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Auf dem Weg zur Roboterregierung: Das Potential der Blockchain

Die Technologie hinter Bitcoin hat das Potential, Richter, Anwälte und Politiker durch Maschinen abzulösen. Das muss nicht gruselig sein.
Ein Bitcoin-Miner aus Atlanta, USA. Bild: imago

Wir schreiben das Jahr 2055, es ist Wahltag. Deinen Pyjama kannst du anbehalten. Du schaltest den Computer an und stimmst mit einem Klick ab. In Echtzeit kannst du beim Frühstück mitverfolgen, wie die Stimmen verteilt sind – ohne Furcht, dass die eigene vielleicht nicht gezählt wird.

Das Beste ist: Du wählst keinen Menschen mit seinen natürlichen Fehlern und Schwächen – etwa einen, der zu einer Million Euro Bestechungsgeld nicht nein sagen könnte. Nein, du wählst einen Roboter, dem ein Algorithmus vorschreibt, was zu tun ist.

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Nichteinhaltung des Wahlprogramms? Undenkbar. Sogar unmöglich, denn wir haben es mit programmierter Technologie zu tun. Hackerangriffe? Ausgeschlossen, denn das Programm läuft auf der Blockchain, einem dezentralen System, in das jeder einzelne Wähler Einblick hat.

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Demokratie: Schon im 5. Jahrhundert vor Christus hatten die Griechen diese wunderbare Idee der Volksherrschaft. Auf dem Papyrus klang das gut. In der Realität haperte es an vielen Stellen. Und zwar bis heute. Irgendwann werden wir es schon hinbekommen, lautet die allgemeine Devise. Doch ausgerechnet die Technologie hinter Bitcoin kann uns dabei helfen, dass es bald schon soweit ist: Die Blockchain.

Die Blockchain ist eine komplett dezentralisierte, demokratische Datenbank; eine Art öffentliches Kassenbuch für Bitcoin-Transaktionen. Um die Blockchain allein zu kontrollieren, müsste man schon sämtliche Server unter seine Kontrolle bringen—was so gut wie unmöglich ist, denn sie sind überall auf dem Globus verteilt. Die absolute Transparenz der Blockchain macht sie so demokratisch.

Dafür sorgen Personen, die sämtliche Transaktionen, die auf der Blockchain getätigt werden, verifizieren, mit einem Zeitstempel versehen und zu einzelnen Blöcken zusammenfassen. Dank des dezentralen Computernetzwerks kann jeder sehen, welche Transaktionen das sind. Diese Einträge können nicht mehr verändert werden, so dass für alle Zeiten nachvollziehbar bleibt, wer wann was getätigt hat.

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Bitcoins sind aktuell die bekannteste Anwendung der Blockchain. Die Krypto-Währung hat das Potential, die Finanzwelt gehörig aufzumischen, sie entzieht sich nämlich der Kontrolle durch etablierte und staatliche Strukturen. Deshalb hat sie auch so viele Hardcore-Anhänger.

Ein Leben auf der Blockchain: Zu Besuch bei einer „Bitcoin-Familie"

Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sagt über Bitcoin: „Eine zentrale staatliche Aufsicht oder Regulierung gibt es nicht. Sie ist für das dezentrale Netzwerk nicht durchführbar." Auch die Chefin der US-amerikanischen Notenbank, Janet Yellen, sagte, die FED habe nicht die Autorität, Bitcoin zu überwachen oder zu regulieren.

Satoshi Namamoto gilt als der Erfinder der Blockchain. Wer hinter dem Namen steckt, ist bis heute nicht bekannt; auch eine angebliche Newsweek-Enthüllung, die einen Mann an der Westküste der USA ausfindig machte, entpuppte sich als falsch. Bild: imago

Sogar Menschen, die gar keinen Zugang zu Banken, aber zum Internet haben, können Bitcoin-Transaktionen durchführen. Diese Transaktionen sind nicht nur schnell, sondern auch günstig. Dies verdankt sich der Blockchain, die das Geld nahezu in Echtzeit vom Sender zum Empfänger übermittelt, ohne dass es zunächst bei einer Bank lagert, die für die Verarbeitung auch noch willkürliche Gebühren verlangt.

Habt ihr in Bitcoin investiert? Herzlichen Glückwunsch, liebe Krypto-Evangelisten und Darknet-Dealer!

