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So hat Maaßen den Verfassungsschutz in Richtung Massenüberwachung aufgerüstet

Hans-Georg Maaßen hat sich nicht nur diverse Skandale geleistet, sondern eine Entwicklung in Gang gesetzt, die kaum bekannt und kaum aufzuhalten ist.
Bild: Imago | IPON

Hans-Georg Maaßen muss derzeit um sein Amt als Präsident des Verfassungsschutz fürchten, denn er hat am 7. September in einem Interview mit BILD bezweifelt, ob es bei den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz zu Hetzjagden gekommen war. Das ist längst nicht der einzige Aufreger, für den Maaßen in seiner Karriere scharf kritisiert wurde: Er behauptete, dass es im Umfeld des Attentäters Anis Amri keinen V-Mann gegeben habe, obwohl das nicht stimmte. Er soll unveröffentlichte Informationen an die AfD weitergegeben haben und er spekulierte öffentlich, ob Edward Snowden ein russischer Agent sei – ohne Beweise dafür vorzulegen.

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Was bei einem Rückblick auf Maaßens Karriere jedoch schnell übersehen wird: Seit seiner Amtseinführung im Jahr 2012 hat Maaßen den Verfassungsschutz zu einer Internet-Überwachungsbehörde aufgebaut. Was genau der Verfassungsschutz im Internet tut, ist schwer zu sagen, weil der Dienst über seine Aktivitäten öffentlich kaum Auskunft geben muss. Doch wenn man sich geleakte Dokumente und die wenigen öffentliche Aussagen von Maaßen zu dem Thema anschaut, ergibt sich ein eindeutiges Bild: Es geht längst nicht mehr nur darum, einzelne Zielpersonen auszuspähen, sondern um die massenhafte Analyse von Daten aus sozialen Netzwerken. Der Verfassungsschutz (BfV) auf dem Weg in Richtung Massenüberwachung.

2013: Verfassungsschutz bekommt NSA-Software XKeyscore

Maaßens Vorgänger Heinz Fromm war von der US-Spionagesoftware namens XKeyscore begeistert und bat die NSA, dem deutschen Verfassungsschutz dieses "Google für Kommunikation" zur Verfügung zu stellen. Bekannt wurde XKeyscore durch die Leaks von Edward Snowden. Das Programm kann unter anderem Chats und E-Mails von Zielpersonen auswerten, Nutzernamen und Passwörter ermitteln und Personen anhand ihrer Telefonnummern oder Nicknames über verschiedene Dienste hinweg identifizieren. Und es kann – wie eine Suchmaschine – große Datenmengen filtern und sortieren.

Unter Maaßen schlossen die Geheimdienste ein Abkommen, das Zeit Online veröffentlichte: Das BfV stellt der NSA "so viele Daten wie möglich" zur Verfügung, die für die Mission der Amerikaner relevant sind, dafür bekommt es die Software. Welche Daten das sind, ist bis heute nicht bekannt. Die Verfassungsschützer bestreiten, dass US-Geheimdienste Zugriff auf Daten haben, die sie in XKeyscore einspeisen. In Deutschland soll das System auch nicht an das Internet angebunden sein, sondern es werde lediglich mit Daten gefüttert, die mit herkömmlichen Überwachungsmaßnahmen gesammelt wurden.

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2013: 2,75 Millionen Euro für massenhafte Online-Überwachung

Dem Verfassungsschutz wurde die Überwachung des Internets zunehmend wichtiger, das ging aus einem geheimen Haushaltsplan hervor, den netzpolitik.org veröffentlichte. Demnach bekam der Verfassungsschutz 2013 nicht nur eine neue Software, sondern auch eine Finanzspritze von 2,75 Millionen Euro, um die Mittel zur Online-Überwachung auszubauen. Es sollte dem Haushaltsplan zufolge ein System entwickelt werden, um große Datenmengen zu gewinnen und auszuwerten.


Ebenfalls auf Motherboard: Totalüberwachung für 150 Euro


Im Haushaltsplan ist auch von "Massendaten" die Rede. Das BfV solle "in die Lage versetzt werden", aus diesen Daten "bislang unbekannte und nicht offen erkennbare Zusammenhänge" zwischen Personen und Gruppierungen im Internet herzustellen. Begründet wurde dieser Vorstoß unter anderem damit, dass Terroristen "immer größere Datenmengen im Internet veröffentlichen" würden. Der Verfassungsschutz selbst bestreitet, dass es sich dabei um Massenüberwachung handelt, benutzt deshalb auch den Begriff der Massendaten. Größere Datenmengen sammeln will man allerdings schon.

