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DIE „CHANCENGLEICHHEIT, MY ASS“-AUSGABE

Buschliga-Rebellen

KONY 2012 wurde zwar stark kritisiert, da der Film eine Rebellengruppe in den Mittelpunkt rückte, die sich zum Zeitpunkt des Filmstarts bereits größtenteils aufgelöst hatte, doch es gibt zahllose rebellierenden Gruppen im Kongo. Hier gibt es einen...

Die gefürchtete National Police posiert in Dungu vor unseren Kameras.

An meinem ersten Tag als Embedded Journalist bei der UN-Stabilisierungstruppe in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) besuchte ich ein Lager in der Stadt Goma, in dem Rebellenkämpfer untergebracht waren, die sich erst kürzlich ergeben hatten. Das Lager war nach ethnischen und administrativen Kriterien unterteilt, aber die Kämpfer der Hutu und der Tutsi, die seit Jahrzehnten Blutbäder untereinander anrichten, trennte nur ein Maschendrahtzaun. Im Lager lebten neben den von Narben übersäten, hageren jungen Kämpfern auch Dutzende Frauen—„Buschfrauen“ wie man uns erklärte—und ihre Kinder, die alle im Dschungel geboren waren. Die meisten dieser Frauen waren entführt und zu Sex- und Arbeitssklavinnen gemacht worden. Sie wurden von ihren Entführern zum Kochen und Ausbessern der Kleidung gezwungen und dienten ihnen außerdem als Trägerinnen.
Ich wusste bereits von meinen UN-Ansprechpartnern, dass meine Reportage mit Argwohn betrachtet wurde. Bei Sam, dem Pressesprecher des Lagers, erkundigte ich mich, aus welcher Entfernung ich Fotos schießen durfte. „Mach ruhig deine Fotos“, sagte er. „Aber bitte keine von den Kindern.“ Goma ist die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, DR Kongo, und liegt geopolitisch betrachtet in einer der schlimmsten Regionen der Welt. Südöstlich von Goma ist die Grenze zu Ruanda, ein gebirgiger Dschungel, den 1994, nach dem Völkermord in Ruanda, zahlreiche militante Hutu durchquerten, um sich einer Bestrafung für die von ihnen verübten Massaker an den Tutsi zu entziehen. Diese bewaffneten Einwanderer waren im Laufe des folgenden Jahrzehnts unmittelbar an der Eskalation der Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen beteiligt. Im ersten und zweiten Kongokrieg wurden Schätzungen zufolge fünf Millionen Menschen ermordet. Im Nordosten Gomas, der West-Nil-Region, drangen währenddessen schwer bewaffnete, Acholi sprechende Fanatiker aus Uganda über die Grenze tief in das Territorium der DR Kongo vor, wie Joseph Kony und seine Lord’s Resistance Army (LRA). Die durch den von Invisible Children produzierten Dokumentarfilm KONY 2012 inzwischen weltweit berüchtigten Rebellen gingen dort extrem unbarmherzig vor und trieben unter anderem Dorfbewohner in Kirchen zusammen, bevor sie diese bis auf die Grundmauern abbrannten.

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Ex-Kämpfer der FDLR, Buschfrauen und ihre Kinder werden vor der Aufnahme in ein UN-Durchgangslager in Goma, Nord-Kivu, registriert.

