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Wenn Soziale Medien zur militärischen Waffe werden

Ein Blick auf eine kaum beachtete Konferenz in London zeigt, wie Regierungen und Rüstungsfirmen Soziale Netzwerke zum Schlachtfeld machen. Werden reguläre Nutzer Teil eines Krieges, dem sie nie zugestimmt haben?
Bild: Shutterstock

Mitte November fand in London eine wenig beachtete Konferenz statt. Auf dem Treffen kamen ranghohe Militär- und Geheimdienstvertreter aus aller Welt zusammen, um über ein Konzept zu diskutieren, das die Entwicklung des Internet in den nächsten Jahren nachhaltig prägen könnte: Regierungen und Rüstungsunternehmen sind nämlich gerade dabei, soziale Netzwerke zunehmend als „neuen Kriegsschauplatz" und Waffe zu betrachten, wie ein Blick auf die Agenda der Konferenz zeigt.

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Das beherrschende Thema der Veranstaltung: Soziale Medien als riesige Informationsquelle, die Daten über Feinde oder die Zivilbevölkerung liefern soll. Die anwesenden Generäle interessierten sich aber auch brennend dafür, wie Soziale Netzwerke die öffentliche Meinung beeinflussen können und welche Rolle sie als Propagandamedium spielen können.

Bereits im Oktober legte die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) eine aufsehenerregende Enthüllung vor: Die US-Polizei hatte ein von der CIA-finanziertes Tool namens Geofeedia zur Überwachung von Facebook, Twitter und Instagram eingesetzt, um Aktivisten und Demonstrationen auszuspionieren.

Obwohl sowohl Facebook als auch Twitter Geofeedia schnell den Zugriff auf ihr Netzwerk sperrten, zeigt die Londonder Konferenz, dass Social-Media-Überwachung noch immer ein schnell wachsender Industriezweig ohne jegliche regulatorische Aufsicht ist. Und die größten Kunden sind unsere Regierungen. Gesponsert wurde die Veranstaltung mit dem Namen „Sixth Annual Conference on Social Media Within the Defence and Military Sector" von der Thales Group—dem zehntgrößten Rüstungsunternehmen der Welt, an dem der französische Staat maßgeblich beteiligt ist.

Teilnehmer der Konferenz—die von NATO-Kommunikationschef Steven Mehringer geleitet wurde—waren neben führenden Geheimdienstvertretern aus der ganzen Welt auch „Social-Media-Experten der Streitkräfte und der Rüstungsindustrie."

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Propaganda an der Heimatfront

Eines der Panels, zu dem die Digitalchefs der britischen Armee luden, trug den schönen Namen „Maximierung der medialen Unterstützung für Militäraktionen innerhalb Großbritanniens." Darin sollte unter anderem die Frage erörtert werden, wie „eine veränderte Wahrnehmung von Social Media die Medienoperationen im eigenen Land" stärken kann. Außerdem sollte diskutiert werden, wie das britische Militär „mit geringeren Kosten eine große Reichweite für ein relevantes Publikum beibehalten [kann]."

„Social Media ist für den Auftritt von Streitkräften daheim und bei Auslandseinsätzen zunehmend wichtig; für die Sensibilisierung gegenüber institutionellen Problemen; und für erfolgreiche Rekrutierungskampagnen", schreibt Konferenzleiter Steven Mehringer in einem Einladungstext für die Veranstaltung.

Psychologische Kriegsführung

Das Ziel der Militärs, mithilfe von Social Media die Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen, lässt sich an den Infotexten anderer Panels ablesen. „NATO's Digital Outreach: Creating a Global Conversation" beschreibt das Ziel des Militärbündnisses, sich „über Social Media ein globales Publikum zu erschließen, das die Allianz unterstützt."

Eine weitere Paneldiskussion widmete sich direkt der Rolle von Social Media bei verdeckten US-Militäroperationen der „psychologischen Kriegsführung" und der Bedeutung von Social Media bei der Unterstützung von Massenüberwachung. Wenn man die Militärsprache zu deuten weiß, dann lässt sich auch dies bereits aus dem Titel des Panels ablesen: „Using Social Media in Conjunction with Other Information Warfare Systems to Deliver Desired Effects" (deutsch: Der Einsatz von Sozialen Medien in Kombination mit anderen Systemen des Informationskriegs zum Erreichen der gewünschten Resultate). Die Programmbeschreibung listet dann unter anderem folgende Punkte auf, die zwar teilweise etwas kryptisch und ambivalent formuliert sind, aber gleichzeitig doch zeigen:

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  • „Koordination mit PsyOps—Virtuelle Manipulation der Stimmung des Feindes
  • Social Media als Open-Source-Werkzeuge—Wie man schlecht geheim gehaltene Informationen entdeckt
  • Ein mögliches Einfallstor für Computer-Operationen? Die Eröffnung des Cyberkriegs im Web."

Redner dieses Panels waren laut des Programms Steven Mehringer von der NATO; Ben Heap, leitender Experte beim Strategischen Kommando- und Kommunikationszentrum der NATO (STRATCOM) und Brad Kimberly, seines Zeichens Leiter der Pentagon-Abteilung mit dem schönen Titel „Social Media and Defense Media Activity".

Überwachung in Echtzeit

Als Geldgeber der Veranstaltung trat der französische Rüstungsgigant Thales auf—eines der führenden Unternehmen, was die Entwicklung neuer Technologien zur Social-Media-Analyse im Sinne militärischer und geheimdienstlicher Ziele angeht.

