Die höchst gelegene Bergbaustadt der Welt wird langsam vom Erdboden verschluckt
Die gigantische Grube am Rande von Cerro de Pasco, der „höchsten Stadt der Welt“, in der vier von fünf Kindern an Bleivergiftung leiden. Bild: Autor

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Die höchst gelegene Bergbaustadt der Welt wird langsam vom Erdboden verschluckt

In Cerro de Pasco wird seit Jahrhunderten die Erde für wertvolle Rohstoffe ausgehöhlt. Der Mine verseucht nicht nur die Einwohner, sondern droht die Stadt auch allmählich aufzufressen.

Die fangfrische Forelle schmeckte großartig—köstlich zubereitet mit goldener, knuspriger Haut und saftigem, rosafarbenen Fleisch. Dass der Fisch gleichzeitig Spuren giftiger Chemikalien in sich trug, ließ sich in diesem Moment einfach verdrängen. Nach stundenlanger Fahrt durch die peruanische Sierra war ich so hungrig, dass ein Zwischenstopp in dem Städtchen La Oroya unvermeidlich war. Und da es in diesen Höhen außer Forellen kaum etwas Anständiges zu essen gibt, war meine Wahl im Restaurant schnell getroffen.

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La Oroya hat als einer der schmutzigsten Orte unseres Planeten unangenehme Berühmtheit erlangt. Als dystopische „Anerkennung" wurde die Stadt in die Top Ten Liste der Umweltschutzorganisation The Blacksmith Institute aufgenommen. Eine 2005 veröffentlichte Studie belegte, dass 97 Prozent der unter 6-jährigen Kinder Giftstoffe in ihrem Blut haben. Zu einer Zeit war die Stadt sogar so verschmutzt, dass die Berge, die sie zu beiden Seiten überragen, nun in einem geisterhaften, bleichen Weiß getüncht sind.

Für die enorme Kontamination ist ein seit 92 Jahren bestehender Metallhüttenkomplex verantwortlich, der sich gegenwärtig in den Händen von Doe Run Peru befindet, einem Ableger der US Bergbaugesellschaft Doe Run. Die größte polymetallische Schmelzhütte Amerikas hat Kapazitäten, um jährlich 122.000 Tonnen Blei und 43.000 Tonnen Zink zu produzieren. Aber angesichts eines Schuldenbergs von 470 Millionen Euro und sinkender Metallpreise steht die Hütte inzwischen zum Verkauf.

Das Metall La Oroyas wird auf Züge verladen, die es über die höchste Bahnstrecke Amerikas bis zum Hafen von Callao transportieren. Dort werden die Rohstoffe in die ganze Welt verschifft und zum Beispiel für den Bau von Smartphones und Computern verwendet. La Oroya hat mittlerweile Emissionskontrollsysteme, installiert Anlagen zur Wasserreinigung und bemüht sich um Gesundheitsprogramme, Stadtentwicklung und berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Doch die Vergangenheit als Minenstadt lässt sich kaum verdrängen. Die jahrzehntelange Schadstoffbelastung durch Schwermetalle prägt bis heute gleichermaßen die Nahrungskette das Stadtbild und das Leben der Menschen.

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Leichten Herzens entschied ich mich gegen einen längeren Aufenthalt und den Verzehr einer weiteren Forelle—und fuhr weiter in Richtung des Minenareals von Cerro de Pasco. In eine Stadt, die noch viel giftiger ist und deren Lebensalltag noch unbegreiflicher wirkt.

Auf schwindelerregenden 4,259 Metern erreichten wir schließlich die höchstgelegene Stadt Perus, die nach eigener stolzer Rechnung immerhin auch die höchste Stadt der Welt ist. In ihrer Mitte öffnet sich Raul Rojas eine Tagebaumine von fast zwei Kilometern Breite und 400 Meter Tiefe, welche sich langsam die 70.000 einwohnerstarke Stadt einverleibt.

Die Karte von Cerro de Pasco. Bild:  Google.

Ein Minengrube an Stelle eines zentralen Marktplatzes zu errichten, bringt offensichtlich besondere logistische und ökologische Herausforderungen mit sich. Im Falle von Cerro de Pasco liegen diese Probleme unter anderem in den nicht unwesentlichen Bereichen von Abwassersystem, Schule, Krankenhäusern und dem Wohnungsbau.

