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Das Utopie-Gadget: „Fairphone ist kein Smartphone, sondern eine soziale Mission“

Wie der Fairphone-Macher Miquel Ballester den Smartphone-Markt ökologischer und sozialer machen will—und warum Berlin die Hauptstadt des Fairphones ist.
Miquel Ballester präsentiert das Innere eines Fairphone 2. Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben): Peter Jelinek.

Seit dem 16. Juli laufen die Vorbestellungen für das Fairphone 2, ein Smartphone mit dem Anspruch, ethisch, sozial und ökologisch zu sein. Die Macher wollen mit ihrem Gerät die Welt verbessern—sie setzen dafür auf Transparenz und appellieren an das Gewissen der Käufer. Das holländische Unternehmen will nicht weniger als „das System Smartphone verändern", wie Miquel Ballester gegenüber Motherboard die Firmenphilosophie umschrieb, mit der sein Unternehmen dafür sorgen will, dass der Markt für Smartphones fairer wird.

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Konfliktmineralien wie Coltan und Tantal sind wichtige Bausteine für die Elektronik-Industrie. Im Grenzgebiet zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo liegt ein Großteil der Rohmaterialien, die für Kondensatoren, Leiter und Prozessoren benötigt werden. Gewonnen werden die Mineralien zumeist unter menschenunwürdigen Bedingungen. Der globale Hunger nach neuen Gadgets füllt auch die Kriegskassen der Warlords.

Der Vice Guide to Congo—Unsere Dokumentation über das Epizentrum der Blutmineralien

Allein im Jahr 2014 wurden weltweit mehr als zwei Milliarden Handys und Smartphones im Wert von mindestens 300 Milliarden Euro verkauft. Diese Zahlen sind die Spitze einer rasanten Entwicklung, die vor allem Mitte der 90er Jahre Fahrt aufnahm. Zu dieser Zeit eskalierte in Zentralafrika ein alter Konflikt, der bis heute andauert und bislang über fünf Millionen Menschenleben forderte. Die „Kongokriege" zählen zu den gewalttätigsten Auseinandersetzungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Handyboom und die blutigen Kämpfe sind unmittelbar miteinander verknüpft.

Ich kann nicht behaupten, dass das Fairphone heute zu 100% sozial und ökologisch fair ist. Aber wir versuchen es mit Transparenz.

Auch wenn es den Käufern einfach gemacht wird, das zu vergessen, klebt an vielen Stationen in der Herstellungskette Blut. Allerdings gibt es kaum Alternativen zu diesen Mineralien. Gleiches gilt für die billigen Produktionstandorte in Asien, die im globalen Wettbewerb nahezu alternativlos scheinen und in denen unter harten Bedingungen in extrem langen Schichten gearbeitet wird—und trotzdem stehen zahlreiche Bewerber Schlange für die Jobs. Die Herstellungskette von Smartphones sozialer, fairer und sauberer zu gestalten, ist tatsächlich ein nahezu utopisches Unterfangen.

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Fairphone, das niederländische Sozialunternehmen, will zumindest "saubere" Stoffe verwenden und sie unter fairen Bedingungen zusammenbauen. Dafür setzt es vor allem auf Nachvollziehbarkeit und eine Transparenz in der Lieferkette, die andere größere Hersteller nicht bieten. Alles angefangen hatte mit einer Crowdfunding-Kampagne im Jahr 2010. Drei Jahre später wurden 60.000 Exemplare des Fairphone 1 ausgeliefert.

Miquel Ballester ist für die Produktstrategie von Fairphone veranwortlich. Wir haben mit ihm auf dem Berliner Tech Open Air über seine Firmen-Vision gesprochen, was genau sein Unternehmen anders macht und wer eigentlich die Kunden für sein Produkt sind.

Motherboard: Ist ein faires Telefon nicht auch einfach nur ein weiteres Gadget? Wie können faire Telefone die Welt verändern?

Smartphones und Mobiltelefone gehören zu den bedeutendsten Produkten unserer Zeit. Kaum etwas ist persönlicher. Jedes Kind weiß, wie man sie benutzt. Aber ansonsten wissen wir nichts über sie. Nicht, wie sie hergestellt wurden, was für Teile drin stecken, wo sie zusammengebaut wurden.