Gerade in Zeiten, in denen Banken mehr Macht genießen als Staaten, werden die Vorteile einer solchen Parallelwährung deutlich. Zuletzt bekamen das die eingangs erwähnten Urväter der Demokratie am eigenen Leib zu spüren. In Griechenland sind die Menschen dem Diktat des internationalen Finanzwesens in Form der nicht demokratisch gewählten Troika ausgesetzt. Beispielsweise wurde die Summe, die jeder Grieche pro Woche abheben durfte, limitiert, und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Es konnten beispielsweise keine Auslandstransaktionen mehr ohne die Zustimmung eines Komitees durchgeführt werden. Bitcoins boten zumindest den technisch versierten Griechen ein wenig Erleichterung, auch wenn die Kryptowährung noch nicht ausreichend verstanden wird, um als Zahlungsmittel für die breite Bevölkerung zu fungieren.

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Es sind die Miner, die entscheiden, was auf der Blockchain geschieht, nicht die Inhaber der Bitcoins.

Doch Bitcoins sind wie gesagt nur eine mögliche Anwendung für die Blockchain. Es gibt verschiedene Blockchains verschiedener Entwickler, und sie werden zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. Im Fall der Bitcoin-Blockchain werden Transaktionen durch sogenanntes Mining verifiziert: Die Miner stellen die Rechenpower bereit, die benötigt wird, um aus einer bestimmten Zahl von Transaktionen einen Block zu kreieren. Theoretisch kann jeder ein Miner werden, vorausgesetzt, er verfügt über leistungsstarke Hardware. Es sind also die Miner, die entscheiden, was auf der Blockchain geschieht, nicht die Inhaber der Bitcoins.

Anders bei einer Blockchain namens Muse, die am 26. Oktober lanciert wurde. Auch Muse verfügt über eine eigene Kryptowährung (Muse Units). Und auch bei Muse gibt es Leute, die Transaktionen verifizieren. Im Unterschied zur Bitcoin-Blockchain kann man sich jedoch nicht einfach einklinken, sondern muss sich um einen solchen Posten bewerben, und zwar bei den Leuten, welche die Muse Units besitzen. Diese Einheiten sind vergleichbar mit Aktien, die Aktionären ein Stimmgewicht geben. Der Unterschied zwischen der Muse-Blockchain und einer AG ist die Dezentralität: jeder – nicht nur Besitzer der Units – kann sehen, welche Transaktionen vorgenommen werden.

Im Fall Muse wählen diejenigen mit Stimmkraft sogenannte Witnesses, also Zeugen, ins Amt: Sie entsprechen weitestgehend den Bitcoin-Minern, weil sie die Transaktionen der Blockchain zeitstempeln. „Sie haben jedoch keinen Einfluss darauf, welche Transaktionen vorgenommen werden. Wenn sie ihrem Job nicht nachkommen und damit das gesamte Netzwerk in Stocken beginnen, können sie auch wieder gefeuert werden", erklärt Cédric Cobban, Präsident von PeerTracks, einem Musikdienst, der auf Muse basiert. Zeugen werden direkt von der Blockchain bezahlt, erhalten also einen Kryptobetrag für jede Transaktion, die sie verifizieren, so wie die Bitcoin-Miner auch.

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Wählen mit der Blockchain hießt, Wahlbetrug ausschließen.

Von der Muse-Blockchain ist es nicht mehr weit zu einer Blockchain für Wahlen. Das haben sich auch die Macher von Follow My Vote gedacht, die ein entsprechendes System auf die Beine gestellt haben, in dem sie die diversen Schritte, die fürs Wählen notwendig sind, als Transaktionen in eine Blockchain schreiben. Schritt eins ist die Verifikation der eigenen Identität, der Beweis, dass man wählen darf.

Als nächstes erstellt man ein anonymes Wahlprofil. Alle Transaktionen in einer Blockchain erhalten eine eindeutige ID. Jeder Wähler kann also nur einen Account erstellen, da die ID einmalig seinen Identitätsdaten zugeordnet wird. Zu guter Letzt können die Wähler in Echtzeit mitverfolgen, wie sich ihre Stimme auf die Wahl ausgewirkt hat. Der gesamte Prozess ist für jeden einsehbar und rückverfolgbar.

Wählen auf Blockchain-Basis würde einige Probleme beseitigen: Wahlbetrug, ungenaue Stimmauszählung sowie mangelnde Transparenz. Durch das Mitverfolgen der Wahlentwicklung in Echtzeit können Wähler—bevor sie ihre Stimme abgeben—sichergehen, dass ihre Stimme auch etwas bringt. Bei jeder Wahl gibt es schließlich Idealisten, die zwar eine Stimme verdient hätten, aber niemals in einflussreicher Position landen würden.

Nun müsste man nur noch einen Weg finden, sicherzugehen, dass Politiker künftig ihre Versprechen nicht mehr brechen. Und auch das könnte die Blockchain regeln. Zumindest theoretisch.

