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Periode

Diese Studentin hat erforscht, warum wir uns so schwer tun, über Menstruation zu sprechen

Selbst ihre Uni wollte Franziska anfangs nicht über das "Tabuthema" schreiben lassen.
Foto: Fritzi Wartenberg

Die Erdbeerwoche, der Besuch der roten Tante und "Ein guter Kapitän fährt auch durchs rote Meer" – das sind alles umständliche bis bescheuerte Umschreibungen für etwas sehr Gewöhnliches: die Tatsache, dass einmal im Monat schleimiges Blut aus einer Vagina fließt. In ihrer Bachelorarbeit hat Franziska Wartenberg erforscht, warum die Menstruation in unserer Gesellschaft zum Tabuthema gemacht wird. Das Ironische dabei: Selbst ihre Uni wollte die 23-Jährige anfangs nicht über Periodenblut schreiben lassen.

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Ende August verteidigte Franziska ihre Bachelorarbeit, sie bekam die schriftliche Note 1,3. Zwei Posts, die sie auf Facebook über ihre Arbeit geteilt hat, wurden über 20.000 Mal geteilt. Und zeigen: Franziska ist nicht die Einzige, die sich daran stört, dass über die Menstruation nicht offen gesprochen wird. "Viele Frauen denken, dass sie sich für ihre Menstruation schämen sollen", sagt Franziska. Ihre Uni hat sich inzwischen bei ihr gemeldet. Sie will nicht als menstruations-unfreundliches Etablissement gelten. Deshalb bleibt ihr Name in diesem Artikel unerwähnt.

Mit Franziska haben wir trotzdem gesprochen: über ihre Bachelorarbeit und darüber, wie man die Menstruation cool macht.

Bachelorarbeit Tabuthema Menstruation Franziska Wartenberg

Foto: Privat

VICE: Hast du damit gerechnet, dass zwei Posts über deine Bachelorarbeit viral gehen?
Franziska: Überhaupt nicht. Ich war total überrascht, dass das über Nacht passiert ist: Am ersten Morgen nach der Veröffentlichung hatten ein paar Hundert Leute den Post geteilt, abends waren es schon über Tausend. Meine Freunde haben gesagt, dass sie mir bei Tausend Likes eine Flasche Sekt kaufen. Als sie vom Späti zurückkamen, waren es schon zweitausend. Im Nachhinein denke ich mir: Natürlich, ich habe in meiner Arbeit schließlich auch darüber geschrieben, dass in sozialen Medien weit reichende Bewegungen zu Themen entstehen können, die in der Außenwelt als Tabu gelten. Jetzt bin ich ungeplant selbst Teil davon geworden. Dabei hatte ich den Beitrag nur geschrieben, weil ich stolz auf meine bestandene Bachelorarbeit war.

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Warum hast du dir ausgerechnet das Thema Menstruation für deine Arbeit ausgesucht?
Ich finde es witzig, dass ich das so oft gefragt werde. Das klingt, als hätte ich über etwas extrem Abwegiges geschrieben wie prähistorische Gesteinsformationen oder georgischen Volkstanz. Dabei betrifft die Menstruation die Hälfte der Weltbevölkerung. Allein in diesem Moment menstruieren weltweit mehr als 330 Millionen Menschen. Das hat auch Auswirkungen auf die Umwelt oder die Wirtschaft: In Bangladesch gehen bis zu 70 Prozent der Arbeiterinnen in Fabriken bis zu sechs Tage im Monat nicht zur Arbeit. In anderen Ländern gehen Mädchen während ihrer Periode nicht zur Schule, weil sie keine Hygieneartikel haben. Es hemmt also die Gleichberechtigung der Geschlechter, finanziell und sozial, und beeinflusst die Wirtschaft als Ganzes.

Wie bist du selbst auf das Thema Menstruation gekommen?
Ich habe mehrere feministische Bücher gelesen und mich von der Literatur inspirieren lassen. Im Buch Der Ursprung der Welt von Liv Strömqvist gibt es ein Kapitel über Menstruation. Als ich es gelesen habe, habe ich mich selbst dabei ertappt, dass mir das Thema unangenehm war. Da dachte ich mir: Wir sollten dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken.