Ein 2006 veröffentlichter Bericht des peruanischen Instituts für Zivilen Bevölkerungsschutz klassifizierte 85 Prozent der Häuser am Rande des Bergwerks als unbewohnbar. Eine Studie, die 2007 vom US Center of Disease Control vorgenommen wurde ermittelte, dass 91 Prozent der Kinder und 82 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter mindestens ein Schwermetall in gesundheitsschädlicher Dosis im Körper tragen. Die Folge davon sind mögliches Nierenversagen, Leberschäden, verkrüppeltes Wachstum und geistige Behinderung.

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Der Rohstoffabbau in Cerro de Pasco begann vor hunderten von Jahren nachdem große Massen an Silber entdeckt worden waren. Inzwischen sind Silber, wie auch andere Metalle, immer schwerer zu finden, so dass die Mine weiter und weiter geschröpft wird. Die Hälfte des eigentlichen Stadtgebietes ist bereits zugunsten des Abbaus verschwunden. Doch erst in den letzten Monaten wurde der endgültige Abschied der Zivilisation eingeläutet, indem sich das peruanische Unternehmen Volcan die städtischen Überreste einverleibte, um wertvolle Zink, Kupfer und Bleivorkommen abzubauen.

Das Wachstum der Grube hängt wie ein Damoklesschwert über der Bergstadt. Es existiert zwar ein Angebot der Firma, einen Großteil der Einwohner in den sieben Kilometer entfernten Ort Villa de Pasco umzusiedeln, doch 2009 wurde das 254 Millionen Euro-Projekt erstmal auf die lange Bank geschoben—unter anderem da die Finanzierung nicht gesichert war. (Ein ähnlicher Plan scheiterte bereits 40 Jahre zuvor.)

4.000 der Einwohner von Cerro de Pasco arbeiten in der Mine. Doch auf die eine oder andere Weise sind alle Bewohner von der Grube abhängig. So eröffnet sich der Bevölkerung ein klassisches Dilemma: Entweder versuchen sie Volcan daran zu hindern, die Grube zu vergrößern. Damit könnten sie zwar das Land ihrer Heimatstadt retten, aber setzten gleichzeitig ihre monolithische, ökonomische Antriebsmaschine aufs Spiel. Oder sie lassen die Expansion der Mine und damit auch des lokalen Arbeitsmarkts geschehen, bringen damit jedoch auch Umwelt und Stadt an ihre eh schon strapazierten Grenzen.

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Die Vorstadt Carhuamaca befindet sich am Fuße einer gigantischen Menge giftiger Felsrückstände. Bild: Eduardo Valdez

Die Mine Raul Rojas—benannt nach einem Arbeiter, der während eines Streiks getötet wurde—öffnete ihre düsteren Pforten in den 1950er Jahren. Doch die Geschichte des Bergbaus in Cerro de Pasco reicht bis in das Jahr 1630 zurück. Mitte des 19. Jahrhunderts war „The Opulent City" für ein Drittel des gesamten Silberabbaus von Peru verantwortlich und beheimatete ein Dutzend Vizekonsuls aus Europa und Amerika. 1902 erwarb die US-amerikanische Firma Cerro de Pasco mit reicher Unterstützung durch JP Morgan und William Randolph Hearst das Gebiet.

Im Jahr 1912 machten Berichte über Misshandlungen zahlreicher Minenarbeiter die Runde, die, wie ein peruanischer Arbeitsrechtler es nannte, durch die „unverschämte und unverantwortliche Macht einer Firma ausgelöst wurden, die sich durch das ungestraft vergossene Blut der Arbeiter bereichert."

Cerro de Pasco wurde 1974 unter dem Namen Centromín-Perú verstaatlicht und 1999 von Volcan re-privatisiert. Internationale Beobachter kritisierten das Unternehmen zwar, sich nicht ausreichend für die Gesundheit der Bevölkerung einzusetzen, doch Volcan ruhte sich auf dem nicht unbedingt sympathischen Argument aus, keine Verantwortung für die wachsenden ökologischen und städtischen Probleme zu tragen.

Die unverarbeiteten Überreste des Tagebaus, die als aufgeschütteter, vergessener Schutt die Landschaft überziehen, wurden mit der Zeit weich und erinnern in ihrer Konsistenz eher an Pudding als an Gestein. Dieses schwermetallhaltige Gemisch verbreitete sich über das Gebiet und schwemmte in einige natürlich entstandene Seen in der Nähe der Stadt, welche seither weder gereinigt noch beachtet wurden. Quiulacocha, ein besonders großer See, liegt seit er 1992 die Sättigungsstufe erreichte, verlassen da und schimmert bei einem bestimmten Lichteinfall violett.

