim sexuellen Höhepunkt mit den "Feel good"-Hormonen Prolaktin und Oxytocin durchflutet wird—ein Effekt den man bereits bei Männern beobachten konnte. Bei dem durch Sex ausgelösten Eisprung findet eine ähnliche Ausschüttung statt, so die Forscher. Diese Tatsache verleitete sie zu der Annahme, der weibliche Orgasmus könnte bei dem frühen Menschen die Befruchtung eingeleitet haben.

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"Wir gehen davon aus dass der Hormonschub das menschliche Merkmal charakterisiert, welches wir als den weiblichen Orgasmus kennen. Diese Erkenntnis ermöglichte es uns, die Entwicklung dieses Vererbungsmerkmals über mehreren Spezies hinweg zu analysieren", so die Co-Autorin Mihaela Pavličev vom Center for Prevention of Preterm Birth des Kinderkrankenhauses Cincinnati in einem Statement.

Im Zuge der aktuellen Studie gewonnen die Forscher auch die Erkenntnis, dass der durch den Sex ausgelöste Eisprung bei Säugetieren zuerst zum evolutionsbedingten Liebesspiel gehörte. Erst vor 75 Millionen Jahren, entwickelte sich der Menstruationszyklus und damit der spontane Eisprung. Wagner und Pavličev erklären, die Klitoris habe sich nach dem Wegfallen des durch Geschlechtsverkehr verursachten Eisprungs bei einigen Tieren vom Geschlechtskanal (dort ist die Wahrscheinlichkeit einer Stimulation größer) wegbewegte und weiter in Richtung der außenliegenden Genitalien wanderte.

Der Orgasmus hat heutzutage also letztenendes genau so wenig Nutzen wie unsere stummeligen, kleinen Steißbeine. Es lässt sich natürlich darüber streiten, ob der weibliche Orgasmus unbedingt einer darwinistisch angelegten Untersuchung bedarf. Bisher unterlagen die Bestrebungen zur Enträtselung des weiblichen Orgasmus vor allem in der Suche nach, einem Gegenstück zum männlichen Orgasmus. Kritiker beanstandeten diese Forschungen als voreingenommen und patriarchalisch. Die Mystifizierung der weiblichen Sexualität wurde daraufhin vor allem durch die evolutionäre Psychologie vorangetrieben, in der psychologische Merkmale als adaptive Eigenschaften angesehen. Es kann schließlich nicht sein, dass der weibliche Orgasmus in unserer männlich geprägten Welt allein dem Vergnügen dienen soll. Egal, ob der wahre zweck heute verkümmert ist oder nicht.

Elisabeth Lloyd, Biologin an der Indiana University, gab gegenüber dem Guardian zu bedenken, dass die Ergebnisse der neuen Studie zwar durchaus zum Nachdenken anregen, viele Themen und Aspekte darin aber gar nicht erst angesprochen werden. So untersuchten die Autoren zum Beispiel nicht die neurologischen und muskulären Folgen eines Orgasmus. Und auch die Orgasmen anderer Säuretiere blieben unerwähnt.

"[Der weibliche Orgasmus] scheint abgesehen vom Vergnügen keinen wirklichen Zweck zu besitzen", sagt sie. "Das bedeutet aber nicht, dass er unwichtig ist. Er hat schlicht und einfach nur keine evolutionäre Funktion mehr."