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Physiker gelingt es erstmals, die Hawking-Strahlung zu messen

Ein Experimentalphysiker hat sich in seinem Labor ein Schwarzes Loch gebaut—und konnte damit nach jahrelanger Arbeit zeigen, dass es manchen Partikeln doch gelingt, aus den Massemonstern zu entfliehen.

Wenn er nicht gerade im Keller des Technion-Instituts für Technologie im isrealischen Haifa zu Soundgardens „Black Hole Sun" trommelt, perfektioniert der Experimentalphysiker Jeff Steinhauer ein paar Stockwerke höher selbstgemachte Schwarze Löcher in seinem Labor—und das hartnäckig und weitgehend allein, wie seine ehemaligen Kollegen zu berichten wissen.

Schließlich geht es dem Physiker um nichts weniger, als die letzten großen Widersprüche der Physik aufzulösen und sie in einer Theorie unter einen Hut zu bringen. Das Ziel: Eine allumfassende Theorie zu finden, die alles von den unendlichen Weiten unseres Universums bis hin zu den winzigen Nano-Kräften, die innerhalb eines Atoms wirken, miteinander vereinen könnte.

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Sieben Jahre lang hat Steinhauer zwischen magnetischen Coils, Lasern und Spiegeln an einem akustischen Schwarzen Loch-Doppelgänger gearbeitet, um akkurat zu simulieren, wie sich Partikel am Rand eines Schwarzen Lochs verhalten. Nun ist es vollbracht und einsatzbereit: Sein „Stummes Loch" kann Schall so unwiederbringlich verschlingen, wie ein Schwarzes Loch es mit Licht täte—und was Steinhauer mit seiner Apparatur zeigen konnte, lässt Physiker weltweit aufhorchen:

Denn es gelang ihm, in seiner hausgemachten Schall-Variante eines Schwarzen Lochs die Hawking-Strahlung zu beobachten. Zum ersten mal überhaupt in einem System konnte damit nachgewiesen werden, dass ein Schwarzes Loch eben doch Partikel entwischen lässt—und nicht, wie bisher landläufig vermutet, alles in sich aufsaugt.

Die spektakulären Ergebnisse seines Versuchs deuten darauf hin, dass Hawking im seit 1976 tobenden, berühmten Physiker-Streit um das Informationsparadoxon des Schwarzen Lochs Recht haben könnte: Schwarze Löcher wären demnach nicht pechschwarz, sondern würden—wenngleich auch nur sehr schwach—leuchten.

Es geht ums Ganze—könnte es eine allumfassende Theorie geben, mit der man Quantenmechanik mit der Schwerkraft vereinen kann?

Steinhauers Paper, das den bislang überzeugendsten Beweis für die Hawking-Strahlung liefern könnte und bereits hohe Wellen schlägt, wurde am Montag im Fachblatt Nature Physics veröffentlicht.

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Wie Hawking glaubt, ist das ganze Universum mit Abermillionen fern-verschränkter, abwechselnd flackernden Partikeln gefüllt. Jeder Partikel, so das Theorem der Quantenmechanik, hat irgendwo einen Partner, einen Antipartikel mit gleicher Masse. Begegnen sie sich, löschen sie sich gegenseitig aus. Ausnahme: Wenn sie in ein schwarzes Loch gesaugt werden.

Was passiert, wenn zwei Schwarze Löcher aufeinander treffen?

Dann nämlich werden die beiden zuvor unzertrennlichen, virtuellen Partikel zunächst real und dann auch gleich auseinander gerissen. Ein Partikel verabschiedet sich in Richtung Weltraum und wird als schwach leuchtende Strahlung messbar, eins jedoch trudelt in das Schwarze Loch und wird für immer gefressen. Dadurch, so Hawkings Theorie, verliert ein Schwarzes Loch langsam aber sicher an Masse und löst sich irgendwann ganz auf. Alles, was das Loch zuvor verschluckt hatte, geht ebenfalls flöten.

Wer sich jetzt schnell als kleines Hobbykellerprojekt ein Schwarzes Loch selbst basteln will, sollte sich vorher allerdings gut ausrüsten: Neben Linsen und Lasern sind ein exakter Versuchsaufbau und sehr viel Zeit die Hauptzutaten für die Erzeugung eines irdischen Surrogats dieses kosmischen Wunders.

