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Die Meer-Nomaden mit der autarken Jute-Arche-Noah

Ein 31-jähriger Franzose wird mit dem weltgrößten Naturfaser-Katamaran mehrere Jahre über die Weltmeere segeln und dabei neue Low-Tech-Tools zur Selbstversorgung erproben.
​Alle Bilder: Nomade des Mers (Mit freundlicher Genehmigung)

Für den 31-jährigen Corentin de Chatelperron offenbarte sich die Absurdität der modernen Welt, während er auf einer Schiffswerft in Bangladesch arbeitete: Nur wenige Meter außerhalb der Fertigungsanlage erstrecken sich weite Jutefelder, doch statt der Naturfasern kamen in dem Akkord-Schiffsbau nur importierte Kunstharze und nicht-biologische Materialien zum Einsatz.

Also beginnt der französische Ingenieur ein, für die Konstruktion eines seetüchtigen Schiffes, geeignetes neues Ökomaterial zu entwickeln—und sticht schon wenige Monate später mit seinem ersten kleinen Segelschiff in See. Mit der „Tara-Tari", die zu 40 Prozent aus Jute besteht, schippert er in sechs Monaten zurück in seine Heimat in der Bretagne.

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Heute, fünf Jahre später, geht er mit seinem Projekt „ Nomade des Mers" noch deutlich  weiter. Zusammen mit einigen Mitstreitern entwickelt Corentin den weltgrößten Naturfaser-Katamaran, um darauf mehrere Jahre lang autark auf hoher See zu leben.

Die Tour soll im nächsten Jahr beginnen und wird ihn von Australien nach Frankreich führen. Mit an Bord: Algen, die den Urin der Abenteurer abbauen, Hühner für das Eierfrühstück und Würmer als nahrhafte Fleischbeilage. Die Expedition wird mindestens drei Jahre dauern und nicht nur deutlich länger sein als die bisherigen Aussteigererfahrungen von Corentin, sondern auch eine Forschungsreise für einen nachhaltigen Low-Tech-Lebensstil mit dem „schwimmenden Laboratorium" darstellen.

Corentin de Chatelperron testet sein selbst entwickeltes Naturfasermaterial.

Corentin de Chatelperron testet sein selbst entwickeltes Naturfasermaterial. Alle Bilder:  Nomade des Mers (Mit freundlicher Genehmigung)

Auch im Jahr 2013 war Corentin bereits zusammen mit einigen Freuden auf dem weltweit ersten nur aus Naturfasern hergestellten Segelboot, der „Gold of Bengal" unterwegs, und versuchte dabei möglichst lange als Selbstversorger auf dem offenen Meer zu leben. An Bord hatte er damals ein Glashaus zur Kartoffelzucht, eine Vorrichtung zur manuellen Wasserentsalzung, einen kleinen Holzkocher, einen Solar-Ofen und zwei Hühner.

Aus der Reise ist mittlerweile eine ​Dokumentation geworden, die jüngst in Frankreich erschienen ist. Inzwischen erhält „Nomade des Mers" Unterstützung von Uni-Instituten, aber auch von Garagenforschern und Bastlern, die online ihre eigenen Ideen für die weitere Entwicklung einbringen können.

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Bei seiner Seereise von Bangladesch nach Indonesien habe er sich tatsächlich wie ein Nomade auf den Meeren gefühlt, berichtete mir Corentin per E-Mail. Zurückgekehrt ist er damals mit dem Entschluss, ein größeres Segelschiff zu bauen, dass ihn jahrelang über die Weltmeere schippern lässt.

Das Huhn fährt auch mit auf hohe See.
Corentin züchtet Pflanzen an Board.
Die „Gold auf Bengal

Der geplante Katamaran soll mit 15 Metern das größte, vollständig aus Naturfasern und Bio-Kompositmaterial gebaute, seetüchtige Schiff werden. Dabei wird die Struktur des Verbundmaterials aus Harz gefertigt, während als Füllstoff Leinen, Jute und Hanf zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit dem ​​Schiffsarchitekten Marc Van Peteghem wird der Katamaran außerdem sturmsicher gefertigt.