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Der zugeschwemmte See Quiulacocha. Bild vom Autor

Zusätzlich ist die Stadt übersät mit berghohen Erdwällen aus Trockenschutt, welche zwar nicht feucht sind, aber dem Puddinggestein ansonsten sehr ähneln. Sie beinhalten, neben einigen anderen unappetitlichen Zutaten, hohe Mengen an Zyanid und befinden sich natürlich direkt neben dem Krankenhaus, dem Gefängnis und anderen öffentlichen Einrichtungen.

Dass die Bevölkerung von Cerro de Pasco nach Strich und Faden vergiftet wird, ist kein Geheimnis. Auch fehlt es an einem ausreichenden Abwassersystem, so dass aus dem Hahn häufig eher eine trübe Flüssigkeit als Trinkwasser kommt. Als ein italienischer Umweltschützer im Jahr 2009 Wasserproben nahm, stellte er neben Blei, Zink und Arsen auch erhöhte Mengen verschiedenster anderer Chemikalien fest.

Eine ebenfalls 2009 durchgeführte Studie fand in der Erde Bleimengen, die dreimal höher waren, als es die US Umweltschutzbehörde als für Kinder unbedenklich einstuft. Es ist also nicht allzu überraschend, dass laut einem Bericht der US CDC 91 Prozent der Kinder unter zwölf Jahren hohe Werte von Blei, Cäsium und Thallium in ihrem Blut aufweisen.

Die Forscher betonten, dass die Kinder in diesen Gebieten auch deswegen besonders anfällig für die Schadstoffe seien, da sie gleichzeitig an einer für die ländlichen Gebiete der Anden typischen Mangelernährung leiden. Eine unschöne Kombination an Faktoren, die dazu führen, dass viele von ihnen an Entwicklungsstörungen leiden.

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Denise Cristóbal, die 29jährige Bürgermeisterin einer Stadt, die neben einem der verseuchten Seen liegt mit ihrem Sohn. Bild vom Autor

In Cerro de Pasco ist es fast immer kalt und grau und bei den über 4200 Metern über dem Meeresspiegel nahezu unmöglich, nicht Höhenkrank zu werden. Bei meinem Besuch machte keiner der Bewohner einen fröhlichen oder glücklichen Eindruck auf mich. Dazu kommt, dass alles nach Metall schmeckt und zu allem Überfluss die lokale Spezialität eine Art süßer Brei aus fauligen Kartoffeln ist. Eine Vorhölle in der Bergwelt der Anden.

"Untitled" by Jade. Bild: Eduardo Valdez 

Es gibt jedoch auch ein paar Farbtupfer. 2012 reiste eine Gruppe von Künstlern nach Cerro de Pasco, um die Straßen von ihrer deprimierenden Tristesse zu befreien, die über die jahrhundertelange Metallförderung einfach nur ein stumpfes Grau darboten.

"Untitled" by Decertor. Bild: Eduardo Valdez 

Auf einem Platz wurden außerdem fröhliche Recyclingbehälter montiert. Auf ihnen prangten die Namen giftiger Metalle und Chemikalien, welche als Nebenprodukte beim Bergbau anfallen. Leider haben die zynischen Sammeleimer nicht überlebt—die Stadtverwaltung ließ sie entfernen.

"Separa tu basura," by INK. Bild: Maxim Holland 

Ein Kunstwerk das noch immer im Museo del Relave, dem Museum für Aufbereitungsrückstände, zu besichtigen ist, ist eine Kollektion von Objekten und Tierknochen. Diese sammelte der Künstler Ishmael Randall Weeks im Schlamm um die Seen herum.

"Museo del Relave" by Ishmael Randall Weeks. Image: Eduardo Valdez

Ein weiterer, willkommener Lichtblick war meine Stadtführerin, die unverwüstliche Künstlerin und Aktivistin Elizabeth Lino, die nach ihrer Kindheit und Jugend in Cerro de Pasco der Berufschancen wegen nach Lima zog. Ihr Vater und ihr Großvater arbeiteten beide in der Mine. Sie selbst wuchs in einem Bergbaucamp am Rande des Lochs auf.

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„Ich konnte die Grube von meinem Fenster aus sehen. Sie war direkt neben unserem Haus, das war meine Aussicht", erzählt Elisabeth. Das Zuhause ihrer Kindheit wurde im Jahr 2000 von der Mine verschluckt.

