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Wie Pharmafirmen dir dank Genmutationen Superkräfte verleihen wollen

Schmerzfrei über glühende Kohlen laufen oder mit dem Kopf durch die Wand brechen—diese Menschen können das dank Genmutation schon heute.
Genmutationen für übermenschlische Superkräfte. Bild: shutterstock

Es gibt ein paar Dutzend Menschen auf der Welt, die können lässig über einen Teppich aus Glasscherben schlendern oder auf einem glühenden Grill sitzen und dabei entspannt einen Gin Tonic schlürfen. Diese beneidenswert übermenschlichen Fähigkeiten schulden die Glücklichen in erster Linie einer Laune der Natur. Eigentlich eine verdammt gefährliche Laune: Denn das Schmerzempfinden schützt uns davor, extrem bescheuerte Dinge anzustellen (zugegebenermaßen nicht immer, aber es erschwert zumindest einiges).

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Steve Pete aus Südafrika ist so ein Übermensch. Als Baby kaute er sich fast seine eigene Zunge ab—erst dann entdeckten seine geschockten Eltern beim Arzt, dass ihr Sohn aufgrund einer sehr seltenen Genmutation—genauer gesagt, einer Kombination zweier Genmutationen seiner Eltern—so gut wie kein Schmerzempfinden hat. Für Pharmafirmen ist er genau deshalb ein heiß umworbener Superstar, den es zu umgarnen gilt. Sie wittern in Steve, beziehungsweise seinen Gene, eine Cashcow.

Manche Menschen haben so unglaublich dichte Knochen, dass sie selbst schwere Autounfälle unbeschadet überstehen können.

Die Firmen wollen den Effekt dieser Genmutationen imitieren und daraus neue Medikamente entwickeln—nicht immer ist ein kleiner Gendefekt mehrere Millionen Euro wert, doch wenn es sich um Superkräfte handelt, sieht die Sache schon anders aus. Könnte man mehr darüber herausfinden, wie Gene und Symptome in Verbindung stehen, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten für Therapien, die uns alle zu Superhelden werden lassen könnten.

Bild: Wikimedia Commons

Schmerzmittel beispielsweise sind eine zweischneidige Sache: Die meisten von ihnen machen süchtig (wie Opiate) oder greifen die inneren Organe an. Dass für die Schmerzunempfindlichkeit ein Gen zuständig ist, fanden Forscher eher durch Zufall heraus: Denn die Menschen, die diese Superheldenfähigkeit besitzen, sind rar gesät—einer von ihnen war erst 10 und verdingte sich als Straßenkünstler in Pakistan mit kleinen Stunts, bevor seine DNA von Forschern analysiert und das Gen identifiziert wurde.

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Es gibt noch andere Superhelden-Skills, hinter denen die Entwickler neuer Medikamente her sind: Manche Menschen haben so unglaublich dichte Knochen, dass sie selbst schwere Autounfälle unbeschadet überstehen können.

Genau das möchten sich die Pharmafirma Amgen nun für ein neues Medikament gegen Osetoporose zunutze machen: Für die seltene Sketlettmutation namens Sklerosteose (die mehr Knochen wachsen lässt als üblich) ist ein Gen verantwortlich—ein perfektes Gegengewicht zu spröden Knochen, an denen viele ältere Menschen leiden.

Der automatische Knochenaufbau kann nicht nur auf der Erde Vorteile haben: Denn während der Raumfahrt leiden viele Astronauten bei längeren Missionen an einem Verlust der Knochenmasse. Die NASA hat das halb entwickelte Medikament schon mit Mäusen an Bord des Spaceshuttles Atlantis getestet—es funktionierte, nun sollen klinische Studien folgen.

Für die genbasierten neuen Mittel brauchen die Forscher aber zunächst mal Daten. Sehr viele Daten. Firmen wie das Google-finanzierte Unternehmen Calico oder 23andMe wollen unsere Gene auf Familienkrankheiten testen (und haben die Phänotypisierung bereits bei über einer Million Kunden durchgeführt). Denn die ist spottbillig geworden: Lagen die Kosten für die erste Genomsequenzierun noch bei 3 Milliarden US-Dollar, kann man die DNA eines Patienten heutzutage für 1000 Dollar analysieren. Ein bisschen Spucke auf einem Papier genügt. Im Versuch, auf der Jagd nach seltener DNA an größere Datensätze zu kommen, hat Amgen zum Beispiel für 415 Millionen Euro eine isländische Gentechnikfirma gekauft, die mit einem gigantischen DNA-Datensatz von über 50 Prozent aller Isländer aufwarten kann.

Seltene Gene sind ein Schatz, nach dem aber längst nicht mehr nur Pharmafirmen jagen: Im Gegenteil, unsere DNA ist das nächste große Sammelprojekt der Tech-Riesen. Nachdem diese bereits unsere Daten haben, unsere Surfgewohnheiten, die Orte, an denen wir uns aufgehalten habe, unseren Musikgeschmack kennen, und so viele Bilder, dass uns der Algorithmus von Facebook sogar von hinten erkennen kann, ist unsere DNA der nächste logische Schritt zu mehr wertvoll vermarktbarer Information, die mittels Big Data gesammelt, verknüpft und ausgewertet werden kann. Übermenschlichkeit hat eben auch ihren Preis.