Die größten Risiken in seiner Expedition sieht Corentin vor allem in „menschlichen Gefahren", erzählte er mir. Neben Schwierigkeiten mit den Behörden bei der Zulassung, meint er damit Piraten. Mit denen wäre er auf seiner Fahrt mit der „Tara-Tari" beinah in Konflikt geraten, als er in von Piraten frequentierten Gewässern nahe der ostafrikanischen Küste segelte. Zu seinem Glück konnte er, bevor es zu einem Angriff kam, im Schatten der türkischen Marine, die die Gewässer bewachte, buchstäblich bis in den Suez-Kanal gezogen werden. Auf der nächsten Tour soll das nicht nötig sein: „Wir werden uns auf unseren nächsten Reisen Mühe geben, diese Piratenzonen zu meiden", sagt Corentin.

Die Route der Nomades de Mers und ihrem Selbstversorger-Katamaran.

Die Route der Nomades de Mers und ihres Selbstversorger-Katamarans.

Die „Nomade des Mers" wollen nun die Schwarmintelligenz aller ​Freunde des Aussteigerlebens nutzen und rufen dazu auf, ihnen bei der Beantwortung der offenen Fragen für ein komfortables, autarkes Leben zu helfen:

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Wie kann aus Sonne ein Kühlschrank betrieben werden? Wie gewinnen wir aus organischem Abfall Kohle? Wie erstellen wir uns pflanzliche Medikamente an Bord? Welche Tiere können wir noch an Bord nehmen? Was ist bei Hühner zu beachten, damit sie Frühstückseier legen? Wie destillieren wir unseren Alkohol?

Die wichtigsten Fragen vor der nächsten Tour drehen sich um Energie, Ernährung, Wasser, Werkzeuge und medizinische Versorgung. In bis zu zehnminütigen Videos darf jeder seine Ideen einreichen. Wer überzeugt, wird eingeladen seine Erfindung selbst zu installieren oder sogar bei der Reise auf offener See mit zu erproben.

„Es wird viel zu wenig in die Weiterentwicklung einfacher Systeme investiert. Wir werden alle unsere Erfindungen frei und open-source zugänglich machen so, dass die Lösungen auch außerhalb von Schiffen angewandt werden können", erzählt mir Corentin. Hier ist die Skizze des aktuell im Bau befindlichen Katamaran, und einige der wichtigsten Entwicklungen an Bord, mit denen das autarke Überleben möglich sein soll:

Das ist die Skizze des Katamarans und einige der wichtigsten Entwicklungen an Bord, mit denen das autarke Überleben möglich sein soll.

Die Insektenzucht: Würmer, Grillen und Käfer

Auf der Tour der „Gold of Bengal" waren noch keine Insekten an Bord. Das soll sich diesmal ändern, denn viele Insektenarten sind reich an Proteinen und stellen eine äußerst​ effiziente, ressourcenschonende Nahrungsalternative dar. Während für ein Kilogramm Rindfleisch, neun Kilogramm Futter nötig sind—möchte Corentin mit seinen Bordmitteln aus zwei Kilogramm Futter, ein Kilo essbare Insekten gewinnen: „Wahrscheinlich werden wir Hausgrillen züchten oder Mehlwürmer. Wir müssen nur das Zuchtsystem gut konstruieren, damit es nicht zu Fluchtversuchen kommt."

Aus Plastikmüll recyceln, was geht

An jedem noch so verlassenen, abgelegenen Ort der Ozeane ​findet sich Plastikmüll, welches Corentin als wiederverwertbare Ressource nutzen möchte. Mit upgecycleten Plastikflaschen, aber auch verbrannten Mikroplastikresten könnte Energie gewonnen werden, mit der sich ein ​Stirling Motor antreiben lässt. In Verbindung mit einem thermoelektrischen Modul könnte die traditionelle Wärmekraftmaschine so zur Stromerzeugung genutzt werden. Gefundenes Plastik könnte an Bord auch geschmolzen werden, um daraus Ersatzteile für das Schiff zu erhalten, wie die Crew es ​bereits auf vorherigen Tour gemacht hat. In Zukunft könnte das Plastik auch zu Fäden verwandelt werden, mit denen ein 3D-Drucker dann komplexere Teile reproduziert.

„Wir haben uns außerdem bereits Systeme angeschaut, die durch Erhitzung unter Druck und ohne Sauerstoff aus dem Plastik Öl gewinnen, das wiederum als Kraftstoff dienen kann", ​schwärmt Corentin. Allerdings ist das Team momentan noch auf der Suche nach einem passenden Prototyp für die nächste Reise.

