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Der Sieg von Donald Trump ist auch ein Sieg des Hasses im Netz

Der neue US-Präsident ist der erste Wahlsieger, der mit Hilfe von 4chan und Reddit gewonnen hat. Sein Triumph fällt in eine Zeit, in der Trolling und Hasskommentare die politische Bühne erreicht haben.

Manche Ecken von Reddit und 4chan sind am frühen Morgen des 9. November der Ort für ein ganz spezielles Triumphgeheul. „Die Prophezeiung ist eingetreten", „The biggest fuck you ever recorded in human history." „Hey Social Justice Warriors [das englische Äquivalent zum deutschen Gutmenschen], go fuck yourself." Das sind noch die harmloseren der massenhaft von anonymen oder halb-anonymen Usern abgesetzen Posts, die sich im Subreddit r/The_Donald und im Forum „Politically Incorrect" auf 4chan finden—andere Beiträge beschäftigen sich mit hunderten von Posts und wenig zweideutigen Anspielungen mit den politischen Sorgen des linksgesinnten Porno-Stars Sasha Grey oder mit Lügenpresse und Rassismus.

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Keine andere Community im Netz hat sich mit solcher Vehemenz als Wahlkampf-Hilfe für Trump hervorgetan, wie das Subreddit r/The_Donald. Die vor anderthalb Jahren gegründete Unterseite der Diskussions-Plattform Reddit hat inzwischen über 270.000 Anhänger—und ist damit zu einer der großen politischen Communities auf Reddit geworden. Vor allem haben es die Posts des Subreddits während des Wahlkampfes regelmäßig auf die Startseite von Reddit, einer der traffic-stärksten Websites der USA, geschafft. Von dort haben sich die Links, Memes und Posts wiederum in Millionen von Feeds verbreitet—und sind in mehreren Fällen auch auf den offiziellen Accounts der Kandidaten und Wahlkampf-Teams von Trump und Clinton aufgegriffen worden.

Trump ist der personifizierte Internet-Troll

Das Subreddit steht exemplarisch für eine besondere Verbindung, die sich auch in 4Chans „Politically Incorrect"-Board und in der sogenannten Alt-Right-Bewegung auf Twitter findet: Die Sprache besteht aus 4Chan-Slang, Memes und Symbolen diverser Netzkulturen—die Inhalte sind mehr oder minder ausgeprägte Formen von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und des Kampfes gegen „Gutmenschen."

Nicht alle der Beiträge sind ernst gemeint—im Gegenteil, viele Posts sind ironisch gebrochen. Doch sie haben eines gemeinsam: Sie sind auf maximale Provokationen ausgelegt, Paradebeispiele des Trollens. Gerade für einen Kandidaten wie Trump, über den abgesehen von ganz wenigen Outlets wie Fox oder Breitbart von traditionellen Medien nur selten unkritisch berichtet wurde, ist die Unterstützung solcher alternativer Internet-Poster Gold wert—vor allem wenn sie genau verstanden haben, wie man einen Post viral werden lässt.

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Wie deutsche Trolle und Hasskommentatoren über Trumps Wahlsieg jubeln

Tatsächlich ist Trumps eigene Rhetorik diesen Netzgemeinden, die ihn, lange bevor er offizieller Kandidat der Republikaner wurde, unterstützen, durchaus ähnlich: Jene Sprache der Provokationen, die sich so erfolgreich und viral im digitalen Raum ausbreitet, hat er mit seinem Populismus auf die politische Bühne gebracht. Trump selbst trat im Wahlkamp allzu oft wie ein personifizierter Internet-Troll auf.

Trump braucht die effiziente Maschinerie von r/The_Donald

Netzgemeinden wie 4Chan oder r/The_Donald mögen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der USA verhältnismäßig klein sein—aber sie bewiesen in diesem Wahlkampf erstmals ihr mächtiges Potential als Brutstätte von Memes, die viral gehen können und gesamte Netzdebatten bestimmen. Anders als bei früheren Subkulturen haben wir es hier eben nicht mit abgeschlossenen Communities zu tun—sondern mit Szenen, die ihr Sendungsbewusstsein dank des digitalen Resonanzraums in kürzester Zeit enorm weit verbreiten können. In mehreren Fällen erreichten sie die landesweiten, offiziellen Medienkanäle, die den Wahlkampf bestimmen:

  • So postete der Sohn von Donald Trump im September ein Bild des Pepe-Memes, das neben ihm auch weitere Stars der sogenannten Alt-Right, wie den inzwischen auf Twitter gesperrten Milo, als Trump-Supporter zeigte. Er distanzierte sich später halbherzig davon, das schon seit Monaten mit Rassismus konnotierte Meme gepostet zu haben: „Ich dachte, das wäre ein Frosch mit einer Perücke. Ich fand das lustig."
  • Donald Trump hat mehrfach selbst Memes und Videos gepostet, die in dem Subreddit zirkulierten—ein prominentes Beispiel: Das Hillary-Clinton-Meme, auf das per Photoshop ein Davidstern montiert wurde. Sogar als er sich gegen öffentliche Kritik verteidigen musste, bediente er sich beim Content des Subbreddits: Seine kaum glaubhafte Verteidigungsstrategie (Ein Sticker des Disney-Films Frozen habe genau den selben Antisemitismus verbreitet wie er), wurde zuerst von Usern von r/The_Donald erdacht. Ein typisches Beispiel für die inoffiziellen Rückkopplungseffekten die zwischen alternativen Netzgemeinden und offiziellen Politiker-Wahlkämpfen entstehen können.
  • Schließlich äußerte sich auch Clintons offizielles Wahlkampf-Team mit einem Blog-Post unter dem Titel: „Donald Trump, Pepe the frog, and white supremacists: an explainer" zu dem Hass im Netz. Der grüne Frosch hatte es danach endgültig in die landesweiten US-Medien geschafft—Nachrichtensprecher beschäftigten sich zur besten Sendezeit mit r/The_Donald.