Ein Paradigmenwechsel ist das Sammeln von "Massendaten" trotzdem, denn es geht nicht mehr um zielgerichtete Überwachung einzelner Personen. Bei einer Auswertung von sozialen Netzwerken geraten auch massenweise Unverdächtige ins Raster des Geheimdienstes. Auch ihre Daten werden offenbar erstmal analysiert.

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2013: Die eigene Überwachungsanlage bekommt mehr Bandbreite

Im gleichen Jahr erhielt der deutsche Inlandsgeheimdienst 750.000 Euro, um die Bandbreite seiner eigenen Überwachungsanlage "Perseus" zu vergrößern.

Perseus gab es schon länger – für klassische Telefonate, SMS und Faxe. Aber da das Datenaufkommen im Internet beispielsweise durch Flatrates immer größer werde, könne die alte Anlage nicht mehr genügend Kommunikation erfassen und müsse erweitert werden, zunächst auf einen Datendurchsatz von 1 GBit/s.

2014: Verfassungsschutz baut "Erweiterte Fachunterstützung Internet" auf

Im April 2014 begann der Verfassungsschutz dann mit dem Aufbau einer neuen Einheit zur Internetüberwachung. 75 Mitarbeiter sollten laut Plänen des Verfassungsschutzes einmal Vollzeit für die "Erweiterte Fachunterstützung Internet " arbeiten. Ihre Aufgabe: Die Beobachtung von Zielpersonen durch Überwachung ihrer Internetaktivitäten.

Außerdem soll die Einheit auch Informationen aus "unterschiedlichsten Quellen" analysieren, wie der Geheimdienst es nennt. Hinter dieser nebulösen Formulierung steckt , dass der Geheimdienst Online-Dienste und ganze Internetforen überwachen will anstatt die Daten einer spezifischen Person ins Visier zu nehmen.

Hack-Back und Metadaten: Maaßens Wunschzettel ist lang

Die bisherige Aufrüstung des Verfassungsschutzes im Internet genügte Maaßen offenbar noch nicht. Er lobbyierte dafür, dem Geheimdienst weitere Befugnisse und mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Bei der ersten öffentlichen Anhörung der deutschen Geheimdienst-Chefs vor dem Bundestag im Oktober 2017 forderte er Zugang zu Metadaten. Also zu jenen Daten, die zwar nicht die Inhalte verraten, die eine Person im Internet angeschaut oder verschickt hat, sehr wohl aber weitere Daten, wie Uhrzeit, Ort oder wer mit wem kommuniziert hat.

Man müsse wissen, "wer sich gerade Enthauptungsvideos anschaut" und mit welcher IP-Adresse die Person unterwegs ist, um sie mit anderen Daten abgleichen zu können, erklärte Maaßen dem Bundestag. Dass auch Metadaten ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre sind, da sie Rückschlüsse auf Beziehungsnetzwerke und Bewegungsprofile geben, erwähnte er nicht. Daneben müsse der Verfassungsschutz auch auf Nachrichten von verschlüsselten Messenger wie WhatsApp zugreifen können.

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Daran arbeitet der Verfassungsschutz bereits heute. Laut Berichten der NDR soll bis zum Jahr 2026 eine Anlage namens "Phoenix" den Betrieb aufnehmen.

Zusätzlich forderte er, digitale Gegenschläge unternehmen zu dürfen, sogenannte "Hack Backs". Das bedeutet, dass es der Behörde erlaubt wäre, bei Angriffen auf IT-Systeme Server lahmzulegen und auch Daten auf fremden Rechnern zu löschen. Derzeit gibt es dafür keine rechtlichen Möglichkeiten.

Für all das benötigt Maaßen neben gesetzlichen Befugnissen vor allem Geld. Für das Jahr 2019 wünscht er sich 421 Millionen Euro – 2015 hatte der Inlandsgeheimdienst noch 230 Millionen zur Verfügung. Wie viel davon in die Internetüberwachung fließen soll, ist nicht bekannt. Die genauen Haushaltspläne der Geheimdienste sind: geheim.

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