Die sozialen und ökologischen Probleme der Elektronikindustrie sind bekannt, werden aber meist verdrängt. Das Smartphone ist daher eine wunderbare Metapher für unseren Umgang mit den Problemen der Welt.

Und warum ist das Fairphone 2 eine Alternative?

Ein faires Telefon ist etwas, was es bislang noch nicht gegeben hat. Daher ist das Fairphone mehr als nur ein Telefon.

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Das erste Fairphone entstand aus einer Kampagne heraus. Wir wollten neue Struktur-, Wertschöpfungs- und Lieferketten, die nachvollziehbar sind. Ich kann nicht behaupten, dass das Fairphone heute einhundertprozentig sozial und ökologisch fair ist. Aber wir machen unsere Partner sichtbar. Wer beliefert uns, wie sind die Bedingungen, woher stammen die Teile, wie funktioniert die Lieferkette? Das klingt nicht besonders innovativ, ist es aber, wenn man die Realität kennt. Ich persönlich bin ein Anhänger der Open Source-Bewegung. Nach diesem Prinzip der Transparenz arbeitet auch das Fairphone.

Es geht um die Idee, die hinter dem Produkt steckt—eine soziale Mission. Das Fairphone steht für einen Wertewandel.

Das Fairphone 2 setzt auf ein modulares Design, um die Langlebigkeit des Gadgets zu erhöhen. Bild: Fairphone. FlickR / Lizenz:BY-NC SA

Technisch ist es aber nicht auf dem Stand von anderen Smartphones. Die Nutzer müssen also zwischen fair und gut wählen?

Ich würde das anders formulieren. Es ist eine Frage der eigenen Wertschätzung von verschiedenen Dingen. Welche Werte verstecken sich denn hinter dem Wunsch, ein ganz besonders dünnes, ein ganz besonderes schönes oder das allerbeste Telefon besitzen zu wollen? Das sind konstruierte Werte. Das Fairphone steht für andere Werte: für eine Bewegung, für Veränderung.

Eine europäische Blase ändert nichts daran, dass einzelne Länder wie Ghana in unserem Elektroschrott versinken.

Was kann das Fairphone 2?

Wir haben den Fokus auf das Design und die Haltbarkeit des Gerätes gelegt. Smartphones sind sensible Alltagsgegenstände. Streng genommen sind sie gar nicht dafür designt, wofür wir sie benutzen. Und darin liegt ja genau ihre Schwäche. Sie fallen runter, werden nass, jeder kennt das ja. Um die Lebensdauer zu verlängern, kann man beim Fairphone einzelne Teile ausbauen, den Bildschirm zum Beispiel. Auch die Teile, die hoher mechanischer Belastung ausgesetzt sind, können ausgetauscht werden.

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Das Fairphone wird in China produziert, zusammengebaut mit Teilen aus der ganzen Welt, bevor sie in Europa verkauft werden. Ist es nicht möglich, noch regionaler zu arbeiten? Mit einer europäischen Fabrikation und wirklich nachhaltigen Rohstoffen?

Ich halte das nicht für machbar. Oder nur mit sehr viel Geld, das wir nicht haben. Außerdem ist der Handel nun einmal global.

Eine europäische Blase würde nichts dran ändern, dass einzelne Nationen wie Ghana in unserem Elektroschrott versinken. Oder an den Bestandteilen Zinn, Coltan und Tantal, die oftmals unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert werden und blutige Kämpfe finanzieren. Das System ist vorhanden, wir wollen es verändern.

Wer sind eigentlich die Käufer des Fairphones?

Beim Fairphone 1 stand im Vordergrund, das Produkt überhaupt erst einmal zu realisieren. Jetzt beginnen wir, genauer hinzuschauen. Die meisten Anfragen kommen aus den Niederlanden und den deutschsprachigen Ländern. Und Berlin ist die Hauptstadt der Fairphones.

Wenn die großen Marken eurer Firmenvision folgen sollten, droht das Fairphone dann nicht überflüssig zu werden?

Wir haben aus einer Kampagne heraus ein Unternehmen mit nun schon 35 Angestellten aufgebaut. Der Großteil von uns sind keine Wirtschaftleute, sondern Sozialwissenschaftler, Konfliktforscher, Macher, Programmierer. Wir kommen fast alle aus der Open Source Community, diese DNA steckt im Fairphone. Wir laden dazu ein, unseren Weg mitzugehen. Es geht um die Idee und nicht um das Telefon.