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Warum es naheliegt, dass Trump-Unterstützer Memes nutzen

Screenshot: Donald Trump Jr. | Instagram

Dass sich Donald Trump-Supporter Elemente der alternativen Internet-Subkultur angeeignet haben, die ursprünglich eher aus alternativen linken Szenen bekannt war, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Denn tatsächlich war das stärkste Argument, mit dem Donald Trump in den Augen amerikanischer Wähler punkten konnte, dass nur er für einen wirklichen Wandel im Land sorgen kann. 2008 war Barack Obama der Kandidat, der für Change stand—2016 versuchte Donald Trump diese Rolle zu besetzen.

Stärker noch als in Deutschland ist die maximale Ablehnung und Distanzierung von allem, wofür der politische Establishment steht, ein Pro-Argument für Wähler. Wer gegen den korrupten Mainstream von Washington wettert, erreicht viele Stimmen—ob er konstruktive alternative Ideen hat, ist dabei für erstaunlich viele Menschen zweitrangig. Genau dies ist für viele Amerikaner ihre Interpretation des nationalen Slogans „The land of the free": Maximale Distanz und Freiheit vom Zentralstaat.

An dieser Stelle treffen sich Populismus und die alternative, anarchische Netzkultur von Foren wie Reddit und 4Chan. Längst ist das Internet jener Ort geworden, in dem sich die Subkulturen formieren, die am besten das erfüllen, was Subkulturen eben tun sollen: Dem Mainstream, den Etablierten, den Erwachsenen einen Mittelfinger zeigen und mit einer eigenen, zuweilen schwer verständlichen und codierten Sprache beweisen, dass man so viel cooler ist.

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Wofür steht r/The_Donald und wofür nicht?

Es ist wichtig zu betonen, dass die über 270.000 Anhänger von r/The_Donald alles andere als eine homogene Gruppe sind, wie mein US-Kollege in seinem ausführlichen Text über den Aufstieg und Fall des Subreddits analysiert. Unter den Mitgliedern finden sich zahlreiche Bürger, „die angesichts ihrer ökonomischen und sozialen Lage wirklich angepisst sind, aber die Leute beteiligen sich [in r/The_Donald] aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und dann gibt es noch die Leute, die einfach rassistisch oder töricht sind", erklärte Whitney Philips, die im Zuge ihrer Promotion vier Jahre auf 4Chan unterwegs war, und inzwischen als Professorin an der amerikanischen Mercer University lehrt.

Mehr Hintergründe zu r/The_Donald lest ihr in diesem englischen Motherboard-Text: Der Aufstieg und Fall eines Subreddits

Ob die Alt-Right, die Memes und der Hass im Netz wahlentscheidend waren? Wohl nicht. Aber dieser polarisierte US-Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton markierte dennoch eine Zeitenwende: Es war das erste mal, dass die in den vergangenen Jahren rasant vernetzten rechtspopulistischen Netzgemeinden die Politik so umfassend aufmischen konnten.

Der Hass im Netz ist zu einem politischen Faktor geworden

Was das für unseren Umgang mit Hass im Netz bedeutet? Großen Internet-Firmen wie Reddit, Facebook und Twitter muss klar sein, dass sie längst zu wichtigen Plattformen für politische Debatten geworden sind—und sie müssen sich dieser Verantwortung mit einer transparenten und effizienten Strategie von Moderation und Löschung von Kommentaren stellen.

Politik und Gesellschaft müssen verstehen, wie mächtig Memes, Hate Speech und anonyme Foren sein können. Sie sind längst keine Nische mehr, sondern eben eine relativ neue Form politischen Protests. Wenn die Posts dabei zu Straftaten werden, dann sollten sie nach deutschem Recht behandelt, gelöscht und verfolgt werden—wenn sie unter die Meinungsfreiheit fallen, dann gehören sie als legitime politische Äußerung anerkannt und es muss eine Auseinandersetzung mit ihren Autoren und Inhalten geben—verschwinden werden die Alt-Right-Bewegung und Plattformen wie 4Chan nicht mehr.

Spätestens bei den anstehenden Wahlen in Frankreich, wo die Rechtspopulistin Le Pen gewinnen könnte, in Österreich, wo der FPÖ-Politiker Norbert Hofer Bundespräsident werden könnte, und dann natürlich auch bei der deutschen Bundestagswahl 2017 werden diese Communities auch die europäische Politik beschäftigen. Was das für uns als Journalisten heißt? Wir müssen in den Szenen dabei sein, ihre Mitglieder so ernst nehmen wie nötig und ihre Protagonisten zu Wort kommen lassen. Journalisten muss klar sein, dass Hass im Netz eines der wichtigsten Tech-Themen unserer Zeit ist und wir darüber berichten müssen. Wir bei Motherboard werden das jedenfalls tun: Denn es geht um nichts anderes als die Zukunft unseres gesellschaftlichen Miteinanders.