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Der Drohnenkriegsveteran

„Ich wollte ein Held sein, aber sie haben einen Mörder aus mir gemacht.“

Brandon Bryant im Interview mit Motherboard. Bild: Motherboard

Deutsche Untertitel können im Video-Player rechts unten ausgewählt werden.

Es ist noch keine 15 Jahre her, dass erstmals ein Mensch von der Rakete einer Kampfdrohne getötet wurde. Als die USA im Jahr 2001 in den Krieg gegen den Terror zogen, schienen Drohnen die effizienteste Waffe auf der Jagd nach ihren Gegnern zu sein. Die unbemannten Flugsysteme haben einen weiteren entscheidenden Vorteil: Die Piloten, die die Drohnen steuern, sitzen tausende Kilometer von der Front entfernt, in der Sicherheit eines behaglichen Containers in der Wüste Nevadas oder New Mexicos.

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Doch Drohnenpiloten sind nicht unverletzlich. Auch der Krieg mit dem Joystick hinterlässt tiefe Wunden, wie Brandon Bryant am eigenen Leib erfahren musste. Er hat fünf Jahre als Drone Operator für die US Air Force gedient und tausende von den USA ausgemachte Gegner in Pakistan und Jemen getötet, nachdem er sie zuvor teils wochenlang am Bildschirm beobachtet hatte. Am Ende wäre er fast daran zerbrochen. Kurzzeitig dachte er an Selbstmord, noch heute leidet er unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung.

„Ich wollte ein Held sein, aber sie haben einen Mörder aus mir gemacht."

Zum Ende seines Fünfjahres-Vertrags überreichte ihm die US Air Force feierlich eine Scorecard wie bei Call of Duty: Sie haben 1,626 Menschen getötet oder waren an deren Tötung beteiligt. „Ich wollte ein Held sein, aber sie haben einen Mörder aus mir gemacht", sagte Bryant kurz vor unserem Interview in Berlin.

Was passiert mit dem Drohnenkrieger, wenn die Achtstundenschicht vorbei ist? Bild: Wikimedia Commons | US Air Force

Der asymmetrische Drohnenkrieg verändert auch unsere Wahrnehmung von Krieg fundamental. Noch im Vietnamkrieg konnten die heimkehrenden Soldaten den Menschen zu Hause vom Schrecken der Front berichten. Sie wurden zu Helden und sogar zum Motor der Friedensbewegung. Das Problem der neuen Generation von Veteranen: Ihre Leistung und ihr Leiden ist schwer greifbar und wird kaum öffentlich anerkannt.

Ein Großteil von Brandons Verwandten und Freunden kann bis heute nicht verstehen, wie sehr die Einsätze im Container an ihm zehren konnten. Er, der „Nintendokrieger", solle sich zusammenreißen—er wäre ja noch nicht mal im Kampfgebiet gewesen. Nach seiner Rückkehr vom Dienst ging darüber schließlich auch seine langjährige Beziehung in die Brüche.

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Interview mit dem Technikphilosophen Grégoire Chamayou: Wie der Drohnenkrieg unsere Wahrnehmung der Welt verändert

Studien zeigen jedoch, dass immer mehr US-Soldaten aus ihrem Dienst im Drohnenkrieg mit posttraumatischen Belastungsstörungen zurückkehren. Und natürlich ergeben sich moralische Komplikationen aus dem Töten in 8-Stunden-Schichten: Der Terrorismus-Verdächtige hat keine Chance zur Verteidigung, der Pilot weiß kaum etwas über seine Ziele. Er tötet sie hinterrücks und soll am Ende des Tages wieder in der Gesellschaft funktionieren, als sei nichts gewesen. Es ist kein Wunder, dass sich ein Drohnenkrieger wie Brandon wie ein Feigling vorkommt, der nach Algorithmen Menschen am anderen Ende der Welt abknallt.

Die Bundeswehr will endlich eine eigene Kampfdrohne

Auch wenn der Umgang mit der neuen Generation von Kriegswaffen längst noch nicht geklärt ist, so bemüht sich die Bundeswehr schon lange um eine eigene Kampfdrohne in ihrem Hangar.

Nach den verlorenen Millionenbeträgen im 13-jährigen Desaster um den EuroHawk soll es in spätestens zehn Jahren dank eines neuen europäischen Entwicklungsprojekts endlich soweit sein. Dann werden die deutschen Streitkräfte Drohnen nicht nur zur Luftaufklärung einsetzen, sondern auch gezielt Menschen aus der Luft verfolgen, beobachten und töten.

