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"Wenn du schon nicht gut kochst, kannst du hoffentlich gut Schwänze lutschen": Ein Blick ins Pick-up-Artist-Spiel

Auf Steam und PlayStation wird bald ein Spiel erscheinen, das Männern übergriffiges Verhalten beibringt und als sozial akzeptabel darstellt. Wir haben die ersten Level für euch durchgespielt.
Screenshot von 'Super Seducer'
Alle Screenshots: 'Super Seducer'

Update, 7. März 2018: Sony hat sich dazu entschlossen, das PUA-Game Super Seducer doch nicht für die PlayStation 4 anzubieten. Das bestätigte das Unternehmen gegenüber Motherboard. Auf Steam ist das Spiel seit dem 6. März verfügbar. Auf unsere Anfragen dazu hat die Plattform bis heute nicht reagiert. Die Nutzer-Bewertungen auf Steam zum Spiel werden aktuell als "größtenteils positiv" gelistet. Doch die meisten positiven Bewertungen scheinen eher ironisch zu sein. Die Dating-Tipps sind den meisten Gamern völlig egal, gelobt wird das Spiel für etwas anderes: "Weiß' nicht, wie gut die Tipps sind, der Kerl ist anscheinend irgendein berühmter Dating-Coach", schreibt ein Nutzer. "Was ich weiß: Die falschen Antworten im Spiele sind irre witzig. Eine Frau hat das neulich auf Twitch gespielt und immer die falschen Antworten genommen. Ich habe niemand so hart lachen sehen. Top Entertainment!"

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Hier der Original-Artikel:

In Super Seducer schlüpfen Spieler in die Rolle von Richard La Ruina, dem "renommierten Verführungsguru" aus der "Pick-up-Artist"-Community. Die Philosophie der Pick-up-Artists, kurz PUA, verspricht Männern, dass sie jede Frau rumkriegen können – wenn sie nur die richtigen Dinge sagen und tun. Dabei ignoriert die PUA-Philosophie nicht nur allgemein akzeptierte Standards von respektvollem Sozialverhalten, sondern wird auch regelmäßig dafür kritisiert, Frauen zu objektifizieren. Das Spiel, das übergriffiges Verhalten als völlig normal und akzeptabel darstellt, wird am 6. März auf Steam und PlayStation erscheinen.

Ziel des Spiels ist es, PUA-Taktiken an virtuellen Frauen auszutesten. In der Spielbeschreibung heißt es: "Wenn du im Spiel die richtigen Entscheidungen triffst, wirst du sie auch im echten Leben treffen." Konkret möchte das Spiel Männern das Verhalten antrainieren, das im Spiel belohnt wird: Frauen als Objekte behandeln, sie belästigen, unter Druck setzen und ablehnendes Verhalten ignorieren.

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"Wenn wir Sexismus eine öffentliche Plattform geben, geben wir ihm die Möglichkeit, zu gedeihen und zu wachsen", schrieb Emily May Motherboard in einer E-Mail. May ist Mitbegründerin und Leiterin der internationalen Anti-Harassment-Initiative Hollaback!. "Wir sollten dieses Spiel und die ganze PUA-Kultur unter einem Stein verstecken und sie verhungern lassen, bis sie aussterben."

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Um mir selber ein Bild von dem Spiel zu machen, das sich als "der realistischste Verführungssimulator der Welt" anpreist, habe ich es selbst gespielt. Auch wenn es weh tut, habe ich dabei stets versucht, die Antworten zu wählen, mit denen ich die jeweilige Mission gewinnen konnte, sei es das "sofortige Date" oder "Nimm sie mit zu dir". Im Spiel fallen Sätze wie "Wenn du schon nicht gut kochst, kannst du hoffentlich gut Schwänze lutschen" – auch wenn Guru-Richard im Game darauf hinweist, dass dieser Satz wohl nicht zum Erfolg führen wird.

Für die ersten drei Missionen habe ich 81 Minuten meines Lebens geopfert – Zeit, die ich nie zurückbekommen werde.

Mission 1: Girl auf der Straße

Im ersten Szenario laufe ich als Richard eine Straße herunter und entdecke eine junge Frau. Besser gesagt, sehe ich als erstes eine Nahaufnahme ihrer nackten Beine, bevor die Kamera mir die ganze Person zeigt. Bereits nach zwei Minuten fühlt sich der "Verführungssimulator" eher wie ein "Belästigungssimulator" an und ich fühle mich sehr unwohl.

Im Spiel lerne ich, dass ich mich der Frau am besten frontal nähere, damit sie mir nicht so leicht ausweichen kann. Anschließend bombardiere ich sie mit sehr persönlichen Fragen über ihren Alltag, ihren Job und was sie heute vor hat – aus irgendeinem unerfindlichen Grund will sie Eichhörnchen im Park füttern –, mit wem sie sich trifft und ob sie in der Nähe wohnt. Damit ich die Begegnung in ein "sofortiges Date" steigern kann, bietet mir das Spiel verschiedene Optionen, zum Beispiel sie ohne Erlaubnis zu berühren oder mir selbst in den Schritt zu fassen, um sie "anzutörnen".

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Ich entscheide mich dafür, ohne Vorwarnung ihren Ohrring zu berühren. Ihre Reaktion kommt mir nur allzu bekannt vor: Sie ist sichtbar angeekelt, versucht ihre Abneigung jedoch zu überspielen, um den Mann nicht wütend zu machen. Als Frau, die sich selber schon in ähnlichen Situationen befunden hat, denke ich mir: "Dieser Typ könnte mich in dieser einsamen Gegend ermorden, wenn ich ihn abweise."

