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Nach der digitalen Dinner-Party

Da sowohl die Feierlichkeit des Hochglanz-Fortschritt als auch die Stammtischkritik an unserem elektronischen Leben standardisiert sind, erforscht die diesjährige transmediale lieber die Weisheit des nachrevolutionären Hang-Overs.
Bild: transmediale. Verwendet mit freundlicher Genehmigung

Mit der Autorität einer inzwischen 28jährigen Festivalgeschichte qualifiziert die diesjährige transmediale die digitale Revolution als fluffige Dinner-Party ab. „Das Ideal elektronischer Echtzeit-Kommunikation und vom ewigen Fortschritt im HD-Glanz ist doch inzwischen genauso banalisierter Mainstream geworden, wie eben auch die sehnsüchtige Kritik an diesen Versprechen", meint Programmdirektor Kristoffer Gansing zu mir. Gerade diese Woche wurde mir mal wieder eine solche Stammtischkritik serviert—und zwar in Form der öffentlich-rechtlichen Ratgeber-Doku 'Speed: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit', die nun passenderweise auch noch meine Facebook-Timeline mit massenhaften Likes verstopfte.

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Im Angesicht dieser alltäglichen Nicht-Aussagen zur Lage unserer Medien überspringt das Programm der transmediale das vorabendliche Small-Talk-Niveau und interessiert sich stattdessen für das Delirium nach dem Trubel. Das Motto des vom 29.1. bis 2.2. in Berlin stattfinden Festivals lautet dann dementsprechend auch „Afterglow".

Noch vor rund einem Monat gab es beim Kongress des Chaos Computer Club in Hamburg einen nie zuvor gesehenener Publikumsauflauf und eine berechtigt-selbstzufriede 'Haben wir doch schon immer gewusst'-Attitude der Hacker (mit übrigens sogar noch ein paar Jahre mehr Festivalerfahrung auf dem Buckel) zu besichtigen. Die transmediale verplichtet sich dagegen lieber zur Erforschung der Weisheit des nachrevolutionären Hang-Overs „in einer Welt, in der Big Data [längst] auch der Big Brother massenhafter Überwachung" geworden ist.

Kristoffer bestägtigte mir auf meine Frage nach der Selbstdefnition der transmediale in unserer digitalen Informationsgesellschaft ganz ungeniert, warum für ihn ein post-medialer Trümmertanz viel interessanter ist, als die glamouröse Fassade von Fortschrittsgeschichten: „Wir nehmen nicht einfach nur eine Rolle als Beobachter ein. Wir sind Profiteure in Zeiten der Krise. Die geplatze Dotcom-Blase zum Beispiel hat dem Festival damals nur mehr inhaltlichen Auftrieb gegeben. Wir können so etablierte Begriffe von Technologie und die angebliche Abgeschlossenheit von technischen Feldern angreifen, und stattdessen Phänomene von mehreren Seiten betrachten, um ein Nachdenken über wirklich neue Alternativen und Wege zu ermöglichen." Parasitäre Daseinsberechtigung, zur Zukunftsaufklärung also; klingt vielversprechend.

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Eines der Highlights des diesjährigen Festivalprogramms fragt dementsprechend auch nicht nach Transzendenz und Wahrhaftigkeit, sondern nach digitaler Funktionalität von Kunst: In einer Keynote zu Art as Evidence diskutieren Jacob Applebaum, der Dokumentarkünstler Trevor Paglen und die überwachungskritische Laura Poitras, die einen ihrer ersten öffentlichen Auftritte überhaupt seit ihrem Snowden-Support bestreitet.

In meiner Unterhaltung mit Kristoffer fällt die hilflos-aufklärerische Journalistenfrage zur Rolle von Kunst nach Snowden, die ihm anscheinend häufiger gestellt wird, als bitterernster Witz unter den Tisch:

"Es geht darum nicht nur einfach pessimistisch zu sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass jemand wie Snowden auch sehr enthusiastische Statements hat. Er sagt zum Beispiel Sachen wie: Das Internet sei die beste Sache die je geschaffen wurde. Wir brauchen auch diesen Enthusiasmus sehr dringend."

Die Hauptausstellung der diesjährigen transmediale nimmt die Party-Metapher nochmal beim Wort und bringt mit ähnlich enthusiastischem Geist über drei Dutzend Künstler, Hacker und Aktivisten zusammen, die in einem 72stündigen kollektiven Prozess eine Ausstellung produzieren werden. Als ich versucht habe mich mit dem Co-Kurator und Künstler Olof Mathé zu unterhalten, um wenigstens annähernd herauszufinden, was mich dabei genau erwarten würde, war ich aber ziemlich chancenlos. Weder Olof noch die beteiligten Künstler selbst konnten mir wirklich genau verraten was passieren würde, außer dass sie gemeinsam irgendeinen Sinn hinter der Zukunft von Elektroschrott, Datenüberfluss und Informationsexzess beleuchten wollen—vielleicht die schwangere Auster mit Burgerduft einnebeln, oder eine App für Auktionen zum Facebook-Profil entwickeln.