KONY 2012 wurde zwar stark kritisiert, da der Film eine Rebellengruppe in den Mittelpunkt rückte, die sich zum Zeitpunkt des Filmstarts bereits größtenteils aufgelöst hatte, doch ethnische Konflikte gehören in der DR Kongo weiterhin zur Tagesordnung, obgleich sie etwas anderer Natur sind. Die ethnischen Spannungen verstärken lange bestehende Konflikte über die Kontrolle des illegalen Abbaus von Zinnstein, Wolframit, Coltan und anderen Mineralien, die zur Herstellung verschiedenster Produkte—von Smartphones über Airbags bis zu Düsentriebwerken—wesentlich sind. Diese Auseinandersetzungen tragen zur Erneuerung der Feindseligkeiten zwischen den zahlreichen aus- und inländischen Hutu- und Tutsi-Milizen bei. Neben der mittlerweile zersplitterten LRA haben weitere militante Gruppen die DR Kongo zu ihrem Operationsgebiet auserkoren. Dazu gehören die Mai Mai, die Raia Mutomboki und die Democratic Forces for the Liberation of Rwanda (FDLR)—Namen, so irritierend wie das durch Justin Biebers Stimme in deinem Körper ausgelöste Kribbeln. Doch die Stabilität der Region wird möglicherweise am stärksten durch die M23 (Bewegung des 23. März) gefährdet, eine hauptsächlich aus kongolesischen Tutsi bestehende Gruppe, die sich im vergangenen April nach eigenen Angaben wegen des „hohen Maßes an Korruption“ und der „schlechten Regierungsführung“ in der DR Kongo von der Regierungsarmee abspaltete. Seitdem sind nahezu eine Viertelmillion Menschen infolge der von der M23 verübten Gewalttaten vertrieben worden. Auf ihr Konto gehen mindestens 15 Morde und 46 Vergewaltigungen (unter den Opfern waren laut Human Rights Watch auch achtjährige Mädchen). Ehemals ein Zufluchtsort für all jene, die den ethnischen Konflikten in Ruanda zu entkommen versuchten, gehört die DR Kongo heute zu den afrikanischen Staaten, deren Einwohner wünschten, sie könnten aus ihrem Land fliehen. Das Lager in Goma ist ein Spiegelbild der schwer durchschaubaren, geopolitischen Unruhen in der DR Kongo. Um in das Lager aufgenommen zu werden, müssen sich die Kämpfer zuerst ergeben und ihre Waffen den UN oder den Regierungstruppen aushändigen, bevor sie den Registrierungsprozess durchlaufen und anschließend 72 Stunden festgehalten werden. Ein Teil der Lagerbewohner besteht aus Flüchtlingen aus Ruanda, die sich einer Miliz angeschlossen hatten, Söldner wurden und nun nach Hause zurückkehren möchten. Eine andere Gruppe umfasst Kongolesen, die für lokale Hutu- oder Tutsi-Milizen kämpften, bevor sie sich ergaben. Unter ihnen sind auch eine Reihe ruandischer Bauern, die sich als ehemalige Rebellen ausgeben, um den kostenlosen Rücktransport der UN über die Grenze zu nutzen. UN-Mitarbeiter versorgen sie mit Kleidung und knallbunten Plastiksandalen. Um ihren Status sowie ihre Identitäten und Herkunftsländer zu ermitteln, werden die Lagerinsassen über lokale Gegebenheiten ausgefragt, man nimmt ihnen Fingerabdrücke ab und führt Retina-Scans durch. Das Lager ist Teil eines UN-Programms zur Wiedereingewöhnung von Rebellen in das Zivilleben und zur Reintegration in die Gesellschaft—oder das, was davon übrig ist.

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Zeugen und Überlebende der durch die LRA in Dungu verübten Gräueltaten 