Es ist zwar nicht alles über die Entwicklungen und Aktivitäten des französischen Unternehmens bekannt, doch bereits ein Projekt, in das die Firma zwischen 2013 und 2015 involviert war, macht hellhörig: Damals tat sich Thales mit dem kanadischen National Research Council (NRC) und MediaMiser, einer in Ottawa ansässigen Firma für Überwachungstechnik, zusammen. Das Ziel der Kooperation war die Entwicklung spezifischer Werkzeuge für Sicherheitsbehörden. Die Tools sollen „automatisch jene gigantische Menge an Textinformationen verarbeiten, die ständig [im Netz] zirkulieren—in jeder Sprache, auf Blogs, in Newsfeeds, sozialen Netzwerken und so weiter."

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Finanziert wurde das Forschungsprojekt mit dem Titel „Bekämpfung von Sicherheitsbedrohungen mithilfe von Technologien der natürlichen Sprache" vom Canadian Safety and Security Program (CSSP). Das Programm fungiert als Entwicklungsabteilung des kanadischen Verteidigungsministeriums.

Laut einer Projektbeschreibung auf der Thales-Website gibt es bereits ein erstes Ergebnis: Eine Demoversion, die momentan von Nutzern aus verschieden Sicherheitsorganisationen getestet wird. Das erste Feedback sei sehr positiv, heißt es auf der Website des Rüstungsunternehmens.

Bei dem Tool geht es in erster Linie um „Echtzeitüberwachung": Social-Media-Daten, mit denen das System gefüttert wird, können „sofort analysiert" werden. Mithilfe von Big-Data-Algorithmen und -Verfahren würden „Veränderungen, Trends oder Anomalien" festgestellt und „potentiell gefährliche Entitäten identifiziert."

Laut Thales sei das Tool bereits so mächtig, dass es lediglich fünf bis zehn Sekunden dauert, bis neue im Netz veröffentlichte Informationen „im System auftauchen. Geheimdienstanalysten haben also minutengenaue Einblicke, wenn sich Situationen bestimmte entwickeln."

Der aktuelle Datensatz soll über 70 Millionen Dokumente umfassen, wobei täglich 25.000 neue hinzukommen. Ergebnisse auf eine Suchabfrage erscheinen nach weniger als 5 Sekunden.

Während MediaMiser Daten zu einem bestimmten Thema extrahiert und filtert, sobald diese online gepostet werden, verarbeiten von der NRC entwickelte Tools diese Inhalte in Echtzeit, indem sie Daten übersetzen und zusammenfassen. Diese Information wird dann mit verschiedenen Attributen und Beschreibungen versehen: einer Bewertung des Tonfalls (positiv, negativ, neutral), Gefühlslage (Wut, Angst, etc.), dem geographischen Standort der Quelle und den Identitäten der beteiligten Individuen oder Gruppen, die den Inhalt erstellt und verbreitet haben.

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All diese Metadaten werden zusammen mit dem Inhalt in einem System gespeichert, das von Thales kontrolliert wird. Kunden aus dem Verteidigungs- und Sicherheitssektor können dann besondere Visualisierungs-Widgets verwenden, um auf diese Informationen zuzugreifen und sie zu untersuchen. Zu den Widgets gehören Kartenansichten, Zeitleisten und Netzwerktopologien, anhand derer Verbindungen zwischen „Dokumenten, Menschen, Veranstaltungen, Regionen oder Gruppen" dargestellt werden können.

Auf Rückfragen von Motherboard zum aktuellen Status möglicher Regierungsverträge im Bereich Social-Media-Überwachung reagierte die Thales Group nicht. Aus ihrem Projekt „Bekämpfung von Sicherheitsbedrohungen" lassen sich aber dennoch Einblick in eine Big-Brother-Version von Social Media gewinnen, die auch auf der Londoner Konferenz diskutiert wurde.

Die Herzen der Einheimischen gewinnen

Die Agenda der Konferenz zeigt auch, dass das US-Militär Soziale Netzwerke als ein effektives Propagandawerkzeug betrachtet. Das gilt selbst in abgelegenen Regionen mit eingeschränktem Internetzugang.

So wurde ein Panel von Nathan Herring, dem Social Media Manager von US AFRICOM präsentiert. In der Veranstaltung mit dem Titel „Wie man mit Social Media diversifizierte Zielgruppen erreicht" ging es um das Beispiel der US-Strategien auf dem afrikanischen Kontinent. Obwohl nur neun Prozent der Gesamtbevölkerung Afrikas Zugang zu Social Media haben, heißt es in der Panel-Zusammenfassung, dass das US-Militär sich zum Ziel gesetzt habe, „ein Publikum in Gebieten zu erreichen, in denen Social Media noch immer zu den aufstrebenden Technologien gehört." Soziale Netzwerke sollten dabei helfen „die richtige Botschaft an das richtige Publikum zu vermitteln."

Fazit: Eine versteckte Militarisierung von Social Media?

Für militärische Streitkräfte auf der ganzen Welt gelten Social Media immer noch als neuer Kriegsschauplatz. Das Feld muss überwacht und kontrolliert werden, um aktuelle und potentielle Feinde zu identifizieren, Informationen zu sammeln und Meinungen zu beeinflussen. Allerdings ist das Risiko dabei groß, dass das, was wir regulären User tagtäglich posten, zunehmend zwischen die Fronten eines Krieges gerät, der sich ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung abspielt.