Bild: Brandon Bryant | Mit freundlicher Genehmigung

Eine mit Hellfire-Raketen bestückte Predator-Drohne im Flugeinsatz über dem Süden Afghanistans. Bild: Wikimedia Commons, U.S. Air Force | Gemeinfrei

Während sich die Bundeswehr spätestens seit dem Afghanistan-Feldzug in vorher ungekanntem Ausmaß an Auslandseinsätzen beteiligt, steht die deutsche Bevölkerung solchen Einsätzen noch immer sehr skeptisch gegenüber. Mit einem Drohnenprogramm soll auch der innenpolitische Druck abnehmen, den jeder getötete deutsche Soldat bedeutet.

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Deutschlands Rolle im Drohnenkrieg

Dabei spielt Deutschland schon heute eine fundamental wichtige Rolle im Drohnenkrieg der USA, der nicht vor Grenzen Halt macht: Alle US-Drohnenschläge in Afrika, in Pakistan und Jemen werden über das Datencenter in Ramstein in Rheinland-Pfalz abgewickelt, wie Brandon in unserem Interview erklärte: „In den fünf Jahren und fünf Tagen, in denen ich im Drohnenprogramm gedient habe, gab es keinen einzigen Einsatz, für den ich nicht vorher Ramstein kontaktiert habe. Ich musste jedes Mal mit ihnen klären, ob unser Signal verfügbar und sauber ist."

Damit bestätigt Brandon auch, was die jüngst von Spiegel und The Intercept veröffentlichten Dokumente zeigen: Per Glasfaserkabel ist die Airbase auf deutschem Boden direkt mit den Piloten in den USA verbunden. Deutschland ist das Herz des Drohnenkriegs. In Ramstein werden zudem 24 Stunden am Tag Live-Bilder der Drohnen von Analysten ausgewertet. Ohne Ramstein würden die Echtzeitbilder aus den Kampfgebieten im Nahen Osten die USA mit einer zu großen Latenz erreichen, um ihr Ziel treffen zu können. Ohne Ramstein wären die Piloten blind.

Somit duldet die Bundesregierung die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der Vereinigten Staaten in Ländern, denen nie der Krieg erklärt wurde. Trotzdem möchte die deutsche Politik sich mit diesem Krieg nur sehr ungern beschäftigen—schon gar nicht, wenn es um unangenehme Fragen an den transatlantischen Bündnispartner geht. Was in Ramstein los ist, darüber gibt die Bundesregierung sich ahnungslos und wiederholt Obamas Zusicherung: Drohnen würden von Deutschland aus nicht gestartet. Doch diese Frage stellte sich nie. Natürlich sind die Drohnen nah am Einsatzgebiet stationiert—zum Beispiel auf abgelegenen Flugplätzen in Saudi-Arabien oder in dem kleinen afrikanischen Land Dschibuti.

„Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium plädieren hingegen dafür, Druck aus Parlament und Öffentlichkeit 'auszusitzen'."

Doch der aufwändige Datenhub, das Analysecenter und die Satellitenanlage in Ramstein sind ohnehin der wichtigere Knotenpunkt für Drohnenschläge. Die Flugzeuge können zwischen den vielen Flugfeldern auf der Welt wechseln, aber die Datenverarbeitung und Auswertung wird noch immer an nur einem Ort in Europa geregelt (auch wenn die US-Army in Italien inzwischen eine zweite Anlage „als Backup" baut).

Kurz vor Obamas Berlin-Besuch 2013 wollte die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt eine verbindliche Aussage von Washington erreichen: Deutschland solle zugesichert werden, dass US-Stellen in Deutschland sich nicht an „illegalen Tötungseinsätzen" beteiligen würden. Doch sie wurde überstimmt, wie ein interner Vermerk verlauten lässt: „Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium plädieren hingegen dafür, Druck aus Parlament und Öffentlichkeit 'auszusitzen'." (Wer starke Nerven hat, kann das Plenarprotokoll der entsprechenden Bundestagsdebatte nachlesen, um zu erfahren, mit welcher Strategie sich Ralf Brauksiepe aus dem Verteidigungsministerium an unangenehmen Fragen mehr oder weniger elegant vorbeischlängelt.)

Auch wenn jedem klar sein dürfte, dass Drohnen—15 Jahre, nachdem der Krieg gegen den Terror ausgerufen wurde—kaum als Allheilmittel dienen können, so sind sie noch immer das vielleicht verlockendste Versprechen moderner Kriegsführung. Doch die Realität der modernen asymmetrischen Kriegsführung ist kompliziert. Wir dürfen die schrecklichen Kollateralschäden dieses Kriegs nicht ignorieren. Das mahnt uns das Schicksal von Veteranen wie Brandon Bryant und die ungezählten zivilen Opfer der doch angeblich präzisesten Kriegswaffe des 21. Jahrhunderts.