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20 Millionen mal Miau: Auf den Spuren des viralen Katzenballetts

Wie ein rumänischer Filmemacher und eine spanische Balletttruppe in den 1970er Jahren den Urahn des Katzencontents erschufen—eine tragende Säule der Netzkultur.

Katzenvideos und das Internet sind ein Match made in Heaven. Seit Montag, darin sind sich die Nutzer sozialer Medien einig, feiert dieses göttliche Genre mit einem mittlerweile über 20 Millionen mal geteilten Video endlich wieder ein wohl verdientes Highlight. Weniger einig ist sich die faszinierte Netzgemeinde allerdings darüber, was in aller Welt man da eigentlich gerade guckt.

Als Instant-Internetchronisten möchten wir daher ein wenig Licht ins Dunkel bringen und uns dem Phänomen des Katzen-Ausdruckstanzes in Schlaghosen von seiner kulturhistorischen Seite nähern.

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Im Jahr 1973 performte die spanische Truppe „Ballet Zoom" diesen Katzentanz, welcher, wie alle ihre spektakulären und farbstarken Darbietungen, von dem rumänischen Filmemacher Valerio Lazarov auf Zelluloid gebannt wurde. Seine Vision war eine Gruppe, die nicht nur tanzen und singen konnte, sondern auch einen eigenen Charakter hatte.

Ein Ballett, bei dem die einzelnen Individuen nicht in der bunten Masse aus Beinen, Händen und Federschweifen verschwinden, sondern deren Mitglieder eigene Persönlichkeiten darstellen, erinnert sich der Autor eines spanischen Blogs in einer Hommage an Ballet Zoom. Der Name war inspiriert von den Kamerabewegungen Lazarovs, der in seinen Aufzeichnungen ausgiebig auf den gepflegten namensgebenden Zoom setzte—dieses Stilmittel verwendete er so begeistert, dass sich manche Zuschauer des Senders Television Espanyol beschwerten, vom Genuss der Sendung seekrank zu werden.

Wie die virale Rezeption mit über 20 Millionen Views des rätselhaften Wunderwerks in den sozialen Netzwerken zeigt, kommt eine originelle Tanzarbeit mit solider Kameraführung und einem Inhalt mit Grüßen aus Absurdistan schließlich nie aus der Mode:

I want to climb into this video and live in it. https://t.co/fiKmvi0dny
— Lynne Doncaster (@LynneDoncaster) 6. September 2016

I don't know what's going on here, but I fully support it. https://t.co/4G7LRgQdh7
— WonderCat (@w0nderwoman108) 5. September 2016

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Bereits im Gründungsjahr von „Ballet Zoom" 1973 drehte Lazarov die ersten bunten Videos zu Auftritten der Tänzer in der spanischen Fernsehsendung „Telemusical Live", in denen sich die schillernde Psychedelik der 70er in ihrer vollen Blüte zeigt. Später wurde Ballet Zoom als regelmäßige Showeinlage für die spanische Samstagabend-Sendung „Señoras y Señores" gebucht, in der ebenfalls zahlreiche Videos aufgezeichnet wurden, von denen es einige wunderbare Exemplare bei Youtube zu bestaunen gibt.

Im wöchentlichen Wechsel mit dem Regisseur José María Quero und dessen minimalistisch eleganten Umsetzung einer Mainstream-Fernsehsendung brachte der Avantgarde-Filmemacher Lazarov dem geneigten Publikum eine quietschbunte, LSD-inspirierte und experimentelle Version einer musikalischen Show nahe, in der auch Stars wie Tom Jones und ABBA auftraten.

Bis dato waren Tanzeinlagen, wie auch die Auftritte des in Deutschland beliebten Fernsehballetts, lediglich als Auflockerungen des Programms gedacht. Kleine Showeinlagen als Verzierung ohne eigene Persönlichkeit. Ballet Zoom war anders. Das gute Dutzend Mitglieder verschiedener Ethnien und auch ihr Choreograf Don Lurio waren eigene Berühmtheiten, wie Musiker oder Popstars gaben sie Interviews und in Magazinen wurde über sie berichtet. Später schafften es die Tänzer von Ballet Zoom, von denen viele verwandt oder verpartnert waren, sogar in Lazarovs Film „La mujer es un buen negocio" ins Kino.

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Dieser Zombietanz im Bienenoutfit, der wohl eine Art außerirdischen Acid-Trip verkörpern soll, ist ein weiteres Beispiel der kreativen Ader des Ballet Zoom-Teams und spiegelt den Zeitgeist perfekt wieder.

Bevor in den 80er Jahren mit MTV oder in Sendungen wie Formel Eins die Hochzeit der professionellen Musikvideos anbrach, gehörten mitgeschnittene Live-Aufnahmen zu den ersten Elementen des Genres. Teilweise wurden jedoch auch bereits separate Videos zum späteren Einspielen gedreht, wie wir sie heute kennen. Allem Anschein nach fallen auch auch einige Werke aus dem Oevre von Ballett Zoom darunter.

Hier eine kleine Seilspring-Artistiknummer namens „Comba". Die Möglichkeiten für eine originelle Tanznummer waren in Zeiten von Ballett Zoom quasi unerschöpflich.

Oder „Equilibrio"—eine Mischung aus Jimmy Kimmels

Evolution of Mom Dancing

und den

Videos der amerikanischen Indieband OK Go

.

Ein Jahr vor der Auflösung von Ballet Zoom veröffentlichte die Truppe im Jahr 1977 noch die Single „Ven A Bailar". Natürlich gibt es auch ein Video dazu. Die gesamte Geschichte des Ballet Zoom mit zahlreichen Fotos, Tonaufnahmen, Videos und jeglichen Informationen über die Karriere der Tanzgruppe lässt sich besonders schön in diesem Blog nachlesen, welcher auch in seinem visuellen Design den Blick in die Vergangenheit würdigt.

Charlie Hussey, einer der Tänzer des legendären Balletts, trainiert heute übrigens die Cheerleader der Basketballmannschaft von Real Madrid und sitzt in der Jury der spanischen Ausgabe von „Let's Dance".

Preisen wir also das Internet und seine unermüdlichen Uploader in ihrer Funktion als Zeitschreiber der jüngsten Popkultur-Geschichte mit einem dreifach hochgehobenen Kätzchen, auf dass wir derartige Schätze auch in Zukunft heben dürfen.