„Viele dieser Menschen kamen in die DR Kongo, um nach dem Konflikt in Ruanda bessere Lebensbedingungen zu finden“, berichtete Sam. „Aber da sich die Lage hier gerade ändert, wollen sie wieder nach Hause.“ Die verschiedenen in der DR Kongo tätigen NGOs und Regierungsbehörden müssen ständig zwischen Schaden und Nutzen ihres Engagements abwägen. Die wichtigste Einrichtung ist MONUSCO—die UN-Stabilisierungsmission in der DR Kongo. MONUSCO wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen, nachdem der UN-Sicherheitsrat beschlossen hatte, dass eine militärische Lösung notwendig sei, um das Land nach dem Zweiten Kongokrieg zu stabilisieren. Gemäß der entsprechenden UN-Resolution umfasst die Truppe „maximal 19.815 Mann militärisches Personal, 760 militärische Beobachter, 391 Polizeibeamte und 1.050 Mitglieder geschlossener, bewaffneter Polizeihundertschaften (FPU)“. Die MONUSCU muss nicht nur inländische Rebellen unter Kontrolle bringen, sondern auch der ausländischen Truppen Herr werden, die in den entlegenen, ländlichen Gebieten der DR Kongo Stützpunkte aufgebaut haben. Die Abteilung Entwaffnung, Demobilisierung, Repatriierung, Reintegration und Neuansiedlung (kurz DDRRR) der MONUSCO verfolgt das Ziel, „… alle illegalen, ausländischen bewaffneten Gruppen und ihre Angehörigen auf freiwilliger Grundlage aus der DR Kongo in ihre jeweiligen Herkunftsländer zurückzuführen und zu repatriieren“. Keine einfache Aufgabe für eine Truppe, die nur halb so stark ist wie das New York Police Department und ein Gebiet in der Größe Westeuropas kontrollieren soll; ein Gebiet ohne jegliche Infrastruktur, in dem jeder eine AK-47 plus Munition zum Preis eines Huhns erstehen kann. Die Abteilung DDRRR arbeitet nicht nur mit Stammesführern, Ältesten und Gemeindevorstehern zusammen, sondern lanciert auch Psyops-Kampagnen, um Rebellenkämpfer dazu zu bewegen, sich von den jeweiligen Milizen abzusetzen. Die Botschaften werden über FM-Radioübertragung und Flugblätter verbreitet, die über den Kampfzonen abgeworfen werden. Letztere zeigen in Form comicstripartiger Zeichnungen, wie die Kämpfer aus dem Dschungel fliehen und wieder Teil der Zivilgesellschaft werden können. Währenddessen eskalierten die Kämpfe zwischen der M23 und der Regierungsarme derart, dass die MONUSCO zur Unterstützung der Regierungskräfte Truppen und Ressourcen aus anderen Teilen des Landes abziehen musste, wo diese jedoch dringend gebraucht wurden. Das dadurch erzeugte Sicherheitsvakuum nutzten zahlreiche bewaffnete Gruppen in der Gegend umgehend, um alte, nie endgültig beigelegte Stammesfehden erneut zu entfachen. So attackiert zum Beispiel die größtenteils aus Hutu bestehende FDLR zusammen mit einer weiteren bewaffneten Gruppe, der Nyatura, Dorfbewohner, die sie für Tutsi-Sympathisanten halten. Raia Mutomboki, eine hauptsächlich aus kongolesischen Tutsi bestehende Miliz, massakriert ethnische Hutus unter dem Vorwand, die lokale Bevölkerung vor Angriffen derselben schützen zu wollen. Außerdem geht man überall davon aus, dass die ruandische Regierung die M23 unterstützt—was die Situation nicht gerade vereinfacht. Als Sam mich durch den M23-Teil des Durchgangslagers in Goma führte, merkte ich schnell, dass kein MONUSCO-Mitarbeiter bereit war, über den verwirrenden Dreifrontenkrieg zwischen den aufständischen M23-Tutsi, MONUSCO und der Regierungsarmee zu sprechen. Sie gaben jedoch umso bereitwilliger Auskunft über andere, zurzeit weniger aktive bewaffnete Gruppen wie etwa Joseph Kony und seine LRA-Kämpfer—nur waren das nicht die Rebellen, die da direkt neben mir standen.

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Ein ehemaliger Kindersoldat in Bangadi, der mit 14 Jahren gekidnappt und drei Jahre von der LRA festgehalten worden war