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Hühner, und alles außer Hasen

Hühner waren schon bei Corentins allererster Reise mit an Bord, auch wenn sie vor lauter Stress kaum Eier gelegt haben. Doch an sich, „sind Hühner super, sie essen alles, brauchen wenig Platz und können ein Ei am Tag liefern."

Das letzte Boot schwankte aufgrund seiner kleineren Maße allerdings deutlich stärker. „Einige Freunde von mir sind inzwischen schon mit Hühnern auf Reise gegangen und da hat es mit einem Ei pro Tag geklappt". Welche anderen Tiere könnten noch mit an Bord gehen? Da zögert das Team noch: „Abgesehen von Insekten, wissen wir das noch nicht. Wir haben an das Zwergschwein aus Vietnam gedacht", erklärt Corentin und betont: „Alles außer Hasen."

Algen zum Essen, die den Urin reinigen

Manche Mikroalgen wie die ​Spirulina sind äußerst reich an für den Menschen wichtigen Nährwerten. „Außerdem ernähren sie sich selbst teilweise aus Harnstoff. Wenn man also nicht krank ist oder Antibiotika nimmt, kann man diese Algen mit Urin füttern, sie anschließend konsumieren und dann geht es wieder von vorne los", sagt Corentin.

Selbst wenn niemand am Bord bereit wäre, die Algen zu essen, könnte das geklärte Wasser für das Gießen von Pflanzen genützt werden. „Wir würden auch gerne herausfinden, ob mit Hilfe der Algen nicht auch interessante Energiequellen für das Überleben auf hoher See geschaffen werden könnten."

Salzwasser von Salz befreien

Für das Überleben auf hoher See ist es entscheidend, ein zuverlässiges und funktionierendes System zur Entsalzung von Meerwasser an Bord zu haben. Das Prinzip, auf das auch die Nomade des Mers zurückgreifen wollen, ist dabei alt: Salzwasser in einen Topf geben, Glasscheibe drüber und die Sonne die Arbeit verrichten lassen. Dabei verdampft das Wasser und fällt in ein leeres, in der Mitte platziertes Glas.

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„Diese Methode ist allerdings nicht sehr ergiebig und braucht somit viel Zeit auf hoher See. Wir hoffen sehr, durch die Hilfe der Bastler-Community noch bessere Ideen bis zum Ablegen zu bekommen", erklärt Corentin.

Aqua-, Hydro- und Aerokultur

Für das Überleben auf hoher See sind Hydrokulturen, bei denen Pflanzen ohne Erde wachsen, eine platzsparende Alternative. „Wir stellen uns vor, eine Kokospflanze in einen Topf zu geben, der in einem Saft aus Hühnerkot, Nägeln und Rost oder so hängt", erklärt Corentin.

Eine Pflanzenzucht in Aerokulturen wäre dabei vermutlich noch ökonomischer und würde den Jus über der Pflanze vaporisieren. Bei einer Aquaponie könnte alternativ auch ein durch Fischinnereien angereichtes Wasser das Wachstum der Pflanzen antreiben. Bei der Gold of Bengal-Tour hat das Team bereits auf einer verlassenen Insel die ersten Tests zu Hydrokulturen durchgeführt, auf die nun zurückgegriffen wird und welche weiter ausgebaut werden sollen.

Internet, Satellit und Brieftaube

Auf ihrer Fahrt wird ein Satellitentelefon den Meer-Nomaden ermöglichen von überall aus mit dem Rest der Welt zu kommunizieren. „Sei es einfach nur um allen mitzuteilen, dass es uns gut geht, wenn das Schiff mal wochenlang mitten auf dem Meer schippert oder wir vor einer verlassenen Inseln ankern."

Corentin und seine Gefährten hoffen aber auch, auf ihrer Tour einige Zwischenstopps mit regulärem Internetanschluss zu machen. Und sei es nur, um uns armen, zu Hause verbliebenen Großstädtern ihre neuesten Abenteuer mit Würmern, Käfighühnern und Algennahrung auf ihrem ​YouTube-Kanal vorzuführen.

Outsiders ist eine Motherboard-Kolumne über Bastler und DIY-Maschinenbauer, die auf eigene Faust außergewöhnliche Apparate entwickeln und ihre wissenschaftlichen Visionen verfolgen. Ältere Outsiders-Artikel findet ihr hier:

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