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Das Saftigste, was der AKP-Leak bisher enthüllt hat, ist diese Grießspeise

Wir haben uns die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente etwas genauer angeschaut—und neben viel Spam die Geschichte einer lokalen Süßspeisenverkostung entdeckt.
Bild: Wikileaks | Provinzregierung Osmaniye. Die Unkenntlichmachung der Gesichter stammt von uns.

Nach diversen Verzögerungen durch DDoS-Angriffe auf die eigenen Server hat Wikileaks am Dienstagabend 294.548 E-Mails aus 792 Posteingängen mit den Anfangsbuchstaben A bis I von Erdogans Partei AKP veröffentlicht.

Das Gros des Datenbergs bilden jedoch zahlreiche Spam-Mails und Duplikate. Zieht man diese Mails ab, bleiben noch 54.121. Darunter sind zehntausende Mails, die automatisch von Infogruppen und Foren generiert und an AKP-Mitglieder oder diverse (Sammel-)Mailboxen der Partei verschickt wurden, wie eine erste Analyse von Motherboard zeigt. Schließt man die Newsletter-artigen Foren-Mails von Google Groups auch noch aus, reduziert sich der relevante Haufen auf etwas über 41.000 Nachrichten. Unter diesen Nachrichten wiederum müssten sich nun jene Mails befinden, die tatsächlich von AKP-Mitgliedern selbst verfasst wurden oder die jene politisch brisanten Enthüllungen liefern, die manche Beobachter sich vor der Veröffentlichung erhofft haben.

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Wikileaks hat den Dump auf seiner Website durchsuchbar gemacht, was eine Recherche wesentlich vereinfacht. Motherboard hat erste Spuren zu politisch umstrittenen Vorfällen verfolgt, bei denen in der Vergangenheit eigentlich geheime Geschäfte der türkischen Regierung bekannt wurden.

So finden sich beispielsweise zu dem 600.000 Dollar-Deal türkischer Behörden mit Hacking-Team, einem italienischen Anbieter von Überwachungssoftware, keinerlei E-Mails außer Artikeln in Form der bereits erwähnten automatisierten Nachrichten-Zusammenfassungen. Auch zu einem anderen Fall, bei dem ein Cyber-Sicherheitsunternehmen mit türkischen Stellen im Gespräch war, finden sich keine Spuren in den nun geleakten AKP-Mails.

Ein Blick in die mutmaßliche Whatsapp-Gruppe der Putschisten

Brisante Mails an und von Erdogan oder Anweisungen in Bezug auf eine mögliche Putschplanung in der AKP ließen sich ebenfalls auf den ersten Blick nicht herausfiltern. Aufgetaucht sind dagegen viele persönliche Dokumente von Menschen, die AKP-Posten bekleiden: Visa, Ausweispapiere, und eine Telefonliste aller AKP-Abgeordneten.

Dafür gelangen dank des Leaks nun jedoch bisher unbekannte Details über einen lokalen Grießpudding-Vorfall ans Licht.

In einem an rund 200 Adressen verschickten Dokument mit dem Allcaps-Betreff „GEMEINDE VERTEILT GRIESS-DESSERT IN DER HEILIGEN NACHT" wird die Causa Süßspeise detailliert beschrieben: Es begab sich zu einer Zeit, als die Provinzregierung der Osmaniye-Provinz einlud, um den Geburtstag des Propheten Mohammed zu zelebrieren. Tatsächlich versammelten sich am 23. Dezember 2015 dutzende Bürger vor der örtlichen Moschee, um nach der Predigt ein kostenloses Plastikschälchen mit einem scheinbar köstlichen Grießdessert (İRMİK TATLISI) zu genießen, das dort ausgegeben wurde. Angehängte Fotos zeigen, wie ein gut gekleideter Herr die nicht näher bestimmte Grießspeise an eine Gruppe Männer (und eine Frau) verteilt; auch Kinder kommen in den Genuss. Bildbeweise der spontanen Stehparty sandte ein Mitarbeiter der Pressestelle umgehend an hunderte Adressen, wohl, um die Freude der kollektiven Verspeisung mit den Parteigenossen zu teilen.