Deine Uni sah das deinem Facebook-Beitrag zufolge anders.
Ich hatte mein Exposé an mehrere Lehrende geschickt, weil ich eine oder einen Betreuenden für die Arbeit brauchte. Ich dachte mir da schon, dass es schwierig werden könnte. Von 27 potenziellen Prüfern und Prüferinnen sind zwei weiblich. Ich bekam nur Absagen. Dann habe ich die Koordinatorin meiner Hochschule gebeten, mir einen Tipp zu geben, wen ich sonst noch fragen könnte. Sie meinte dann, mein Themenvorschlag sei nicht wissenschaftlich, und ich würde wahrscheinlich niemanden finden, der die Arbeit betreut. Am Ende sagte sie sogar: "Das Thema geht gar nicht, weil es ein Tabu ist." Das war ein Totschlagargument. Ich habe dann trotzdem nochmal allen Prüfenden geschrieben, die geantwortet hatten. Am Ende hat mich eine der Dozentinnen betreut.

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Du hast Angewandte Medien studiert. Wie hast du das Periodenthema mit dem Fach verbunden?
Ich habe mich damit beschäftigt wie Menstruation in den Medien dargestellt wird, und ob sie tabuisiert wird. Ich wollte wissen, was Tabuthemen mit der Gesellschaft machen. Dafür habe ich klassische und soziale Medien miteinander verglichen.


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Was hast du herausgefunden?
Klassische Medien behandeln das Thema Menstruation sehr selten: In Unterhaltungsformaten kommt es höchstens vor, wenn eine Frau stereotypisch mit der Wärmflasche und einem Eimer Schokoeis gezeigt wird. In der Werbung wird die Periode mit blumiger Sprache umschrieben. Dadurch wird das Schamgefühl potenzieller Kundinnen anerkannt und die Periode als Tabuthema reproduziert.

Und die sozialen Medien?
Die spielen bei der Enttabuisierung eine wichtige Rolle: Dadurch, dass wir alle mitmischen und unsere Meinung mitteilen können, wird über mehr Themen wie die Menstruation gesprochen. Menschen, die mit dem Internet groß geworden sind, haben eine verminderte Tabuschwelle. Das wirkt sich irgendwann auf die gesamte Gesellschaft aus. Soziale Medien sind also eine große Chance, um Tabus abzubauen und ein gesellschaftliches Umdenken zu erreichen.

Das Thema hatte also doch mehr wissenschaftlichen Anspruch, als deine Hochschule zunächst angenommen hatte?
Die Reaktion der Koordinatorin meiner Hochschule zeigt, dass das Thema nicht nur auf gesellschaftlicher oder medialer Ebene unterrepräsentiert ist, sondern auch im wissenschaftlichen Bereich teilweise nicht erwünscht ist. Dabei sollten gerade Universitäten und Hochschulen ein Ort für gesellschaftliche Entwicklungen und akademische Freiheit sein.

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Was muss sich ändern, damit der Umgang mit der Menstruation unverkrampfter wird?
Das größte Problem sehe ich im Bildungsdefizit. Viele Schüler und Schülerinnen lernen überhaupt nicht, was Menstruation genau ist. Im Aufklärungsunterricht lernen wir, wie eine Eizelle befruchtet wird. Aber kaum jemand geht darauf ein, was bei einer Menstruation im Körper passiert oder wie Tampons verwendet werden und was ein toxischer Schock ist. Ich glaube aber nicht, dass die Scham über die Periode angeboren ist. Es ist ein sehr komplizierter und langwieriger Prozess, wie ein Thema zum Tabu wird und wie dieses wieder überwunden wird.

Wann hat dieser Prozess bei der Menstruation denn angefangen?
Die Tabuisierung der Menstruation geht historisch sehr weit zurück. Der medizinische Irrglaube, dass Menstruierende eine schlechte Wirkung auf ihre Umwelt haben, hält sich seit 2.000 Jahren. Einflussreiche Katholiken erklärten die Periode als Strafe für die Verfehlung Evas. Im alten Testament steht, dass Menstruierende "unrein" seien und nicht berührt werden dürften. Bis heute denken manche Frauen, dass sie keine Sahne steif schlagen sollten, wenn sie ihre Periode haben. In unseren Köpfen haftet dieser Gedanke, dass die Menstruation etwas Toxisches, Gefährliches oder Schlechtes sei, eben noch immer. Und so reproduzieren wir das Tabu bewusst oder unbewusst über Generationen hinweg weiter.

Bleibst du jetzt an dem Thema dran?
Ich werde mich definitiv weiter mit der Thematik beschäftigen. Die Nachfrage und der Aufklärungsbedarf sind offensichtlich groß. Und ich bin ja selber bekennende Menstruierende. Seit Kurzem habe ich meinen eigenen Blog. Ich schreibe dort unter dem Pseudonym Franka Frei. Man wird also in Zukunft also noch öfter Menstruations-Texte von mir lesen.

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