"Uns Frauen wird beigebracht, unsere eigenen Grenzen nicht zu schützen", sagte May im Gespräch mit Motherboard. "Wir haben gelernt, dass alle anderen wichtiger sind, als wir selbst. Uns wird beigebracht, an uns selbst zu zweifeln. Wenn Männer Frauen permanent bedrängen, nutzen sie diese Selbstzweifel aus – und das kann schwere emotionale und körperliche Folgen für Frauen haben."

Mein Guru, der von halbnackten Frauen umringt ist, kommentiert meine Wahl als "etwas seltsam", aber nicht als totalen Fail. Also geht es weiter.


Auf Broadly: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos


Mission 2: Zwei Girls in der Bar

Im zweiten Level unterhalten sich zwei Frauen angeregt in einer Bar und trinken Wein. Es sieht nicht so aus, als ob sie auf der Suche nach neuen Kontakten sind, doch mein verschwitzter Richard-Avatar hat es sich in den Kopf gesetzt, sie anzubaggern.

Dieses Szenario gibt tiefe Einblicke in die PUA-Taktiken. Richard versucht zu erraten, was die Frauen studiert haben. Er tippt auf Schauspiel und Modedesign – die Frauen lachen. Tatsächlich haben sie BWL studiert. Der Dialog ist ein klassisches Beispiel für "negging": negative Komplimente, die das Selbstbewusstsein der Frau untergraben sollen, damit sie die Aufmerksamkeit des Aufreißers sucht.

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Richard demonstriert außerdem den "Beste-Freundinnen-Test": Er stellt den beiden eine dämliche Frage und verkündet dann, sie müssten beste Freundinnen sein, weil sie sich vorm Antworten erst angucken. Die Frauen lachen und sind von der Feinfühligkeit ihres Gegenübers begeistert – so lautet zumindest die Theorie hinter diesem beliebten PUA-Move.

Es ist ganz offensichtlich, dass beide Frauen möchten, dass Richard verschwindet. Im besten Fall tolerieren sie seine Anwesenheit. Ziel der Übung ist es, sich über diese Ablehnung hinwegzusetzen. Obwohl die Frauen ihm sowohl verbal als auch durch Körpersprache zu verstehen geben, dass er verschwinden soll, bleibt er hartnäckig.

Selbst als eine der Frauen ihm erzählt, dass sie einen Freund hat, versucht er noch ein Treffen mit ihr auszuhandeln. Am Ende bekomme ich eine Telefonnummer und das lose Versprechen, die beiden wiederzusehen.

Mission 3: Im Club

Dieses Szenario spielt in einem Club. Ich entdecke eine Frau, die alleine tanzt. Mein Ziel ist es, sie abzuschleppen.

Dieser Level ist für mich bisher der schwierigste, denn der Weg zum Erfolg ist mit falschen Antworten gepflastert. Ich tanze erst einmal in ihre Nähe, aber nicht zu nahe, und verkünde dann plötzlich: "Ich bin durstig. Lass uns was trinken."

Als ich sie von der Menge getrennt habe, will ich wissen, warum sie noch nicht betrunken ist und bestelle ihr einen Drink. Anschließend frage ich sie über ihre schlechten Angewohnheiten aus und erkläre, dass ich Raucherinnen hasse. Dann folgt ein homophober Dialog über die Frage, ob ich schwul sei – die falsche Antwort endet damit, dass ich sie anbrülle und sie mich stehen lässt.

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Nach diesem Level folgen noch sieben weitere. Einer spielt im Büro, ein anderer heißt "Girl sitzt im Café" – alle Level bleiben der Linie treu, erwachsene Frauen als "Girls" zu bezeichnen und sie auf unangenehme Art anzugraben. Viele dieser virtuellen Szenen dürften Frauen, die Opfer von Belästigungen geworden sind, nur allzu bekannt vorkommen. Viele Frauen erleben fast täglich ähnliche Situationen, in denen ein Mann sich ihnen ungefragt nähert und sie keinen anderen Ausweg sehen, als mitzuspielen. Und gerade deswegen ist es so problematisch, dass ein Spiel wie Super Seducer auf großen Gaming-Plattformen wie Steam und PlayStation erscheint.

Der PUA-Sumpf gedeiht prächtig auf Plattformen wie Reddit und 4chan, wo Typen Strategien austauschen, wie sie Frauen am besten stalken und belästigen können. Wenn man ein Game, das auf diesen Verhaltensmustern basiert für den Mainstream verfügbar macht, normalisiert man damit auch übergriffiges Verhalten und Rape-Kultur.

"Bei Gewalt gegen Frauen gibt es verschiedene Stufen – und sie beginnen mit Spielen wie diesem", sagte May. "Solche Spiele schaffen eine virtuelle Welt, in der Gewalt gegen Frauen akzeptabel ist – somit wird sie auch in der echten Welt normalisiert und die Welt wird für alle unsicherer."

Valve und Sony haben auf unsere Anfrage zum Thema nicht reagiert.

Update, 7. März 2018: Sony hat sich dazu entschlossen, das PUA-Game 'Super Seducer' doch nicht für die PlayStation 4 anzubieten. Das bestätigte das Unternehmen gegenüber Motherboard. Auf Steam ist das Spiel seit gestern verfügbar.