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Levin Keller vom Bundesverband Bitcoin erklärt: „Es ist möglich, dass man langfristig gesehen auf der Blockchain basierend eine Art Roboterregierung installiert. Eine Regierung, die durch Maschinen gewährleistet wird, die nach einem festen Algorithmus funktionieren und alle Aktionen nachvollziehbar in einer derartigen Blockchain protokollieren müssen. Aus diesem ,Gefängnis' können sie auch nicht ausbrechen, so dass sie sich immer an den Codex halten, nach dem sie programmiert worden sind. Dann würden wir in Wahlen nicht mehr über Personen abstimmen oder ähnliches, sondern wir würden über Vorschläge zu Regierungsprogrammen abstimmen. Es gäbe dann Leute, die Algorithmen schreiben, welche wiederum den Maschinen ein bestimmtes Regierungsprogramm vorschreiben.

Der Roboter, der regiert, würde das Programm implementieren, das die Mehrheit erhalten hat, und wäre auch nicht mehr in der Lage, davon abzuweichen oder aufgrund von Gemauschel im Hintergrund irgendwelchen Leuten Ausnahmen zu generieren oder Vorteile zu verschaffen. So, als würde eine Regierung ihr Wahlprogramm eins zu eins umsetzen und in keiner Silbe davon abweichen."

Schleichen sich Fehler ins Wahlprogramm ein, wählen wir die Politiker mit einem Klick wieder ab.

Das große Problem: Wie kann man ein hochkomplexes Regierungsprogramm fehlerfrei in Computer-Code übersetzen? Was, wenn man etwas übersieht oder sich Fehler einschleichen? „Dann muss man bis zur nächsten Wahl warten, bis man etwas ändern kann", so Keller. Nun, das ließe sich einfach regeln, wenn man Politiker einfach wieder abwählen könnte. Allein dafür wäre es schön, nicht immer das nächstgelegene Wahllokal aufsuchen zu müssen, sondern das bequem von der Couch aus zu erledigen – zwischen Facebook checken und E-Mails beantworten.

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Die Blockchain ist zudem in der Lage, sogenannte Smart Contracts zu verarbeiten. Das sind Verträge, die automatisch erkennen, ob die Vertragsbedingungen eingehalten wurden. „Smart Contract ist mehr oder weniger nur ein schönes Wort für einen algorithmisch dargelegten Vertrag. Der Vertrag sieht vor, dass ich eine bestimmte, messbare Leistung vollbringe, um ein bestimmtes Event, etwa eine Auszahlung oder ähnliches, auszulösen.

Smart Contracts erfüllen sich automatisch, ein Vertragsbruch ist technisch nicht möglich. Bedeutet: Das Auto fährt erst los, wenn die Rate bezahlt wurde.

Jeder Vertrag ist im Endeffekt richterlich durchsetzbar. Wenn ich also die Leistung erbringe und die Zahlung nicht erhalte, kann ich vor Gericht gehen, bekomme Recht und erhalte mein Geld. Smart Contracts sorgen einfach dafür, dass das Event, in unserem fiktiven Fall die Zahlung, sofort durchgeführt wird, so dass man nicht mehr über einen Richter gehen muss. Dafür muss natürlich auch die Leistung, die ich erbracht habe, in die Blockchain eingespeist werden", erklärt Keller.

Durch die Erfüllung einer Wenn-Dann-Bedingung würden Schlichter wie Anwälte komplett überflüssig gemacht werden. Einfach ausgedrückt: Das Auto fährt erst los, wenn die Rate bezahlt wurde.

In einem Smart Contract muss es nicht um monetäre Transaktionen gehen. Jede Vereinbarung kann so für alle transparent festgehalten werden. Die gewählten Politiker könnten also vertraglich auf das Einhalten ihrer Versprechen festgenagelt werden. Wer sich nicht daran hält, wird automatisch seines Amtes enthoben. Jeder Wähler wird benachrichtigt und kann anschließend einen neuen Kandidaten wählen.

Einigen Menschen dürfte der Gedanke, alles Maschinen zu überlassen, Angst machen. Sie fürchten sich vor einem Matrix-Szenario, in dem Maschinen nicht nur die Politik machen, sondern Menschen kontrollieren und sogar züchten, weil ihre Künstliche Intelligenz ihnen das als logischen Schritt empfohlen hat. Solange die Maschinen jedoch noch programmiert werden, dürfte eigentlich nichts schief gehen. Und auch, wenn man sich weiterhin auf Menschen in der Politik verlassen will, bietet die Blockchain zumindest die Transparenz und Effizienz, die aktuell fehlt.