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Bei mir kam der Verdacht auf, dass das „Curating as Fascilitating" Konzept mindestens genauso der Journalisten-Verwirrung und künstlerischer Freiheit dienen soll, wie der zumindest temporären Sicherung einer dreitägigen Nahrungsgrundlage der beteiligten Künstler.

PRISM, The Beacon Frame von Danja Vasiliev.

Eines der Werke, was wohl als Weiterentwicklung des vergangenen Berliner Art Hack Days gezeigt werden soll, ist „The Beacon Frame" von Danja Vasiliev: Eine militärisch gesicherte Box fängt offenen W-Lan Daten der Besucher ab und projiziert sie in einem rotierenden Prisma an die Wände eines abgedunkelten Raums. Natürlich ist die Arbeit unter freundlicher Mitwirkung des NSA-Prism Programms entstanden: "Die meisten Telefone verraten ziemlich viele Daten über ihre Nutzer, während sie nach einem drahtlosen Funknetz suchen," erzählte Olof.

Aber er sieht auch das Paradox, das diejenigen, die aktiv an der Verbesserung unserer Technologie arbeiten, gleichzeitig auch ihr Verschwinden beschleunigen: Mal angenommen die NSA hat den Gesamtüberblick meiner Facebook-Posts und Unterhaltungen—wie viel dieser Daten wird zwei oder fünf Jahre später noch kulturell relevant sein, und was werden sie tatsächlich über mich aussagen?"

DNA Spoofing: DIY Counter-Surveillance von Aurelia Moser.

Bei einem früheren New Yorker Art Hack Day hat das Projekt „How to be Anonymous in the Age of DNA" die körperlichen Aspekte von Verstecken und Überwachen untersucht. Eine Gruppe um Adam Harvey versuchte sich an einer schmatzenden Spionageverschleierung, welche die Gefahr der persönlichen Identifizierung durch DNA aufs Korn nahm: Wir denken bei Überwachung immer nur an Facebook und unser digitales Leben, aber es gibt auch Implikationen für unsere physische Welt", erzählt Mitorganisator Paul Christophe.

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Digit Series von Elizabeth Vander Zaag (1977 - 1980) Video distribution.

Die transmediale ist angetrieben von der Annahme, dass Technologie längst zu einer natürlichen Resource geworden ist. Und so soll den geopolitischen und geophysischen Implikationen der globalen Datengesellschaft genau nachgespürt werden. Für Kristoffer sieht die Welt heute allerdings sehr viel anders aus, als es sich Marshall McLuhan vor einem halben Jahrzehnt vorgestellt haben mag—bzw. als es uns die fälschliche Interpretation des kanadischen Medientheoretikers glauben machen will: "Ich bin kein übermäßiger Anhänger einer reinen Lehre von McLuhan. Aber seine Metapher vom 'Global Village' sollte man wirklich verteidigen gegen Missverständnisse. Missbräuchlich verwendet klingt das ganz oft einfach viel zu idyllisch."

Während McLuhans Ideen gerne durch unsere gegenwärtige globale und soziale Vernetzung als erfüllt angesehen werden, zeigt schon ein Dienst wie Dropbox, der heute einen Großteil des weltweiten Datenaufkommens ausmacht, dass die Welt in ihrem ganzen datentechnischen Fortschritt häufig nicht unbedingt zu einem übersichtlicheren Ort, sondern nur zu einem fragmentierteren geworden ist, indem du jetzt eben einfach auch raumungebunden Arbeit und Ordner teilen kannst. Den gesellschaftlichen Bedeutungen und Potentiallen von „Big Data" jenseits ihrer Degradierung als reines Tool, werden wir von Motherboard mit der transmediale gemeinsam übrigens auf dem Panel „Uses and Abuses of Big Data" nachgehen.

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In weiteren Programm-Highlights wartet das Festival mit einer performativen Keynote von Sputniko, dem erstmals in Europa ausgerichteten Internet Yami-Ichi Schwarzmarkt, dem Critical Infrastructure Projekt im Foyer des Haus der Kulturen der Welt, zahlreichen weiteren Screenings und Performances, und zum Abschluss der Deutschlandpremiere von Robert Henkes neuer Sound- und Lasershow Lumière auf.

Wer bis zum Festival nicht mehr warten mag, der kann sich übrigens auch schon mal mit dem bei einem früheren Art Hack Day entwickelten Firefox Add-On Dark Side of the Prism" eingrooven.

Die transmediale findet vom 29.1. - 2.2.2014 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt.

Wir verlosen 2x2 Karten für das Festival unter allen Einsendern an motherboard@viceland.de.

Motherboard präsentiert auf der diesjährigen transmediale auch das Panel „Uses and Abuses of Big Data".