Ian, mein MONUSCO-Kontakt, hat den Körperbau, die Ausdrucksweise und die überhebliche Art eines Polizisten oder Soldaten, oder zumindest eines Menschen, der schon immer eine Machtposition bekleiden wollte, die es ihm erlaubt, eine Waffe zu tragen. „Soviel ich weiß, geht es in deiner Reportage um die DDRRR-Maßnahmen für die aktiven Kämpfer“, sagte Ian auf der Terrasse des Seeufer-Restaurants meines Hotels. Als ich ihn allerdings nach der M23 fragte, reagierte er gereizt: „Hier in Goma haben wir es hauptsächlich mit der M23 und der FDLR zu tun. Aber eines muss ich klarstellen: Die UN gibt keine Auskunft über die M23 und die Situation in Goma. Verstanden?“ Grund der Geheimhaltung waren, wie ich später erfuhr, Befürchtungen über einen bevorstehenden Angriff durch die M23. UN-Mitarbeiter berichteten mir im Nachhinein, dass die M23 unter Bosco Ntagandas Führung (den seine Soldaten schmeichelnd „Terminator“ nennen), etwa 40 km vor Goma stand. Doch unter den Einwohnern, NGO-Mitarbeitern, Soldaten und Söldnern ging das Gerücht um, dass sich die Rebellen „im Busch“ befänden, „weniger als 10 km von der Stadt entfernt“. Bei einer Patrouillenfahrt im Transportpanzer einer ugandischen Einheit an einem Nachmittag fiel mir auf, dass wir uns, anders als erwartet, nicht in den Dschungel vorwagten, sondern Gomas ärmstes Stadtviertel kontrollierten sowie Kraftwerke, Landepisten und Kreuzungen—Ziele, die eine Rebellenarmee höchstwahrscheinlich angreifen würde. Die MONUSCO-Soldaten bereiteten sich offenbar nicht auf einen Dschungelangriff vor, sondern auf einen potenziellen M23-Überfall auf Goma. Obgleich die M23 die LRA hinsichtlich ihres üblen Rufs in der DR Kongo inzwischen in den Schatten stellt, wird das Land noch immer vom Erbe Joseph Konys heimgesucht—und seine Soldaten sind zum Teil weiterhin aktiv. Nach dem Besuch des Lagers in Goma war mein nächstes Ziel die ländliche Provinzstadt Dungu. Dort hatte die LRA 2008 ihre üblichen AK-47 und Panzerfäuste gegen Macheten und Knüppel ausgetauscht und ein brutales Blutbad angerichtet. Ich begegnete einem Jungen, der die Folgen dieses Werkes miterleben musste—seine beiden älteren Schwestern waren unter den Toten. Später nahm ich einen Helikopter nach Bangadi, einer noch abgelegeneren Kleinstadt in der Nähe der südsudanesischen Grenze. Die Spuren der LRA-Aktivitäten in der Gegend ließen sich fast auf den ersten Blick erkennen. Ich interviewte einen Teenager, der entführt und drei Jahre im Busch festgehalten worden war, bevor er eines Nachts fliehen und nach Hause zurückkehren konnte. Andere Einwohner führten uns an einen Ort, wo LRA-Kämpfer Dorfbewohner im schulterhohen Gras abgeschlachtet hatten. Danach folgte ich ihnen zu einem Platz mitten auf der Dorfstraße, auf dem Knochen und verbrannte Kleidung angehäuft waren und die Stelle markierten, an der die Einwohner Bangadis ihre eigene Art der Selbstjustiz an gefangenen LRA-Kämpfern hatten walten lassen. Als wir die Einwohner fragten, warum die Leichen der LRA-Kämpfer nicht beerdigt wurden, winkte der Dorfchef ab und entfernte sich. Mein Mittelsmann wandte sich mir diskret zu, um meine Gastgeber nicht zu verärgern, und erklärte: „Sie glauben, dass dieser Ort von den toten Kämpfern heimgesucht wird, wenn sie die Knochen hier begraben.“ Am nächsten Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang auf, um mit einem Militärkonvoi in eine Gegend zu fahren, in der es immer noch zu Überfällen der LRA kommt. Der Konvoi aus Einheiten der Regierungstruppen, ausländischer afrikanischer Truppen und einer Sondereinsatztruppe des United States Africa Command stand unter dem Kommando eines Belgiers namens Leo. Als wir das Operationsgebiet erreichten, beobachteten wir, wie die amerikanischen Soldaten die mit Klett befestigten Flaggenaufnäher und Rangabzeichen von ihren Uniformen entfernten. Ihr Kommandant—ein forscher Blonder aus South Dakota bemerkte meine Kamera und wies mich auf die strenge „keine Medien“-Richtlinie des Africa Command hin. Später am Abend, auf einer Toga-Party bei Ärzte ohne Grenzen in Dungu, erzählte mir der Blonde aus South Dakota, dass die meisten Menschen in der Gegend die Situation unverhältnismäßig aufblähten. „Du musst das alles mit Vorsicht betrachten“, sagte er bei seinem einzigen Bier an dem Abend. „Sie erzählen dir hier alle: ‚Bevor die LRA kam, hatte ich eine Herde mit 400 Ziegen.‘ Mann! Hattest du nicht! Du bist hungrig, weil du faul bist, weil du nicht genug anbaust.“

„Jean-Baptiste“ (nicht sein wirklicher Name) musste mitansehen, wie die LRA seine Schwestern in Dungu ermordete.  