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Bild: Wikileaks | Provinzregierung Osmaniye. Die Unkenntlichmachung der Gesichter stammt von uns.

In einem ebenfalls angehängten Bericht der Provinzregierung Osmaniye heißt es zu dem Vorgang: „Der Geburtstag unseres Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) wurde heute mit Begeisterung gefeiert. (…) Bürgermeister Kader Kara und Envarul Hamid von der Großen Moschee verteilen eigenhändig Grieß-Desserts. Die Bürger von Osmaniye strömten in Scharen in die Moscheen."

Auf Twitter regt sich bereits Unmut gegen die Vertuschung dieses parteipolitisch sensiblen Ereignisses: „Ich bin sehr enttäuscht über die AKP, die haben mich nicht zu ihrer nächtlichen Versammlung eingeladen, um Nachtisch mit ihnen zu essen", schreibt eine Türkin.

Doch Information will frei sein. Die Bürger haben nun Blut geleckt und wollen die heiße Spur weiter verfolgen: „Ich habe vor ein paar Jahren das Apfelkuchenrezept meiner Oma verschickt. Habt ihr das vielleicht gefunden? #wikileaks"

Wieder andere bedanken sich freundlich bei Wikileaks für ihren nimmermüden Dienst an der Demokratie:

Thank you #wikileaks for saving our democracy with İrmik Tatlısı leak! By the way do you know what it is? @wikileaks pic.twitter.com/NP1UeglyQT
— Ismail Cesur (@icesur) [July">https://twitter.com/icesur/status/7555176310844989…](<a href=) 19, 2016

Trotz oder eben wegen dieses heißen Fundes bleiben mehr Fragen offen als beantwortet. Ist das also das größte Geheimnis der AKP? Wer hat das Rezept? Wurde der Putschversuch geplant, um an die Zutatenliste zu kommen?

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Während die Öffentlichkeit noch diskutiert, welches Grießdessert genau verteilt wurde und ob man es mit oder ohne Zitronenschale zubereiten sollte, stellt sich die Frage, wie groß Wikileaks' Beitrag zur aktuellen politischen Diskussion in der Türkei durch die Veröffentlichung der Mails tatsächlich ist.

Bild: Wikileaks | Provinzregierung Osmaniye. Die Unkenntlichmachung der Gesichter stammt von uns.

Zu dem Reiz- und Stichwort Böhmermann gibt es übrigens insgesamt neun Treffer; bei den E-Mails handelt es sich jedoch erneut nur um Ketten-Mails, Rundbriefe, Newsletter oder automatisch generierte Forenbeiträge aus einer Google Group namens „Hand in Hand für die Türkei". Sie informieren AKP-Mitglieder über die aktuelle Nachrichtenlage oder leiten bereits veröffentlichte Zeitungsartikel zum Thema weiter; so findet sich ein Artikel über das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg und eine Nachricht eines flammenden Unterstützers, der dem interessierten Publikum das Schmähgedicht im Wortlaut auf Türkisch übersetzt.

Unter den E-Mails, die tatsächlich von AKP-Abgeordneten selbst verfasst wurden, wendet sich ein Abgeordneter mit einer persönlichen, aber eher banalen Nachricht an seine Kollegen. Da sein junges Kind momentan im Krankenhaus behandelt würde, käme er leider etwas später zur vereinbarten Sitzung. Ob jemand einen Spezialisten kenne? Die E-Mail ist mit Datum und vollem Namen des Abgeordneten im Volltext durchsuchbar. Die Veröffentlichung bringt zwar keine der genannten Personen in Gefahr—wie es bei afghanischen US-Informanten der Fall war, deren Identität durch nicht ausreichend zensierte Wikileaks-Dokumente öffentlich wurde—aber dennoch bleibt die Frage: Gehören solche persönlichen Informationen veröffentlicht? Welche politisch relevanten Erkenntnisse soll die Öffentlichkeit aus den Leaks ableiten?

Wikileaks hat diesen Dump als „Teil 1 einer Serie" bezeichnet. Motherboard wird die Dokumente und die weiteren angekündigten Wikileaks-Veröffentlichungen im Auge behalten und nach relevanten politischen Geschehnissen in der Türkei durchsuchen.