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Nobelpreisträger hält weibliche Forscher für liebeshungrige Heulsusen

Experimentelle Einsichten von Tim Hunt: Wenn Labore nach Geschlechtern getrennt wären, würde die Wissenschaft viel produktiver arbeiten. Das sagte er vor einer Konferenz erfahrener Wissenschaftlerinnen, die ihn nach Korea eingeladen hatten.
Findet Frauen schon gut, vor allem, wenn sie „Mittagessen machen": Tim Hunt. Bild: Wikimedia Commons, Materialscientist | GFDL

Frauen sind liebeshungrige Heulsusen und sollten möglichst im Labor unter sich bleiben, damit sie Männer nicht bei der Arbeit stören. Diese Ansichten kommen leider nicht von Karl Arsch vom Speicher im 18. Jahrhundert, sondern von Nobelpreisträger Tim Hunt—der sie vorgestern bei einer von Forscherinnen veranstalteten Gesprächsrunde in Korea zum Besten gab.

„Lassen Sie mich von meinen Problemen mit den Mädchen erzählen", sagte der 72-jährige bei einer Tischrede in die Runde. „Drei Sachen passieren, wenn sie im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu weinen."

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Auch in Teilen der Gamerwelt gibt es ein Sexismusproblem—erinnert ihr euch noch an #Gamergate?

Nachdem sich wohl die ersten Zuhörerinnen an seinen Worten verschluckten, legte er nochmal nach: „Ich bin eindeutig für geschlechtergetrennte Labore." Aber—so schob er reichlich unnütz noch hinterher—er wolle natürlich in keinem Fall Frauen im Weg stehen. Klar.

Die Aussagen gab Hunt während eines Mittagessens in Seoul im Rahmen der World Conference of Science Journalists von sich. Es gibt zwar keine Aufzeichnung der Rede, aber mehrere Anwesende berichten übereinstimmend auf Twitter, dass die Aussage so gefallen sei. Hunt adressierte während seines „Toasts" eine Versammlung erfahrener Forscherinnen und Wissenschaftsreportinnen, die anschließend pflichtbewusst noch einmal nachhakten, wie die Journalistin Deborah Blum—das solle doch sicherlich ein schlechter Witz gewesen sein? Nope:

@ElaineDowns1 @AdamRutherford He did tell me that he thought I might hold up okay because I didn't seem the crying kind.
— Deborah Blum (@deborahblum) June 9, 2015

Das Essen dürfte Hunt immerhin gefallen haben. Einleitend hatte er noch schnell den Wissenschaftlerinnen „für's Mittagessen machen" gedankt und sie—als sei das eine Entschuldigung— fröhlich gewarnt, er sei ein chauvinistisches Schwein. Offensichtlich wollte er dann die letzten Zweifel daran ausräumen.

Die Royal Society, bei der Hunt Mitglied ist, beeilte sich, sich von seinen Aussagen zu distanzieren: „Hunts Kommentare spiegeln nicht unsere Ansichten wider". Und sie veröffentlichte ein etwas defensiv klingendes Statement: „Wir glauben, dass die Wissenschaft die Forschungskapazitäten der Gesamtbevölkerung ausschöpfen muss, um das Bestmögliche zu erzielen. Zu viele talentierte Menschen erreichen ihr wissenschaftliches Potential aufgrund von Hindernissen wie ihres Geschlechts nicht, und die Royal Society ist entschlossen, dies zu ändern."

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„Man müsste sich mal fragen, warum die Unterrepräsentation von Frauen in Leitpositionen überhaupt ein Problem ist."

Hunt hatte den Nobelpreis 2001 in der Kategorie Medizin und Physiologie gewonnen, weil er Proteinmoleküle entdeckt hatte, die die Zellteilung steuern. Hunts Frau Mary Collins leitet ein renommiertes Labor für die Forschung an Gentherapieansätzen zur Krebsheilung am University College of London. Zudem hat Hunt zwei Töchter.

Nichtsdestotrotz gab er bereits im vergangenen Jahr der Zeitschrift Lab Times ein Interview, in dem er zweifelsfrei demonstrierte, auch die einfachsten Dinge menschlicher Umgangsformen nicht verstanden zu haben:

„Man müsste sich mal fragen, warum die Unterrepräsentation von Frauen in führenden Ppositionen überhaupt ein Problem ist. Ist das überhaupt schlecht? Irgendwie ist das für mich nicht offensichtlich… ist das schlecht für Frauen? Oder schlecht für die Wissenschaft? Oder für die Gesellschaft? Ich weiß nicht, aber irgendwie scheint es die Menschen ja sehr zu beschäftigen…"

The @royalsociety has just released a photo of Nobel Prize winner Tim Hunt's UCL laboratory. Now it ALL makes sense! pic.twitter.com/P4c0T9nRZS
— Leslie Vosshall (@pollyp1) June 10, 2015

Sexismus ist noch immer ein viel zu weit verbreitetes Problem für Wissenschaftlerinnen. Dass die Wissenschaft ein massives Sexismusproblem hat, beweisen nicht nur Statistiken über Frauen in führenden Positionen in der Forschung, sondern auch einzelne Anekdoten. Wie auf Daily Beast gut zusammenfasst, scheint der Nobelpreisträger nicht der einzige zu sein, der sich mit dem massiven Sexismusproblem in der Wissenschaft kuschelig eingerichtet hat: Vergangene Woche erst hatte die kalifornische Biologin Alice C. Huang ein bisschen praktische Lebenshilfe in einer Kolumne für uns, die direkt aus den 50er Jahren abgeschrieben zu sein schien: Sich einfach „damit abfinden", wenn der Mentor dir in den Ausschnitt starrt, riet sie Nachwuchs-Forscherinnen. „Mit ein bisschen guter Laune geht das."

Und der Evolutionsgenetikerin Fiona Ingleby wurde nach Einreichung ihres Papers für ein Journal kurz darauf vorgeschlagen, sie solle sich doch einen Mann als Ko-Autor suchen: Als Frau habe sie ja inhärente Vorurteile, die nur ein Mann objektiv lösen könnte.

Sogar die New York Times konnte sich einer Extraportion unbewusstem Sexismus nicht erwehren, wenn sie einen Nachruf für die kürzlich verstorbene, renommierte Raketenwissenschaftlerin Yvonne Brill mit einem Zitat ihres Sohnes so begann: „Sie hat ein super Beef Stroganoff gemacht, ist ihrem Mann von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle gefolgt und hat sich acht Jahre freigenommen, um ihre Kinder großzuziehen. Die beste Mama der Welt!" (Die Times hat das zweifellos fantastische Beef Stroganoff mittlerweile nach Kritik im Netz durch einen Hinweis auf Brills Karriere als Raketenwissenschaftlerin ersetzt.)

Die andauernde Debatte fand ein rührendes Intermezzo, als sich der Missionsleiter der Rosetta-Mission, Matt Taylor, schniefend für sein geschmacksverirrtes Hemd mit halbnacktem Frauen-Print entschuldigte, das er während der im Fernsehen übertragenen Rosetta-Landung trug. Die tränenreiche Entschuldigung sprudelte übrigens ungefragt aus dem Forscher, als eine Moderatorin ihm eine Frage zum Verlauf seiner Mission gestellt hatte: „Das Hemd, das ich diese Woche getragen habe—ich hab einen riesigen Fehler gemacht und eine Menge Leute beleidigt. Ich möchte mich entschuldigen", sagte der Rosetta-Missionsleiter unter Tränen. Auf eine derartige Einsicht werden wir bei Hunt wohl noch ein Weilchen warten müssen.