Bild: Jeff Steinhauer | Mit freundlicher Genehmigung

Anbei für ehrgeizige Laboranten trotzdem eine kurze Bastelanleitung, die noch einmal eindrucksvoll zeigt, wie ambitioniert Steinhauers Projekt ist: Rubidium-Atome müssen auf eine Temperatur haarscharf (ein paar Milliardstel Grad) über dem absoluten Nullpunkt (−273,15 °C) heruntergekühlt und mit Lasern beschleunigt werden. Dann werden sie auf einen Bereich geschleudert, an dem Atome sich schneller als der Schall bewegen. Die Atome treten dann in einen Quantenzustand der Materie über: Sie beginnen, sich wie Klone voneinander zu verhalten und verklumpen zu einer Welle aus Superpartikeln, die als Bose-Einstein-Kondensat bekannt ist. In diesem Fall tauchen sie als winzige Schallpaket-Paare namens Phononen auf. Wenn eines dieser ultrakalten Pärchen in die Überschallregion fällt (Steinhauers Schreibtisch-Ereignishorizont), sollten sich analog zu Hawkings Theorie die Schallenergie-Paare teilen: Ein Partikel fällt für immer und ewig in das Stumme Loch, eins davon wird in die Umgebung geschleudert.

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Die Hawking-Strahlung ist so etwas wie der heilige Gral der Atomphysik

Steinhauer ließ seine Maschine für ganze sechs Tage laufen—und tatsächlich: Nach 4.600 Wiederholungen beobachtete er einen Strom an Partikeln auf der einen Seite, der in das Schwarze Loch fiel, und einen passenden Strom an Partikeln auf der anderen Seite, der die Flucht schaffte und von dem Überschall-Loch ausgestoßen wurde: die Klangvariante der Hawkingstrahlung. Er konnte außerdem beweisen, dass diese Partikel verschränkt waren—eine Sensation.

Denn die Hawking-Strahlung, die den nach ihr benannten Professor erst berühmt gemacht hat, ist so etwas wie der heilige Gral in der Atomphysik: Jeder will sie messen, niemand hat es bislang geschafft.

Vor über 40 Jahren prognostizierte der Astrophysiker, dass Schwarze Löcher gar nicht allesverschlingende Weltraum-Monster sind, sondern dass es einen Weg aus der Schwärze gebe: in Form kleiner Partikel mit hochenergetischer Strahlung, die theoretisch das Einzige sind, das der Anziehungskraft eines Schwarzen Lochs widerstehen und den Ereignishorizont wieder verlassen kann.

Diese Annahme steht jedoch im direkten Widerspruch zu Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Die besagt, dass jegliche Materie, die den Ereignishorizont übertritt, für immer in den Tiefen des Schwarzen Lochs verschwindet und nie wieder zurückgeholt werden kann. Doch unser Verständnis von der Quantenmechanik spricht wiederum dagegen: Danach kann Materie nie verschwinden oder zerstört werden, sondern nur umgewandelt werden.

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Zu Beginn dieses Jahres legte Hawking eine mögliche Lösung für dieses Problem vor, das auch als Schwarze-Loch-Informationsparadoxon bekannt ist: Schwarze Löcher, so seine Idee, hätten „Haare", in denen Informationen gespeichert werden könnte. Nicht alle Experten ließen sich allerdings von dieser möglichen Erklärung auf Anhieb überzeugen.

Was stimmt also—beziehungsweise, könnte es eine allumfassende Theorie geben, mit der man Quantenmechanik mit der Schwerkraft vereinen kann?

Für Steinhauer ist die Sache klar. „Ich denke, diese Arbeit steht für sich als Verifikation von Hawkings Berechnungen", bilanziert er bei Popular Science. Andere Wissenschaftler sind da nicht so sicher; ein Grund wird sicher auch sein, dass Steinhauer berüchtigt dafür ist, alleine zu arbeiten, was wiederum die Verifizierung seiner Arbeiten erschweren dürfte. „Große Entdeckungen brauchen solide Beweise", sagte der renommierte Astrophysiker Bill Unruh dem New Scientist.

Doch die sind auf der Erde schwer zu finden, weshalb man sich wie Steinhauer mit akustischen Schwarzen Löchern behelfen muss. Schon einige frühere Experimente haben ergeben, dass diese Schallschlucker das Verhalten von Partikeln am Ereignishorizont von Schwarzen Löchern im Weltraum zumindest sehr gut nachahmen können.

Nichtsdestotrotz ist ein akustisches Schwarzes Loch eben kein echtes Schwarzes Loch—ein letzter Beweis darüber, inwiefern sich die Ergebnisse auf das All übertragen lassen, steht also noch aus.

Die Physikwelt ist trotzdem begeistert von Steinhauers „unglaublich elegantem" Versuchsaufbau, wie ihn beispielweise Grant Tremblay, NASA Einstein Fellow an der Yale University, gegenüber der Washington Post lobte. Denn weil Schwarze Löcher so extrem schwierig zu untersuchen sind (was passiert, wenn man aus Versehen hineinfällt, könnt ihr hier lesen), sind winzige Analogien wie das Modell Steinhauers das Beste, das die Wissenschaft gerade bieten kann.