Während der Patrouille hatten wir den Konvoi überreden können, uns in Duru abzusetzen, einem Dorf, das von der Dungu-Offensive der LRA 2008 schwer getroffen worden war. Laut lokaler Gerüchte sollte dies auch der Ort sein, an dem eine kleine Bande von Kämpfern in letzter Zeit Farmen überfallen hatte. Kaum angekommen, trafen wir mehrere Augenzeugen der Gräueltaten in der Gegend. Unter ihnen war ein Mann namens Martin, ein einheimischer Jäger, der von der LRA entführt worden war und erst einige Tage vor meiner Ankunft hatte fliehen können. Martin berichtete mir, dass er gerade seinen Sohn, einen Teenager, in den Busch in der Nähe des Dorfes begleitete, als sie auf zwei Männer in Uniformen trafen. Da er sie für in der Gegend stationierte Regierungssoldaten hielt, zögerte er nicht, als sie ihn und seinen Sohn heranwinkten, um zu überprüfen, was sie im Dschungel vorhatten. Er wurde erst misstrauisch, als er bemerkte, dass ihre Uniformen nicht richtig passten. Die LRA-Entführer in den Uniformen der Regierungsarmee zwangen Martin und seinen Sohn, ihre zusätzliche Ausrüstung zu tragen, und marschierten dann unklugerweise, in der Absicht, sie in die Irre zu führen, in konzentrischen Kreisen durch den Busch. Als einheimischer Jäger kannte Martin jedoch jeden Baum und Strauch und wusste daher, dass sie noch nicht einmal die nähere Umgebung verlassen hatten. Also schmiedete er einen Fluchtplan. Der Tag verging. Als es langsam Abend wurde, waren die LRA-Banditen ihres Dschungelmarsches überdrüssig geworden und machten sich über ihren spärlichen Proviant her. Martin schlug seinen Entführern vor, Wild, z.B. Antilopen, für sie zu jagen oder zumindest etwas „Buschfleisch“ (Affen). Die Banditen gaben Martin daraufhin die Waffe zurück, die sie ihm zuvor abgenommen hatten: ein in der Gegend hergestelltes, großkalibriges, als „Double Zero“ bekanntes Gewehr. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Martins Sohn bei ihnen bliebe. Martin wusste, dass seine Acholi sprechenden Entführer aus Uganda kamen und die Sprache der Region kaum bzw. gar nicht verstanden und flüsterte seinem Sohn daher in ihrer Sprache zu: „Ich werde einmal schießen, um sie zu verwirren. Wenn du den zweiten Schuss hörst, lauf weg.“ Martin umrundete das Lager in einem sicheren Abstand und wartete darauf, dass der Mond aufging. Nachdem sein erster Schuss durch die Nacht hallte, legten die LRA-Männer, sich in falscher Sicherheit wiegend, ihre Waffen ab und schliefen ein. Nach dem zweiten Schuss ergriff Martins Sohn die Flucht, und beide kehrten unversehrt in ihr Dorf zurück. Während der nächsten Stunde versorgten wir die Einwohner Durus mit billigen kongolesischen Zigaretten, um sie zu Interviews zu bewegen. Sie vermittelten uns einen Eindruck davon, wie die Zunahme der Milizenkämpfe im Land sich auf die LRA ausgewirkt hat. Je mehr neue bewaffnete Gruppen auftauchten, desto stärker wurden Konys Truppen zurückgedrängt und bekämpfen nun sowohl Dorfbewohner als auch andere Milizen, um an die mageren Ressourcen des Landes zu gelangen. Sie operieren in Gruppen von drei bis fünf Kämpfern, spärlich verteilt über ein Gebiet, das etwa zweimal so groß ist wie Frankreich. Sie besitzen weder Kommunikationsausrüstung noch genügend Munition und greifen Dörfer hauptsächlich auf der Suche nach Nahrungsmitteln an. So fragen sie ihre Opfer als Erstes immer nach Mais, Ziegen oder Hühnern. Wir fragten Martin, ob er während seiner Gefangenschaft bei der LRA Psyops-Flugblätter der DDRRR gesehen hat, die diese über dem Dschungel abgeworfen hatte, oder ob er von Radiobotschaften gehört hatte, die zur Desertion aufrufen. Seine Augen leuchteten auf: „Ja. Sie hatten viele Flugblätter. Sie benutzten sie zum Feuermachen.“ „Haben sie über den Inhalt der Flugblätter gesprochen?“, fragte ein UN-Mitarbeiter, der uns auf unserer Reise begleitete und wissen wollte, wie die Banditen auf die Propaganda reagierten, die eine Schwächung ihrer Truppen bezweckt. „Ja“, erzählte Martin uns. „Sie sagten: ,Sagt ihnen, dass wir den Busch nie verlassen werden.‘“ Ich dachte an den Haufen verbrannter Kleidung und Knochen auf der Straße in Bangadi und verstand, warum. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, was im Kongo wirklich passiert, schaut euch im November Bush-League Rebels auf dem Youtube-Kanal von VICE an (Youtube.com/VICE).