Jetzt reist sie als „Die letzte Königin von Cerro de Pasco" durch das Land und mobilisiert Unterstützung für eine Kampagne, die die Stadt in den Status Kulturerbe erheben soll. Elisabeths ironischer Ansatz—der sich zu gleichen Teilen aus Optimismus, Pessimismus, Wut und Idealismus speist—erregte in Peru viel Aufmerksamkeit. Die Königin, die sie spielt, ist mehr als nur eine Rolle. Sie ist eine Figur, ein Alter Ego; ein und stolzes Gegenstück zu Elizabeths Wut, die sich in körperlichem Schmerz niederschlägt.

„Einerseits laugt es mich aus, und ich würde gerne damit aufhören", erklärte sie. „Aber andererseits muss ich einfach weitermachen."

Standbild aus der Performance "Romeria A La Ex-Laguna Quiulacocha" (Pilgerreise an den früheren See Quiulacocha) von Elizabeth Lino. Bild: Eduardo Valdez

Kein Hoffnungsschimmer

Cerro de Pasco ist ein eindringliches Beispiel für die Folgen der Metallförderung im großen Stil, durchgeführt über Jahrhunderte, in unmittelbarer Nähe zur Bevölkerung und ohne Regulierung.

Der weltweite Appetit auf das, was ein Besucher Cerro de Pascos 1842 als „grenzenloser Reichtum in den Eingeweiden der Erde" bezeichnete, nimmt stetig zu. Cerro de Pasco könnte die erste Großstadt sein, die eines Tages vollständig in einer Mine verschwindet, doch sie wird sicher nicht die letzte bleiben.

Die Gans, die goldene Eier legt.

Erst letzten Monat berichtete Perus Präsident Ollanta Humala der Associated Press, er habe sich gezwungen gesehen, im Juli ein Gesetz zur Lockerung der Umweltschutzregularien für Minenprojekte zu erlassen. Er wolle schließlich vermeiden, „die Gans zu töten, die goldene Eier legt."

Anfang September verabschiedete das australische Queensland ein Gesetz, das es Organisationen und Privatpersonen erschwert, neue Bergbauprojekte zu verhindern. Denn, so Bergbauminister Andrew Cripps, diese „schwarzseherischen" Einwände gegen neue Abbauunternehmen könnten den Staat Milliarden wertvoller Steuereinnahmen kosten. Das Tauziehen zwischen Förderung und Regulierung ist weder entschieden, noch liegen die Tage vergifteter Dörfer trotz wachsendem Umweltbewusstsein hinter uns.

Schuld daran ist unter anderem der Abbau von Sand. Eine eher unscheinbare Ressource, die auf Grund zunehmender Bauvorhaben in Entwicklungsländern, Fracking und ihrer Verwendung in jedem Produkt von Computern bis Zahnpasta zum weltweit am meisten abgebauten Rohstoff avancierte. Ein Bericht des Civil Society Institute beschreibt die Sandförderung als ein Gesundheitsrisiko für die Anrainer, da während des Abbauprozesses das Karzinogen Acrylamid in das Grundwasser gelangt. Davon unbeeindruckt sind die Pläne zur Errichtung von weiteren Sandminen auch in den USA bereits weit fortgeschritten.

Trucks bereit zum Abbau. Bild vom Autor.

Auf unserer Rückreise nach Lima zeigte mir Elizabeth einen Hügel namens Toromocho, der bald eine der größten Peruanischen Kupferminen werden soll. Der Name des Hügels rührt daher, dass er in seiner Silhouette an einen Stier erinnert. Ist er jedoch erst einmal abgebaut, wird der Name nicht mehr viel Sinn machen.

Die chinesische Bergbaufirma Chinalco will hier 3,7 Milliarden Euro investieren und hofft auf eine jährliche Ausbeute von 300 000 Tonnen Kupfer. Doch im vergangenen März ordnete die peruanische Regierung an, alle Operationen einzustellen, da unbehandeltes saures Abwasser in zwei nahe liegende Seen entsorgt werden sollte.

Nur selten demonstrierte die Regierung so viel Konsequenz bei ihren Vorschriften. Will sie ein zweites Cerro de Pasco oder La Oroya verhindern, sind solche politischen Strategien jedoch die einzige Hoffnung. Und selbst wenn—gerade aus derart fundamental umgeformten Orten zurückgekehrt, weiß ich nun, was 400 Jahre Bergbau anrichten können. Bald wird die Schmelze in La Oroya wiedereröffnet. Mit einem flauem Gefühl im Magen schaue ich auf diesen Hügel und frage mich wie so viele andere, wie dieser Ort wohl in einem Jahrzehnt aussehen wird. Oder in einem Jahrhundert.